Kriegsschiffe der feindlichen Parteien nicht einlaufen, noch über seine Ströme, Flüsse, Canäle hindurchfahren lassen, außer zu offenbar friedlichen Zwecken (Aufnahme von Lebensmitteln, Wasser, Kohlen) oder im Nothstand zur Ausbesserung, nicht aber zum Behuf erneuerter oder verstärkter Kriegs- rüstung.
1. Vgl. oben § 309 und 311. Amerikanisches Neutralitätsgesetz von 1818 Art. 5. Würde der neutrale Stat den feindlichen Kriegsschiffen seine Häfen öffnen, so würde er damit die Kriegsführung derselben unterstützen, und würde er denselben seine Wasserstraßen zur Benutzung überlassen, so wäre das der Einräumung der Landstraßen für feindliche Truppenmärsche gleichzustellen. Das ist Kriegshülfe und als solche dem Neutralen nicht erlaubt.
2. Dagegen die Aufnahme der Kriegsschiffe zu friedlichen Zwecken ist erlaubt, da der neutrale Stat im Frieden mit den kriegführenden Staten lebt, wenn gleich mittelbar daraus auch Vortheil für eine Kriegspartei erwachsen kann. Es ist das der Gestattung des Ankaufs von Lebensmitteln gleichzustellen. Vgl. oben § 767. Gewöhnlich wird den Kriegsschiffen, wenn sie Wasser oder Kohlen ein- nehmen oder Reparaturen vornehmen wollen und zu diesem Behuf in den neutralen Häfen zugelassen werden, nur eine ganz kurze Frist (meistens nur von 24 Stunden) verstattet. Dana zu WheatonInt. L. § 429. Die Englische Geh.-Raths- Verordnung vom 31. Jan. 1862 bestimmt, daß die feindlichen Kreuzer, welche in die neutralen englischen Häfen einlaufen, binnen 24 Stunden dieselben wieder verlassen müssen, außer wenn die Seenoth oder das Bedürfniß für die Nahrung der Mannschaft oder die Seefähigkeit des Schiffs zu sorgen, einen längeren Aufenthalt erfordert. Auch die Erlaubniß, Kohlen aufzunehmen, wird darin beschränkt durch die Rücksicht auf die Möglichkeit, zu einem andern Hafen zu gelangen.
774.
Verfolgte Truppentheile, die sich auf neutrales Gebiet flüchten, darf der neutrale Stat jederzeit aufnehmen, ihnen Nahrung verschaffen und jede menschliche Hülfe gewähren, ohne dadurch seine Neutralität zu ge- fährden.
Man nennt auch dieses Recht des neutralen States Asylrecht. Vgl. oben § 396. Die feindliche Verfolgung muß an der Grenze des neutralen States Halt machen, denn das Gebiet desselben ist Friedensgebiet. Daher finden auch die ver- folgten und versprengten Krieger hier vorerst Sicherheit und Ruhe. Indem der neutrale Stat sie aufnimmt und schützt, übt er sein Friedensrecht und keineswegs eine Kriegshülfe aus.
Neuntes Buch.
Kriegsſchiffe der feindlichen Parteien nicht einlaufen, noch über ſeine Ströme, Flüſſe, Canäle hindurchfahren laſſen, außer zu offenbar friedlichen Zwecken (Aufnahme von Lebensmitteln, Waſſer, Kohlen) oder im Nothſtand zur Ausbeſſerung, nicht aber zum Behuf erneuerter oder verſtärkter Kriegs- rüſtung.
1. Vgl. oben § 309 und 311. Amerikaniſches Neutralitätsgeſetz von 1818 Art. 5. Würde der neutrale Stat den feindlichen Kriegsſchiffen ſeine Häfen öffnen, ſo würde er damit die Kriegsführung derſelben unterſtützen, und würde er denſelben ſeine Waſſerſtraßen zur Benutzung überlaſſen, ſo wäre das der Einräumung der Landſtraßen für feindliche Truppenmärſche gleichzuſtellen. Das iſt Kriegshülfe und als ſolche dem Neutralen nicht erlaubt.
2. Dagegen die Aufnahme der Kriegsſchiffe zu friedlichen Zwecken iſt erlaubt, da der neutrale Stat im Frieden mit den kriegführenden Staten lebt, wenn gleich mittelbar daraus auch Vortheil für eine Kriegspartei erwachſen kann. Es iſt das der Geſtattung des Ankaufs von Lebensmitteln gleichzuſtellen. Vgl. oben § 767. Gewöhnlich wird den Kriegsſchiffen, wenn ſie Waſſer oder Kohlen ein- nehmen oder Reparaturen vornehmen wollen und zu dieſem Behuf in den neutralen Häfen zugelaſſen werden, nur eine ganz kurze Friſt (meiſtens nur von 24 Stunden) verſtattet. Dana zu WheatonInt. L. § 429. Die Engliſche Geh.-Raths- Verordnung vom 31. Jan. 1862 beſtimmt, daß die feindlichen Kreuzer, welche in die neutralen engliſchen Häfen einlaufen, binnen 24 Stunden dieſelben wieder verlaſſen müſſen, außer wenn die Seenoth oder das Bedürfniß für die Nahrung der Mannſchaft oder die Seefähigkeit des Schiffs zu ſorgen, einen längeren Aufenthalt erfordert. Auch die Erlaubniß, Kohlen aufzunehmen, wird darin beſchränkt durch die Rückſicht auf die Möglichkeit, zu einem andern Hafen zu gelangen.
