Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts. gegenüber dadurch zu verbinden, nicht aber wenn in demselben nur die Ueberzeugungkund gegeben wird von dem, was allgemeine Rechtsordnung sei und daher auch von jedem State beachtet werden müsse (§ 13). Was völkerrechtlich im Gewande des Vertragsrechts erscheint, ist bei näherer Prüfung oft dem Wesen nach Gesetzes- recht, d. h. eine Rechtsregel, deren nothwendig verbindliche Kraft durch den Vertrag nur anerkannt und bestätigt, nicht erst neu begründet wird. 3. Wenn die Gesetze und Verordnungen der Einzelstaten völkerrechtliche Ver- 13. Die Uebereinstimmung der Völker (consensus gentium) wirkt mehr Der Widerspruch eines einzelnen Stats genügt daher ebenso wenig, 1. Der Consens der Völker bleibt nicht unveränderlich. Er wandelt 2. Das sogenannte "conventionelle", d. h. auf Vertragswillen beruhende 14. Aus den Uebungen und Sitten der Völker darf man auf ihr Rechts- 1. Bynkershoek de Reb. belli praef.: "Ut mores gentium mutan- Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts. gegenüber dadurch zu verbinden, nicht aber wenn in demſelben nur die Ueberzeugungkund gegeben wird von dem, was allgemeine Rechtsordnung ſei und daher auch von jedem State beachtet werden müſſe (§ 13). Was völkerrechtlich im Gewande des Vertragsrechts erſcheint, iſt bei näherer Prüfung oft dem Weſen nach Geſetzes- recht, d. h. eine Rechtsregel, deren nothwendig verbindliche Kraft durch den Vertrag nur anerkannt und beſtätigt, nicht erſt neu begründet wird. 3. Wenn die Geſetze und Verordnungen der Einzelſtaten völkerrechtliche Ver- 13. Die Uebereinſtimmung der Völker (consensus gentium) wirkt mehr Der Widerſpruch eines einzelnen Stats genügt daher ebenſo wenig, 1. Der Conſens der Völker bleibt nicht unveränderlich. Er wandelt 2. Das ſogenannte „conventionelle“, d. h. auf Vertragswillen beruhende 14. Aus den Uebungen und Sitten der Völker darf man auf ihr Rechts- 1. Bynkershoek de Reb. belli praef.: „Ut mores gentium mutan- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0081" n="59"/><fw place="top" type="header">Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts.</fw><lb/> gegenüber dadurch zu verbinden, nicht aber wenn in demſelben nur die Ueberzeugung<lb/> kund gegeben wird von dem, was allgemeine Rechtsordnung ſei und daher auch von<lb/> jedem State beachtet werden müſſe (§ 13). Was völkerrechtlich im Gewande des<lb/><hi rendition="#g">Vertragsrechts</hi> erſcheint, iſt bei näherer Prüfung oft dem Weſen nach <hi rendition="#g">Geſetzes-<lb/> recht</hi>, d. h. eine Rechtsregel, deren nothwendig verbindliche Kraft durch den Vertrag<lb/> nur <hi rendition="#g">anerkannt</hi> und <hi rendition="#g">beſtätigt</hi>, nicht erſt <hi rendition="#g">neu begründet</hi> wird.</p><lb/> <p>3. 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Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts.
gegenüber dadurch zu verbinden, nicht aber wenn in demſelben nur die Ueberzeugung
kund gegeben wird von dem, was allgemeine Rechtsordnung ſei und daher auch von
jedem State beachtet werden müſſe (§ 13). Was völkerrechtlich im Gewande des
Vertragsrechts erſcheint, iſt bei näherer Prüfung oft dem Weſen nach Geſetzes-
recht, d. h. eine Rechtsregel, deren nothwendig verbindliche Kraft durch den Vertrag
nur anerkannt und beſtätigt, nicht erſt neu begründet wird.
3. Wenn die Geſetze und Verordnungen der Einzelſtaten völkerrechtliche Ver-
hältniſſe regeln, ſo ſind ſie deßhalb eine Quelle des Völkerrechts, obwohl ſie der for-
mellen Betrachtung ſich nur als ſtatsrechtliche Acte darſtellen. Dahin gehören z. B.
die Priſenreglemente, das Nordamerikaniſche Neutralitätsgeſetz u. ſ. f.
13.
Die Uebereinſtimmung der Völker (consensus gentium) wirkt mehr
noch als Ausdruck des gemeinſamen Rechtsbewußtſeins der Menſchheit denn
als Willensäußerung der einzelnen Staten.
Der Widerſpruch eines einzelnen Stats genügt daher ebenſo wenig,
ihn von den offenbaren Pflichten des Völkerrechts zu entbinden, als die
Nichtbeachtung einer Rechtsregel in einzelnen Fällen die Uebereinſtimmung
der Völker zu entkräften vermag.
1. Der Conſens der Völker bleibt nicht unveränderlich. Er wandelt
ſich mit der Zeit und entwickelt ſich mit dem Bewußtſein des Menſchengeiſtes. In
den Uebungen der Völker wird ſowohl das Beharrliche als das Veränderliche darin
offenbar (§ 14).
2. Das ſogenannte „conventionelle“, d. h. auf Vertragswillen beruhende
Völkerrecht iſt nur bindend für die Vertragsparteien; das nothwendige
Völkerrecht dagegen bindet, ſoweit ſeine Nothwendigkeit reicht, auch die Staten, welche
ſich nicht erklärt haben, ja ſogar diſſentirende Staten. Die Zweifel, ob ein Rechts-
ſatz nothwendig oder nur conventionel ſei, ſind nicht durch den bloßen Hinweis auf
einen Staatsvertrag zu beſeitigen, welcher denſelben ausſpreche, denn in dem Ver-
trage kann ſowohl conventionelles Recht willkürlich feſtgeſtellt als nothwendiges
Recht gemeinſam ausgeſprochen worden ſein. Vgl. unten §. 110.
14.
Aus den Uebungen und Sitten der Völker darf man auf ihr Rechts-
bewußtſein und auf die Rechtsgeſetze ſchließen, welche darin ſichtbar werden.
Auch die Uebungen ſind nicht unveränderlich noch unverbeſſerlich. Die
Vervollkommnung des Völkerrechts zeigt ſich in den verbeſſerten und ver-
edelten Uebungen der Völker.
1. Bynkershoek de Reb. belli praef.: „Ut mores gentium mutan-
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