diese Barberei nur aus moralischen und vernünftigen Gründen. Die ein- zige völkerrechtliche Schranke findet er in dem Verbot, die Frauen zu miß- brauchen, zu welchem endlich das christliche Völkerrecht sich entschlossen habe.
Das heutige Völkerrecht verwirft den Gedanken einer absoluten Will- kürgewalt über die Privatpersonen vollständig und gestattet weder Miß- handlung noch Beleidigung, am wenigsten Tödtung derselben. Das Recht der persönlichen Sicherheit, der Ehre, der Freiheit ist Privatrecht und dieses bleibt im Kriege unversehrt. Die feindliche Kriegsgewalt ist nur zu den Maßregeln befugt, welche zu Statszwecken dienen und im Interesse der Kriegsführung liegen. Sie kann die freie Bewegung der Privaten hemmen, den Privatverkehr unterbrechen, Straßen und Plätze absperren, die Einwohner entwaffnen u. s. f. Wie das Privatrecht sich dem ge- waltigeren Rechte der Gesammtheit, d. h. dem Statsrecht auch im Frieden unterordnen muß, aber doch nicht von dem öffentlichen Rechte aufgehoben und verschlungen werden darf, so legt das öffentliche Kriegsrecht seine noth- wendigen Gebote auch den Privaten auf, aber es erkennt zugleich das Privatrecht an. Die allgemeine Noth und Gefahr, welche der Krieg auch über die Privaten verhängt, ist ohnehin groß und schadet genug; die un- vermeidlichen Leiden der Bevölkerung dürfen daher nicht grund- und zweck- los durch vermeidliche Uebel vergrößert und erschwert werden. Freilich wird auch jetzt noch die Rechtsregel in der Praxis nicht immer genau be- folgt, und mancherlei Ungebühr wird noch straflos im Kriege gegen Pri- vaten verübt. Aber im Großen und Ganzen ist es wahr, daß die fried- lichen Bewohner einer Stadt oder selbst eines Dorfes und einzelner Höfe dem Gang der Kriegsereignisse mit weit mehr Ruhe entgegensehen dürfen, als in irgend einer früheren Periode der Geschichte. Es ist ein großes Verdienst Vattel's, daß er zuerst der humaner werdenden Kriegsübung der stehenden Heere auch einen völkerrechtlichen Ausdruck gegeben und durch seine klare Darstellung des neueren Völkerrechts gerechtere Grundsätze populär gemacht hat.
In einer andern Lage freilich sind diejenigen Personen, welche an der Kriegsführung selbst einen thätigen Antheil nehmen, voraus das Heer und wer sonst mit den Waffen oder durch persönliche Dienste den Kampf unterstützt. Nach der ältern wiederum barbarischen Theorie sprach man hier von einem Recht der Kriegsgewalt über Leben und Tod ihrer activen Feinde. Das humane Völkerrecht von heute verwirft auch dieses angebliche Recht der Gewalt als grundlos.
Bluntschli, Das Völkerrecht. 3
Einleitung.
dieſe Barberei nur aus moraliſchen und vernünftigen Gründen. Die ein- zige völkerrechtliche Schranke findet er in dem Verbot, die Frauen zu miß- brauchen, zu welchem endlich das chriſtliche Völkerrecht ſich entſchloſſen habe.
Das heutige Völkerrecht verwirft den Gedanken einer abſoluten Will- kürgewalt über die Privatperſonen vollſtändig und geſtattet weder Miß- handlung noch Beleidigung, am wenigſten Tödtung derſelben. Das Recht der perſönlichen Sicherheit, der Ehre, der Freiheit iſt Privatrecht und dieſes bleibt im Kriege unverſehrt. Die feindliche Kriegsgewalt iſt nur zu den Maßregeln befugt, welche zu Statszwecken dienen und im Intereſſe der Kriegsführung liegen. Sie kann die freie Bewegung der Privaten hemmen, den Privatverkehr unterbrechen, Straßen und Plätze abſperren, die Einwohner entwaffnen u. ſ. f. Wie das Privatrecht ſich dem ge- waltigeren Rechte der Geſammtheit, d. h. dem Statsrecht auch im Frieden unterordnen muß, aber doch nicht von dem öffentlichen Rechte aufgehoben und verſchlungen werden darf, ſo legt das öffentliche Kriegsrecht ſeine noth- wendigen Gebote auch den Privaten auf, aber es erkennt zugleich das Privatrecht an. Die allgemeine Noth und Gefahr, welche der Krieg auch über die Privaten verhängt, iſt ohnehin groß und ſchadet genug; die un- vermeidlichen Leiden der Bevölkerung dürfen daher nicht grund- und zweck- los durch vermeidliche Uebel vergrößert und erſchwert werden. Freilich wird auch jetzt noch die Rechtsregel in der Praxis nicht immer genau be- folgt, und mancherlei Ungebühr wird noch ſtraflos im Kriege gegen Pri- vaten verübt. Aber im Großen und Ganzen iſt es wahr, daß die fried- lichen Bewohner einer Stadt oder ſelbſt eines Dorfes und einzelner Höfe dem Gang der Kriegsereigniſſe mit weit mehr Ruhe entgegenſehen dürfen, als in irgend einer früheren Periode der Geſchichte. Es iſt ein großes Verdienſt Vattel’s, daß er zuerſt der humaner werdenden Kriegsübung der ſtehenden Heere auch einen völkerrechtlichen Ausdruck gegeben und durch ſeine klare Darſtellung des neueren Völkerrechts gerechtere Grundſätze populär gemacht hat.