774.
Verfolgte Truppentheile, die ſich auf neutrales Gebiet flüchten, darf der neutrale Stat jederzeit aufnehmen, ihnen Nahrung verſchaffen und jede menſchliche Hülfe gewähren, ohne dadurch ſeine Neutralität zu ge- fährden.
Man nennt auch dieſes Recht des neutralen States Aſylrecht. Vgl. oben § 396. Die feindliche Verfolgung muß an der Grenze des neutralen States Halt machen, denn das Gebiet desſelben iſt Friedensgebiet. Daher finden auch die ver- folgten und verſprengten Krieger hier vorerſt Sicherheit und Ruhe. Indem der neutrale Stat ſie aufnimmt und ſchützt, übt er ſein Friedensrecht und keineswegs eine Kriegshülfe aus.
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Neuntes Buch.
Kriegsſchiffe der feindlichen Parteien nicht einlaufen, noch über ſeine Ströme,
Flüſſe, Canäle hindurchfahren laſſen, außer zu offenbar friedlichen Zwecken
(Aufnahme von Lebensmitteln, Waſſer, Kohlen) oder im Nothſtand zur
Ausbeſſerung, nicht aber zum Behuf erneuerter oder verſtärkter Kriegs-
rüſtung.
1. Vgl. oben § 309 und 311. Amerikaniſches Neutralitätsgeſetz von
1818 Art. 5. Würde der neutrale Stat den feindlichen Kriegsſchiffen ſeine Häfen
öffnen, ſo würde er damit die Kriegsführung derſelben unterſtützen, und würde
er denſelben ſeine Waſſerſtraßen zur Benutzung überlaſſen, ſo wäre das der
Einräumung der Landſtraßen für feindliche Truppenmärſche gleichzuſtellen. Das iſt
Kriegshülfe und als ſolche dem Neutralen nicht erlaubt.
2. Dagegen die Aufnahme der Kriegsſchiffe zu friedlichen Zwecken iſt
erlaubt, da der neutrale Stat im Frieden mit den kriegführenden Staten lebt,
wenn gleich mittelbar daraus auch Vortheil für eine Kriegspartei erwachſen kann.
Es iſt das der Geſtattung des Ankaufs von Lebensmitteln gleichzuſtellen. Vgl. oben
§ 767. Gewöhnlich wird den Kriegsſchiffen, wenn ſie Waſſer oder Kohlen ein-
nehmen oder Reparaturen vornehmen wollen und zu dieſem Behuf in den neutralen
Häfen zugelaſſen werden, nur eine ganz kurze Friſt (meiſtens nur von 24 Stunden)
verſtattet. Dana zu Wheaton Int. L. § 429. Die Engliſche Geh.-Raths-
Verordnung vom 31. Jan. 1862 beſtimmt, daß die feindlichen Kreuzer, welche
in die neutralen engliſchen Häfen einlaufen, binnen 24 Stunden dieſelben wieder
verlaſſen müſſen, außer wenn die Seenoth oder das Bedürfniß für die Nahrung
der Mannſchaft oder die Seefähigkeit des Schiffs zu ſorgen, einen längeren Aufenthalt
erfordert. Auch die Erlaubniß, Kohlen aufzunehmen, wird darin beſchränkt durch
die Rückſicht auf die Möglichkeit, zu einem andern Hafen zu gelangen.
774.
Verfolgte Truppentheile, die ſich auf neutrales Gebiet flüchten, darf
der neutrale Stat jederzeit aufnehmen, ihnen Nahrung verſchaffen und
jede menſchliche Hülfe gewähren, ohne dadurch ſeine Neutralität zu ge-
fährden.
Man nennt auch dieſes Recht des neutralen States Aſylrecht. Vgl. oben
§ 396. Die feindliche Verfolgung muß an der Grenze des neutralen States Halt
machen, denn das Gebiet desſelben iſt Friedensgebiet. Daher finden auch die ver-
folgten und verſprengten Krieger hier vorerſt Sicherheit und Ruhe. Indem der
neutrale Stat ſie aufnimmt und ſchützt, übt er ſein Friedensrecht und keineswegs
eine Kriegshülfe aus.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/440>, abgerufen am 22.11.2024.
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