[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.und dem Scharfsinnigen. sie denn wohl ein Frauenzimmer abscheulich an-genehm nennen wolten? Sie bleiben allezeit dabey/ das erbärmlich Schöne sey was un- vergleichliches/ und sie beruffen sich ihre Mei- nung zu behaupten/ auf die Glükwünsche ande- rer Poeten/ die dem Vater dieses erbärmlich schönen Ausdrucks deswegen gemacht worden. Der Hr. Philologus hätte diese Stelle und sei- ne Freunde mit seinen pöbelhaften Schertzen bil- lig verschonen sollen: Denn sein Gespötte läst sehr abgeschmakt, indem es etwas schönes und geschik- tes anpakt. Es ist natürlich, daß die Betrach- tung des Leidens des Heilands zwo gantz verschie- dene Würkungen oder Empfindungen in dem Ge- müthe hinterläst. Die Betrachtung des Schmer- zens oder die Grösse des Leidens an ihm selbst, würket die Empfindung des Mitleidens, des Er- barmens und der Traurigkeit. Aber wenn man die Betrachtung auf desselben Folgen und Wür- kungen kehrt, so entstehet nothwendig in dem Ge- müthe eine Freude. Was uns ergezet oder belu- stiget ist nun schön: Und es ist erbärmlich einen Unschuldigen an der Folter des Leidens zu sehen. Kan ich dann nicht mit Recht sagen, der leiden- de Heiland komme der Seele als erbärmlich und als schön vor? Wenn ich z. E. eine schöne Frau in einem mitleidenswürdigen Zustande begriffen sehe, so darf ich mich mit gutem Grunde ausdrü- ken: eine mitleidenswürdige Schöne. Dem- nach muß Hr. Philologus besser lernen was contra- dictio in adjecto bey den Logicis sey, denn die La- teiner reden nicht so kauderwelsch. Freylich wä- re H
und dem Scharfſinnigen. ſie denn wohl ein Frauenzimmer abſcheulich an-genehm nennen wolten? Sie bleiben allezeit dabey/ das erbaͤrmlich Schoͤne ſey was un- vergleichliches/ und ſie beruffen ſich ihre Mei- nung zu behaupten/ auf die Gluͤkwuͤnſche ande- rer Poeten/ die dem Vater dieſes erbaͤrmlich ſchoͤnen Ausdrucks deswegen gemacht worden. Der Hr. Philologus haͤtte dieſe Stelle und ſei- ne Freunde mit ſeinen poͤbelhaften Schertzen bil- lig verſchonen ſollen: Denn ſein Geſpoͤtte laͤſt ſehr abgeſchmakt, indem es etwas ſchoͤnes und geſchik- tes anpakt. Es iſt natuͤrlich, daß die Betrach- tung des Leidens des Heilands zwo gantz verſchie- dene Wuͤrkungen oder Empfindungen in dem Ge- muͤthe hinterlaͤſt. Die Betrachtung des Schmer- zens oder die Groͤſſe des Leidens an ihm ſelbſt, wuͤrket die Empfindung des Mitleidens, des Er- barmens und der Traurigkeit. Aber wenn man die Betrachtung auf deſſelben Folgen und Wuͤr- kungen kehrt, ſo entſtehet nothwendig in dem Ge- muͤthe eine Freude. Was uns ergezet oder belu- ſtiget iſt nun ſchoͤn: Und es iſt erbaͤrmlich einen Unſchuldigen an der Folter des Leidens zu ſehen. Kan ich dann nicht mit Recht ſagen, der leiden- de Heiland komme der Seele als erbaͤrmlich und als ſchoͤn vor? Wenn ich z. E. eine ſchoͤne Frau in einem mitleidenswuͤrdigen Zuſtande begriffen ſehe, ſo darf ich mich mit gutem Grunde ausdruͤ- ken: eine mitleidenswuͤrdige Schoͤne. Dem- nach muß Hr. Philologus beſſer lernen was contra- dictio in adjecto bey den Logicis ſey, denn die La- teiner reden nicht ſo kauderwelſch. Freylich waͤ- re H
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und dem Scharfſinnigen.
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dabey/ das erbaͤrmlich Schoͤne ſey was un-
vergleichliches/ und ſie beruffen ſich ihre Mei-
nung zu behaupten/ auf die Gluͤkwuͤnſche ande-
rer Poeten/ die dem Vater dieſes erbaͤrmlich
ſchoͤnen Ausdrucks deswegen gemacht worden.
Der Hr. Philologus haͤtte dieſe Stelle und ſei-
ne Freunde mit ſeinen poͤbelhaften Schertzen bil-
lig verſchonen ſollen: Denn ſein Geſpoͤtte laͤſt ſehr
abgeſchmakt, indem es etwas ſchoͤnes und geſchik-
tes anpakt. Es iſt natuͤrlich, daß die Betrach-
tung des Leidens des Heilands zwo gantz verſchie-
dene Wuͤrkungen oder Empfindungen in dem Ge-
muͤthe hinterlaͤſt. Die Betrachtung des Schmer-
zens oder die Groͤſſe des Leidens an ihm ſelbſt,
wuͤrket die Empfindung des Mitleidens, des Er-
barmens und der Traurigkeit. Aber wenn man
die Betrachtung auf deſſelben Folgen und Wuͤr-
kungen kehrt, ſo entſtehet nothwendig in dem Ge-
muͤthe eine Freude. Was uns ergezet oder belu-
ſtiget iſt nun ſchoͤn: Und es iſt erbaͤrmlich einen
Unſchuldigen an der Folter des Leidens zu ſehen.
Kan ich dann nicht mit Recht ſagen, der leiden-
de Heiland komme der Seele als erbaͤrmlich und
als ſchoͤn vor? Wenn ich z. E. eine ſchoͤne Frau
in einem mitleidenswuͤrdigen Zuſtande begriffen
ſehe, ſo darf ich mich mit gutem Grunde ausdruͤ-
ken: eine mitleidenswuͤrdige Schoͤne. Dem-
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