Die Veränderung einer Statsverfassung hat daher in der Regel keine völkerrechtlichen Wirkungen.
Vgl. oben §§ 9, 17, 18. Verfassungsfragen sind innere Statsfragen. Ob ein Stat als Monarchie oder Republik oder ob er absolut oder repräsentativ organisirt sei, das ist zunächst für das Völkerrecht gleichgültig. Die politischen Beziehungen eines States zu andern Staten werden durch solche Verfassungs- änderungen wohl oft genug verändert, indem die frühern Machthaber gestürzt werden und andere Parteien zur Herrschaft gelangen. Mit der frühern Regierung bestand vielleicht eine intime Freundschaft, die mit der neuen nicht fortgesetzt werden kann, oder es waren damals gespannte Verhältnisse mit jener, die leicht mit dieser ausgeglichen werden. Aber die völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse werden durch die innere Verfassungsänderung nicht betroffen und nicht geändert. Möglich daß die geänderte Politik im Krieg und Frieden auch diese Verhältnisse im Verfolge ändert. Das ist aber nicht eine unmittelbare Wirkung der Verfassungsänderung, sondern eine Folge anderer rechtbildender Ereignisse.
40.
Der Stat bleibt dieselbe völkerrechtliche Person, wenn er gleich bald in der Gestalt einer Monarchie bald in der Form einer Republik erscheint, in der einen Zeitphase constitutionel, in einer andern autokratisch regiert wird. Deßhalb bleiben auch seine Rechte und Verpflichtungen gegenüber andern Staten fortbestehn.
Der englische Stat war völkerrechtlich derselbe Stat vor, während und nach den Revolutionen von 1649 und 1688, obwohl die Statsformen und die Re- gierungen heftige Wechsel erlebten. Ebenso blieb der französische Stat als Person fortbestehn, ungeachtet er seit 1789 eine Reihe der durchgreifendsten Ver- fassungsänderungen erfahren hat. Die Individualität des Volks und die Fortdauer des Landes bestimmen die Existenz des States und jene verharren im Wesen, wenn auch die äußeren Erscheinungsformen sich verändern.
41.
Da die Staten als Personen Verträge mit einander eingehen, so ist die Fortdauer der Vertragsverhältnisse nicht bedingt durch die Fortdauer der Regierungen, welche die Verträge abgeschlossen haben.
Nicht bloß die Gesanten, sondern auch die Fürsten schließen die Verträge ab nicht für sich, sondern als Repräsentanten der Staten. Die Staten selbst erwerben daraus Rechte und werden dadurch verpflichtet. Vgl. unten Buch VI. Deßhalb dauern diese Rechtsverhältnisse fort, wenn gleich eine andere Dynastie in einem der Staten zur Herrschaft erhoben oder die Monarchie in die Republik um- gewandelt wird. Der Satz wurde auch in den Verhandlungen der europäischen
Völkerrechtliche Perſonen.
Die Veränderung einer Statsverfaſſung hat daher in der Regel keine völkerrechtlichen Wirkungen.
Vgl. oben §§ 9, 17, 18. Verfaſſungsfragen ſind innere Statsfragen. Ob ein Stat als Monarchie oder Republik oder ob er abſolut oder repräſentativ organiſirt ſei, das iſt zunächſt für das Völkerrecht gleichgültig. Die politiſchen Beziehungen eines States zu andern Staten werden durch ſolche Verfaſſungs- änderungen wohl oft genug verändert, indem die frühern Machthaber geſtürzt werden und andere Parteien zur Herrſchaft gelangen. Mit der frühern Regierung beſtand vielleicht eine intime Freundſchaft, die mit der neuen nicht fortgeſetzt werden kann, oder es waren damals geſpannte Verhältniſſe mit jener, die leicht mit dieſer ausgeglichen werden. Aber die völkerrechtlichen Rechtsverhältniſſe werden durch die innere Verfaſſungsänderung nicht betroffen und nicht geändert. Möglich daß die geänderte Politik im Krieg und Frieden auch dieſe Verhältniſſe im Verfolge ändert. Das iſt aber nicht eine unmittelbare Wirkung der Verfaſſungsänderung, ſondern eine Folge anderer rechtbildender Ereigniſſe.
40.
Der Stat bleibt dieſelbe völkerrechtliche Perſon, wenn er gleich bald in der Geſtalt einer Monarchie bald in der Form einer Republik erſcheint, in der einen Zeitphaſe conſtitutionel, in einer andern autokratiſch regiert wird. Deßhalb bleiben auch ſeine Rechte und Verpflichtungen gegenüber andern Staten fortbeſtehn.