In einer andern Lage freilich ſind diejenigen Perſonen, welche an der Kriegsführung ſelbſt einen thätigen Antheil nehmen, voraus das Heer und wer ſonſt mit den Waffen oder durch perſönliche Dienſte den Kampf unterſtützt. Nach der ältern wiederum barbariſchen Theorie ſprach man hier von einem Recht der Kriegsgewalt über Leben und Tod ihrer activen Feinde. Das humane Völkerrecht von heute verwirft auch dieſes angebliche Recht der Gewalt als grundlos.
Bluntſchli, Das Völkerrecht. 3
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Einleitung.
dieſe Barberei nur aus moraliſchen und vernünftigen Gründen. Die ein-
zige völkerrechtliche Schranke findet er in dem Verbot, die Frauen zu miß-
brauchen, zu welchem endlich das chriſtliche Völkerrecht ſich entſchloſſen habe.
Das heutige Völkerrecht verwirft den Gedanken einer abſoluten Will-
kürgewalt über die Privatperſonen vollſtändig und geſtattet weder Miß-
handlung noch Beleidigung, am wenigſten Tödtung derſelben. Das Recht
der perſönlichen Sicherheit, der Ehre, der Freiheit iſt Privatrecht und
dieſes bleibt im Kriege unverſehrt. Die feindliche Kriegsgewalt iſt nur zu
den Maßregeln befugt, welche zu Statszwecken dienen und im Intereſſe
der Kriegsführung liegen. Sie kann die freie Bewegung der Privaten
hemmen, den Privatverkehr unterbrechen, Straßen und Plätze abſperren,
die Einwohner entwaffnen u. ſ. f. Wie das Privatrecht ſich dem ge-
waltigeren Rechte der Geſammtheit, d. h. dem Statsrecht auch im Frieden
unterordnen muß, aber doch nicht von dem öffentlichen Rechte aufgehoben
und verſchlungen werden darf, ſo legt das öffentliche Kriegsrecht ſeine noth-
wendigen Gebote auch den Privaten auf, aber es erkennt zugleich das
Privatrecht an. Die allgemeine Noth und Gefahr, welche der Krieg auch
über die Privaten verhängt, iſt ohnehin groß und ſchadet genug; die un-
vermeidlichen Leiden der Bevölkerung dürfen daher nicht grund- und zweck-
los durch vermeidliche Uebel vergrößert und erſchwert werden. Freilich
wird auch jetzt noch die Rechtsregel in der Praxis nicht immer genau be-
folgt, und mancherlei Ungebühr wird noch ſtraflos im Kriege gegen Pri-
vaten verübt. Aber im Großen und Ganzen iſt es wahr, daß die fried-
lichen Bewohner einer Stadt oder ſelbſt eines Dorfes und einzelner Höfe
dem Gang der Kriegsereigniſſe mit weit mehr Ruhe entgegenſehen dürfen,
als in irgend einer früheren Periode der Geſchichte. Es iſt ein großes
Verdienſt Vattel’s, daß er zuerſt der humaner werdenden Kriegsübung
der ſtehenden Heere auch einen völkerrechtlichen Ausdruck gegeben und durch
ſeine klare Darſtellung des neueren Völkerrechts gerechtere Grundſätze
populär gemacht hat.
In einer andern Lage freilich ſind diejenigen Perſonen, welche an
der Kriegsführung ſelbſt einen thätigen Antheil nehmen, voraus das
Heer und wer ſonſt mit den Waffen oder durch perſönliche Dienſte den
Kampf unterſtützt. Nach der ältern wiederum barbariſchen Theorie ſprach
man hier von einem Recht der Kriegsgewalt über Leben und Tod
ihrer activen Feinde. Das humane Völkerrecht von heute verwirft auch
dieſes angebliche Recht der Gewalt als grundlos.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/55>, abgerufen am 21.11.2024.
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