Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Neuntes Buch. dürfe, Prisen vorläufig in den neutralen Häfen zu sichern; wie das die VereinigtenStaten vor ihren Neutralitätsgesetzen Frankreich vertragsmäßig gestattet hatten. Soweit das als eine Handlung der Sicherung des genommenen Schiffs gegen die Gefahr des Untergangs zu betrachten ist, so hat dieses Bergen desselben eine durchaus friedliche Bedeutung. Insofern aber die Einbringung des Schiffs in den neutralen Hafen nur in der Absicht geschieht, die gemachte Beute zu deponiren und möglichst bald und bequem wieder auf neue Beute auszufahren, ist das Be- nutzung des neutralen Gebiets zu Kriegszwecken, und dann nicht zu dulden. Der neutrale Stat wird daher wohl thun, um alle Zweifel gegen seine neutrale Haltung zu beseitigen, die Aufnahme solcher Prisen überhaupt zu verweigern, außer soweit die Seenoth und daher die Interessen der Humanität die Gewährung eines Zufluchtsorts rechtfertigen. Ueberhaupt läßt sich in der Entwicklung des Völker- rechts ein Zug zu strengerer und sorgfältigerer Wahrung der Neutralität nicht verkennen. Die heutige Welt nimmt leichter Anstoß an irgend einer Begün- stigung der Kriegsführung, als die Vergangenheit, welche geneigter war, die Sou- veränetät des neutralen Stats in ausgedehntem Sinne anzuwenden. Manche frühere Verträge gestatteten daher die Einbringung der Prisen zum Verkauf in die neutralen Häfen, während die neuere Praxis das eher versagt. Vgl. Heffter § 147. 778. Der neutrale Stat ist verpflichtet, zur Wahrung seiner Neutralität Die Staten sind gegenüber andern Staten verantwortlich nicht bloß für 779. Man darf dem neutralen Stat nicht jede durch seine Angehörigen So wenig ein Stat im Innern alle Verbrechen verhindern kann, so wenig Neuntes Buch. dürfe, Priſen vorläufig in den neutralen Häfen zu ſichern; wie das die VereinigtenStaten vor ihren Neutralitätsgeſetzen Frankreich vertragsmäßig geſtattet hatten. Soweit das als eine Handlung der Sicherung des genommenen Schiffs gegen die Gefahr des Untergangs zu betrachten iſt, ſo hat dieſes Bergen desſelben eine durchaus friedliche Bedeutung. Inſofern aber die Einbringung des Schiffs in den neutralen Hafen nur in der Abſicht geſchieht, die gemachte Beute zu deponiren und möglichſt bald und bequem wieder auf neue Beute auszufahren, iſt das Be- nutzung des neutralen Gebiets zu Kriegszwecken, und dann nicht zu dulden. Der neutrale Stat wird daher wohl thun, um alle Zweifel gegen ſeine neutrale Haltung zu beſeitigen, die Aufnahme ſolcher Priſen überhaupt zu verweigern, außer ſoweit die Seenoth und daher die Intereſſen der Humanität die Gewährung eines Zufluchtsorts rechtfertigen. Ueberhaupt läßt ſich in der Entwicklung des Völker- rechts ein Zug zu ſtrengerer und ſorgfältigerer Wahrung der Neutralität nicht verkennen. Die heutige Welt nimmt leichter Anſtoß an irgend einer Begün- ſtigung der Kriegsführung, als die Vergangenheit, welche geneigter war, die Sou- veränetät des neutralen Stats in ausgedehntem Sinne anzuwenden. Manche frühere Verträge geſtatteten daher die Einbringung der Priſen zum Verkauf in die neutralen Häfen, während die neuere Praxis das eher verſagt. Vgl. Heffter § 147. 778. Der neutrale Stat iſt verpflichtet, zur Wahrung ſeiner Neutralität Die Staten ſind gegenüber andern Staten verantwortlich nicht bloß für 779. Man darf dem neutralen Stat nicht jede durch ſeine Angehörigen So wenig ein Stat im Innern alle Verbrechen verhindern kann, ſo wenig <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0442" n="420"/><fw place="top" type="header">Neuntes Buch.</fw><lb/> dürfe, Priſen vorläufig in den neutralen Häfen zu ſichern; wie das die Vereinigten<lb/> Staten vor ihren Neutralitätsgeſetzen Frankreich vertragsmäßig geſtattet hatten.<lb/> Soweit das als eine Handlung der <hi rendition="#g">Sicherung</hi> des genommenen Schiffs gegen<lb/> die Gefahr des Untergangs zu betrachten iſt, ſo hat dieſes Bergen desſelben eine<lb/> durchaus <hi rendition="#g">friedliche</hi> Bedeutung. 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Neuntes Buch.