Der engliſche Stat war völkerrechtlich derſelbe Stat vor, während und nach den Revolutionen von 1649 und 1688, obwohl die Statsformen und die Re- gierungen heftige Wechſel erlebten. Ebenſo blieb der franzöſiſche Stat als Perſon fortbeſtehn, ungeachtet er ſeit 1789 eine Reihe der durchgreifendſten Ver- faſſungsänderungen erfahren hat. Die Individualität des Volks und die Fortdauer des Landes beſtimmen die Exiſtenz des States und jene verharren im Weſen, wenn auch die äußeren Erſcheinungsformen ſich verändern.
41.
Da die Staten als Perſonen Verträge mit einander eingehen, ſo iſt die Fortdauer der Vertragsverhältniſſe nicht bedingt durch die Fortdauer der Regierungen, welche die Verträge abgeſchloſſen haben.
Nicht bloß die Geſanten, ſondern auch die Fürſten ſchließen die Verträge ab nicht für ſich, ſondern als Repräſentanten der Staten. Die Staten ſelbſt erwerben daraus Rechte und werden dadurch verpflichtet. Vgl. unten Buch VI. Deßhalb dauern dieſe Rechtsverhältniſſe fort, wenn gleich eine andere Dynaſtie in einem der Staten zur Herrſchaft erhoben oder die Monarchie in die Republik um- gewandelt wird. Der Satz wurde auch in den Verhandlungen der europäiſchen
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Völkerrechtliche Perſonen.
Die Veränderung einer Statsverfaſſung hat daher in der Regel keine
völkerrechtlichen Wirkungen.
Vgl. oben §§ 9, 17, 18. Verfaſſungsfragen ſind innere Statsfragen.
Ob ein Stat als Monarchie oder Republik oder ob er abſolut oder repräſentativ
organiſirt ſei, das iſt zunächſt für das Völkerrecht gleichgültig. Die politiſchen
Beziehungen eines States zu andern Staten werden durch ſolche Verfaſſungs-
änderungen wohl oft genug verändert, indem die frühern Machthaber geſtürzt
werden und andere Parteien zur Herrſchaft gelangen. Mit der frühern Regierung
beſtand vielleicht eine intime Freundſchaft, die mit der neuen nicht fortgeſetzt werden
kann, oder es waren damals geſpannte Verhältniſſe mit jener, die leicht mit dieſer
ausgeglichen werden. Aber die völkerrechtlichen Rechtsverhältniſſe werden durch
die innere Verfaſſungsänderung nicht betroffen und nicht geändert. Möglich daß die
geänderte Politik im Krieg und Frieden auch dieſe Verhältniſſe im Verfolge ändert.
Das iſt aber nicht eine unmittelbare Wirkung der Verfaſſungsänderung, ſondern
eine Folge anderer rechtbildender Ereigniſſe.
40.
Der Stat bleibt dieſelbe völkerrechtliche Perſon, wenn er gleich bald
in der Geſtalt einer Monarchie bald in der Form einer Republik erſcheint,
in der einen Zeitphaſe conſtitutionel, in einer andern autokratiſch regiert
wird. Deßhalb bleiben auch ſeine Rechte und Verpflichtungen gegenüber
andern Staten fortbeſtehn.
Der engliſche Stat war völkerrechtlich derſelbe Stat vor, während und
nach den Revolutionen von 1649 und 1688, obwohl die Statsformen und die Re-
gierungen heftige Wechſel erlebten. Ebenſo blieb der franzöſiſche Stat als
Perſon fortbeſtehn, ungeachtet er ſeit 1789 eine Reihe der durchgreifendſten Ver-
faſſungsänderungen erfahren hat. Die Individualität des Volks und die Fortdauer
des Landes beſtimmen die Exiſtenz des States und jene verharren im Weſen, wenn
auch die äußeren Erſcheinungsformen ſich verändern.
41.
Da die Staten als Perſonen Verträge mit einander eingehen, ſo
iſt die Fortdauer der Vertragsverhältniſſe nicht bedingt durch die Fortdauer
der Regierungen, welche die Verträge abgeſchloſſen haben.
Nicht bloß die Geſanten, ſondern auch die Fürſten ſchließen die Verträge ab
nicht für ſich, ſondern als Repräſentanten der Staten. Die Staten ſelbſt
erwerben daraus Rechte und werden dadurch verpflichtet. Vgl. unten Buch VI.
Deßhalb dauern dieſe Rechtsverhältniſſe fort, wenn gleich eine andere Dynaſtie in
einem der Staten zur Herrſchaft erhoben oder die Monarchie in die Republik um-
gewandelt wird. Der Satz wurde auch in den Verhandlungen der europäiſchen
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/95>, abgerufen am 24.11.2024.
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