Die deutschen Staten, odwohl für Sicherung des deutschen Bundesgebiets die Bundesgenossen Oesterreichs, verhielten sich dennoch in dem Kriege Oesterreichs gegen Frankreich und Italien 1859 neutral und blieben sogar in dem von Preußen und Oesterreich gegen Dänemark 1863/64 geführten Kriege in neutraler Haltung.
751.
Sogar wenn ein Bundesgenosse zur Unterstützung einer Kriegspartei verpflichtet ist, aber sich trotzdem jeder Theilnahme an dem Kriege enthält und diesen Willen der Gegenpartei ankündigt, so hat er einen Rechts- anspruch darauf, von derselben als neutraler Stat geachtet zu werden.
Die bloße vertragsmäßige Allianz mit einem kriegführenden State macht den Alliirten noch nicht nothwendig zum Feinde der andern Kriegspartei. Wenn der Bundesgenosse seiner Allianz keine Folge gibt und seine neutrale Gesinnung und Haltung offenbar macht, so darf der Feind seines Alliirten ihn nicht als Kriegspartei betrachten. Er beobachtet demselben gegenüber das Recht des Friedens und hat daher auch ein Recht auf Frieden. Die Frage, ob er dadurch seine Bundespflichten gegen den Alliirten verletze, ist nur zwischen ihm und diesem Alliirten zu lösen, sie geht dessen Gegner Nichts an.
752.
Auch wenn ein Stat durch Verträge oder allgemeine völkerrechtliche Anordnungen zu ewiger Neutralität wie berechtigt so verpflichtet ist, hört er dennoch auf, neutral zu sein, wenn er thatsächlich als Kriegspartei oder für oder gegen eine Kriegspartei sich am Kriege betheiligt.
Vgl. zu § 744 und 749. Wenn der fortwährend neutrale Stat zur Ver- theidigung seines Rechts und daher auch seiner Neutralität Krieg führen muß, so verzichtet er damit nur vorübergehend, nicht dauernd auf seine immerwährende Neutralität. Wenn er dagegen ohne solche eigene Kriegsursache sich an dem Kriege dritter Staten betheiligt, so ist das ein Aufgeben seiner immerwährenden Neutralität.
753.
Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit und Unparteilichkeit gegen- über den Kriegsparteien und dem Fortgang des Krieges.
Ein Stat kann ein lebhaftes Mitgefühl mit der einen Kriegspartei haben und seinem Unwillen wider die andere Kriegspartei einen offenen Ausdruck
Recht der Neutralität.
Die deutſchen Staten, odwohl für Sicherung des deutſchen Bundesgebiets die Bundesgenoſſen Oeſterreichs, verhielten ſich dennoch in dem Kriege Oeſterreichs gegen Frankreich und Italien 1859 neutral und blieben ſogar in dem von Preußen und Oeſterreich gegen Dänemark 1863/64 geführten Kriege in neutraler Haltung.
751.
Sogar wenn ein Bundesgenoſſe zur Unterſtützung einer Kriegspartei verpflichtet iſt, aber ſich trotzdem jeder Theilnahme an dem Kriege enthält und dieſen Willen der Gegenpartei ankündigt, ſo hat er einen Rechts- anſpruch darauf, von derſelben als neutraler Stat geachtet zu werden.
Die bloße vertragsmäßige Allianz mit einem kriegführenden State macht den Alliirten noch nicht nothwendig zum Feinde der andern Kriegspartei. Wenn der Bundesgenoſſe ſeiner Allianz keine Folge gibt und ſeine neutrale Geſinnung und Haltung offenbar macht, ſo darf der Feind ſeines Alliirten ihn nicht als Kriegspartei betrachten. Er beobachtet demſelben gegenüber das Recht des Friedens und hat daher auch ein Recht auf Frieden. Die Frage, ob er dadurch ſeine Bundespflichten gegen den Alliirten verletze, iſt nur zwiſchen ihm und dieſem Alliirten zu löſen, ſie geht deſſen Gegner Nichts an.
