Rechte der Neutralität behaupten will, verpflichtet, sich jeder thatsächlichen Unterstützung einer Kriegspartei zu Kriegszwecken zu enthalten.
1. Die Pflichten der Neutralen sind nicht Dienstbarkeiten, welche ihnen von andern Staten -- insbesondere den kriegführenden Staten -- auferlegt werden; dafür gäbe es keinen Rechtsgrund; diese Pflichten sind nur naturgemäße Be- dingungen der Neutralität. Man kann nicht neutral d. h. im Frieden bleiben, wenn man am Kriege Theil nimmt. Das Recht der Neutralität ist durch die neutrale Haltung bedingt. Ueber diesen Grundgedanken kann kein Zweifel sein. Nur die Anwendung und Ausdehnung desselben kann in Frage kommen.
2. Die berühmte Proclamation der Amerikanischen Neutralität durch den Präsidenten Washington vom 22. April 1793 in dem französisch-englischen Krieg erklärt es als die Pflicht und das Interesse der Vereinigten Staten, sich "freundlich und unparteiisch zu den beiden kriegführenden Mächten zu verhalten" und ermahnt alle Bürger, "sich aller feindlichen Handlungen wider eine der beiden gänzlich zu enthalten". Die Art, wie er beiden Mächten gegenüber diese Neutralität trotz großer Schwierigkeiten handhabte, trug vieles dazu bei, das Recht der Neutralität zu befe- stigen und auszubilden. Vgl. WheatonInt. L. § 439 Anm. v. Dana und die Schrift von Bemis: American Neutrality. Boston 1866.
757.
Insbesondere darf der neutrale Stat nicht einer Kriegspartei Truppen liefern, noch Kriegsschiffe zur Verfügung stellen, noch Subsidien für die Kriegsführung bezahlen.
Die bewaffnete unmittelbare Beihülfe zur Kriegsführung ist Theil- nahme an der Kriegsführung, aber auch die mittelbare Unterstützung der Kriegs- führung durch Zahlung von Kriegssubsidien ist Betheiligung am Krieg und mit der neutralen Haltung nicht verträglich.
758.
Wenn einzelne Angehörige des neutralen States ohne Statsauftrag und ohne Statsermächtigung von sich aus als Reisläufer und Parteigänger einer Kriegspartei zulaufen und an der Kriegsführung Theil nehmen, so ist das nicht eine Verletzung der Neutralität, welche dem State zur Last fällt, aber diese Personen haben nun auch nicht die Rechte von friedlichen Personen anzusprechen, sondern sind als Feinde zu betrachten.
Recht der Neutralität.
Rechte der Neutralität behaupten will, verpflichtet, ſich jeder thatſächlichen Unterſtützung einer Kriegspartei zu Kriegszwecken zu enthalten.
1. Die Pflichten der Neutralen ſind nicht Dienſtbarkeiten, welche ihnen von andern Staten — insbeſondere den kriegführenden Staten — auferlegt werden; dafür gäbe es keinen Rechtsgrund; dieſe Pflichten ſind nur naturgemäße Be- dingungen der Neutralität. Man kann nicht neutral d. h. im Frieden bleiben, wenn man am Kriege Theil nimmt. Das Recht der Neutralität iſt durch die neutrale Haltung bedingt. Ueber dieſen Grundgedanken kann kein Zweifel ſein. Nur die Anwendung und Ausdehnung desſelben kann in Frage kommen.
2. Die berühmte Proclamation der Amerikaniſchen Neutralität durch den Präſidenten Washington vom 22. April 1793 in dem franzöſiſch-engliſchen Krieg erklärt es als die Pflicht und das Intereſſe der Vereinigten Staten, ſich „freundlich und unparteiiſch zu den beiden kriegführenden Mächten zu verhalten“ und ermahnt alle Bürger, „ſich aller feindlichen Handlungen wider eine der beiden gänzlich zu enthalten“. Die Art, wie er beiden Mächten gegenüber dieſe Neutralität trotz großer Schwierigkeiten handhabte, trug vieles dazu bei, das Recht der Neutralität zu befe- ſtigen und auszubilden. Vgl. WheatonInt. L. § 439 Anm. v. Dana und die Schrift von Bemis: American Neutrality. Boſton 1866.