dürfe, Priſen vorläufig in den neutralen Häfen zu ſichern; wie das die Vereinigten
Staten vor ihren Neutralitätsgeſetzen Frankreich vertragsmäßig geſtattet hatten.
Soweit das als eine Handlung der Sicherung des genommenen Schiffs gegen
die Gefahr des Untergangs zu betrachten iſt, ſo hat dieſes Bergen desſelben eine
durchaus friedliche Bedeutung. Inſofern aber die Einbringung des Schiffs in
den neutralen Hafen nur in der Abſicht geſchieht, die gemachte Beute zu deponiren
und möglichſt bald und bequem wieder auf neue Beute auszufahren, iſt das Be-
nutzung des neutralen Gebiets zu Kriegszwecken, und dann nicht zu dulden.
Der neutrale Stat wird daher wohl thun, um alle Zweifel gegen ſeine neutrale
Haltung zu beſeitigen, die Aufnahme ſolcher Priſen überhaupt zu verweigern, außer
ſoweit die Seenoth und daher die Intereſſen der Humanität die Gewährung
eines Zufluchtsorts rechtfertigen. Ueberhaupt läßt ſich in der Entwicklung des Völker-
rechts ein Zug zu ſtrengerer und ſorgfältigerer Wahrung der Neutralität
nicht verkennen. Die heutige Welt nimmt leichter Anſtoß an irgend einer Begün-
ſtigung der Kriegsführung, als die Vergangenheit, welche geneigter war, die Sou-
veränetät des neutralen Stats in ausgedehntem Sinne anzuwenden. Manche frühere
Verträge geſtatteten daher die Einbringung der Priſen zum Verkauf in die neutralen
Häfen, während die neuere Praxis das eher verſagt. Vgl. Heffter § 147.
778.
Der neutrale Stat iſt verpflichtet, zur Wahrung ſeiner Neutralität
gegen Verletzungen durch Andere die erforderlichen Maßregeln zu ergreifen
und nöthigenfalls ſeine Statsmacht dafür einzuſetzen.
Die Staten ſind gegenüber andern Staten verantwortlich nicht bloß für
die Rechtsverletzungen, welche in ihrem Auftrag verübt worden ſind, ſondern auch
dafür, daß ſie Privatperſonen nicht hindern, in ihrem Gebiet oder von ihrem
Gebiete aus andere Staten zu verletzen. Der Stat muß dafür ſorgen, daß das
friedliche und freundliche Verhältniß zu andern Staten auch von ſeinen Angehörigen
und Einwohnern geachtet werde. Vgl. oben § 467.
779.
Man darf dem neutralen Stat nicht jede durch ſeine Angehörigen
oder Bewohner verübte Verletzung der Neutralitätspflichten zur Schuld
anrechnen, wohl aber eine offenbare Vernachläſſigung der Sorge für ſeine
Neutralität oder eine jede abſichtliche Begünſtigung des Neutralitätsbruchs.
So wenig ein Stat im Innern alle Verbrechen verhindern kann, ſo wenig
kann er jeden Friedensbruch nach Außen verhindern. Die völkerrechtliche Ver-
antwortlichkeit des States reicht nicht weiter als ſeine Verſchuldung, und
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