752.
Auch wenn ein Stat durch Verträge oder allgemeine völkerrechtliche Anordnungen zu ewiger Neutralität wie berechtigt ſo verpflichtet iſt, hört er dennoch auf, neutral zu ſein, wenn er thatſächlich als Kriegspartei oder für oder gegen eine Kriegspartei ſich am Kriege betheiligt.
Vgl. zu § 744 und 749. Wenn der fortwährend neutrale Stat zur Ver- theidigung ſeines Rechts und daher auch ſeiner Neutralität Krieg führen muß, ſo verzichtet er damit nur vorübergehend, nicht dauernd auf ſeine immerwährende Neutralität. Wenn er dagegen ohne ſolche eigene Kriegsurſache ſich an dem Kriege dritter Staten betheiligt, ſo iſt das ein Aufgeben ſeiner immerwährenden Neutralität.
753.
Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit und Unparteilichkeit gegen- über den Kriegsparteien und dem Fortgang des Krieges.
Ein Stat kann ein lebhaftes Mitgefühl mit der einen Kriegspartei haben und ſeinem Unwillen wider die andere Kriegspartei einen offenen Ausdruck
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Recht der Neutralität.
Die deutſchen Staten, odwohl für Sicherung des deutſchen Bundesgebiets die
Bundesgenoſſen Oeſterreichs, verhielten ſich dennoch in dem Kriege Oeſterreichs gegen
Frankreich und Italien 1859 neutral und blieben ſogar in dem von Preußen und
Oeſterreich gegen Dänemark 1863/64 geführten Kriege in neutraler Haltung.
751.
Sogar wenn ein Bundesgenoſſe zur Unterſtützung einer Kriegspartei
verpflichtet iſt, aber ſich trotzdem jeder Theilnahme an dem Kriege enthält
und dieſen Willen der Gegenpartei ankündigt, ſo hat er einen Rechts-
anſpruch darauf, von derſelben als neutraler Stat geachtet zu werden.
Die bloße vertragsmäßige Allianz mit einem kriegführenden State
macht den Alliirten noch nicht nothwendig zum Feinde der andern Kriegspartei.
Wenn der Bundesgenoſſe ſeiner Allianz keine Folge gibt und ſeine neutrale
Geſinnung und Haltung offenbar macht, ſo darf der Feind ſeines Alliirten
ihn nicht als Kriegspartei betrachten. Er beobachtet demſelben gegenüber das Recht
des Friedens und hat daher auch ein Recht auf Frieden. Die Frage, ob er dadurch
ſeine Bundespflichten gegen den Alliirten verletze, iſt nur zwiſchen ihm und
dieſem Alliirten zu löſen, ſie geht deſſen Gegner Nichts an.
752.
Auch wenn ein Stat durch Verträge oder allgemeine völkerrechtliche
Anordnungen zu ewiger Neutralität wie berechtigt ſo verpflichtet iſt, hört
er dennoch auf, neutral zu ſein, wenn er thatſächlich als Kriegspartei oder
für oder gegen eine Kriegspartei ſich am Kriege betheiligt.
Vgl. zu § 744 und 749. Wenn der fortwährend neutrale Stat zur Ver-
theidigung ſeines Rechts und daher auch ſeiner Neutralität Krieg führen muß, ſo
verzichtet er damit nur vorübergehend, nicht dauernd auf ſeine immerwährende
Neutralität. Wenn er dagegen ohne ſolche eigene Kriegsurſache ſich an dem Kriege
dritter Staten betheiligt, ſo iſt das ein Aufgeben ſeiner immerwährenden
Neutralität.
753.
Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit und Unparteilichkeit gegen-
über den Kriegsparteien und dem Fortgang des Krieges.
Ein Stat kann ein lebhaftes Mitgefühl mit der einen Kriegspartei
haben und ſeinem Unwillen wider die andere Kriegspartei einen offenen Ausdruck
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/429>, abgerufen am 22.11.2024.
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