757.
Insbeſondere darf der neutrale Stat nicht einer Kriegspartei Truppen liefern, noch Kriegsſchiffe zur Verfügung ſtellen, noch Subſidien für die Kriegsführung bezahlen.
Die bewaffnete unmittelbare Beihülfe zur Kriegsführung iſt Theil- nahme an der Kriegsführung, aber auch die mittelbare Unterſtützung der Kriegs- führung durch Zahlung von Kriegsſubſidien iſt Betheiligung am Krieg und mit der neutralen Haltung nicht verträglich.
758.
Wenn einzelne Angehörige des neutralen States ohne Statsauftrag und ohne Statsermächtigung von ſich aus als Reisläufer und Parteigänger einer Kriegspartei zulaufen und an der Kriegsführung Theil nehmen, ſo iſt das nicht eine Verletzung der Neutralität, welche dem State zur Laſt fällt, aber dieſe Perſonen haben nun auch nicht die Rechte von friedlichen Perſonen anzuſprechen, ſondern ſind als Feinde zu betrachten.
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Recht der Neutralität.
Rechte der Neutralität behaupten will, verpflichtet, ſich jeder thatſächlichen
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von andern Staten — insbeſondere den kriegführenden Staten — auferlegt werden;
dafür gäbe es keinen Rechtsgrund; dieſe Pflichten ſind nur naturgemäße Be-
dingungen der Neutralität. Man kann nicht neutral d. h. im Frieden
bleiben, wenn man am Kriege Theil nimmt. Das Recht der Neutralität iſt
durch die neutrale Haltung bedingt. Ueber dieſen Grundgedanken kann kein
Zweifel ſein. Nur die Anwendung und Ausdehnung desſelben kann in Frage
kommen.
2. Die berühmte Proclamation der Amerikaniſchen Neutralität durch den
Präſidenten Washington vom 22. April 1793 in dem franzöſiſch-engliſchen Krieg
erklärt es als die Pflicht und das Intereſſe der Vereinigten Staten, ſich „freundlich
und unparteiiſch zu den beiden kriegführenden Mächten zu verhalten“ und ermahnt
alle Bürger, „ſich aller feindlichen Handlungen wider eine der beiden gänzlich zu
enthalten“. Die Art, wie er beiden Mächten gegenüber dieſe Neutralität trotz großer
Schwierigkeiten handhabte, trug vieles dazu bei, das Recht der Neutralität zu befe-
ſtigen und auszubilden. Vgl. Wheaton Int. L. § 439 Anm. v. Dana und die
Schrift von Bemis: American Neutrality. Boſton 1866.
757.
Insbeſondere darf der neutrale Stat nicht einer Kriegspartei Truppen
liefern, noch Kriegsſchiffe zur Verfügung ſtellen, noch Subſidien für die
Kriegsführung bezahlen.
Die bewaffnete unmittelbare Beihülfe zur Kriegsführung iſt Theil-
nahme an der Kriegsführung, aber auch die mittelbare Unterſtützung der Kriegs-
führung durch Zahlung von Kriegsſubſidien iſt Betheiligung am Krieg und
mit der neutralen Haltung nicht verträglich.
758.
Wenn einzelne Angehörige des neutralen States ohne Statsauftrag
und ohne Statsermächtigung von ſich aus als Reisläufer und Parteigänger
einer Kriegspartei zulaufen und an der Kriegsführung Theil nehmen, ſo
iſt das nicht eine Verletzung der Neutralität, welche dem State zur Laſt
fällt, aber dieſe Perſonen haben nun auch nicht die Rechte von friedlichen
Perſonen anzuſprechen, ſondern ſind als Feinde zu betrachten.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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