[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.Johann Miltons hat, wie der Himmel und die Erde im Anfangeaus dem Chaos entsprungen seyn, steige auf mein Bitten von da, oder, wenn dir der Berg Sion und die Bache Siloah, die so nahe an dem göttlichen Orackel floß, angenehmer sind, von denselben herunter, meinen kühnen Gesang anzuleiten, der mit einem mehr als mittelmässi- gen Fluge über den Aonischen Berg hinaus flie- gen will, indem er Sachen auf die Spur gehet, die niemand bisdahin weder in Prosa noch in Reimen unternommen hat zu entdecken. Und du vornehmlich, o Geist, der mehr von einem aufrichtigen und reinen Hertzen hält, als von allen Tempeln, unterrichte du mich, denn du weissest von diesen Dingen, du warest zuerst da- bey gegenwärtig, und sassest einer brütenden Taube gleich mit ausgebreiteten Flügeln auf dem ungemessenen Abgrund; und machtest ihn fruchtbar. Erleuchte, was in mir dunckel ist; erhöhe und unterstütze, was niedrig ist, daß ich der Hoheit meines edeln Vorhabens gemäß die Steige auf mein Bitten) Da der Stof zu diesem Ge-
dichte gröstentheils aus der Welt der Geister hergenommen war, welche den sterblichen Menschen verschlossen ist, konn- te der Poet keine Nachrichten davon haben, als aus der Erzehlung eines von ihren geistlichen Einwohnern. Die- ses machte denn seine Anruffung gantz nothwendig. An- dere Poeten, die von menschlichen Begebenheiten reden, dürften eben sich nicht zu den Bewohnern des Himmels wenden, sie um Nachrichten von dem zu fragen, was auf Erden, ihrem eigenen Wohnplatz, geschieht, und wovon ihnen die irdischen Menschen genugsamen Bericht mitthei- len könnten. Johann Miltons hat, wie der Himmel und die Erde im Anfangeaus dem Chaos entſprungen ſeyn, ſteige auf mein Bitten von da, oder, wenn dir der Berg Sion und die Bache Siloah, die ſo nahe an dem goͤttlichen Orackel floß, angenehmer ſind, von denſelben herunter, meinen kuͤhnen Geſang anzuleiten, der mit einem mehr als mittelmaͤſſi- gen Fluge uͤber den Aoniſchen Berg hinaus flie- gen will, indem er Sachen auf die Spur gehet, die niemand bisdahin weder in Proſa noch in Reimen unternommen hat zu entdecken. Und du vornehmlich, o Geiſt, der mehr von einem aufrichtigen und reinen Hertzen haͤlt, als von allen Tempeln, unterrichte du mich, denn du weiſſeſt von dieſen Dingen, du wareſt zuerſt da- bey gegenwaͤrtig, und ſaſſeſt einer bruͤtenden Taube gleich mit ausgebreiteten Fluͤgeln auf dem ungemeſſenen Abgrund; und machteſt ihn fruchtbar. Erleuchte, was in mir dunckel iſt; erhoͤhe und unterſtuͤtze, was niedrig iſt, daß ich der Hoheit meines edeln Vorhabens gemaͤß die Steige auf mein Bitten) Da der Stof zu dieſem Ge-
dichte groͤſtentheils aus der Welt der Geiſter hergenommen war, welche den ſterblichen Menſchen verſchloſſen iſt, konn- te der Poet keine Nachrichten davon haben, als aus der Erzehlung eines von ihren geiſtlichen Einwohnern. Die- ſes machte denn ſeine Anruffung gantz nothwendig. An- dere Poeten, die von menſchlichen Begebenheiten reden, duͤrften eben ſich nicht zu den Bewohnern des Himmels wenden, ſie um Nachrichten von dem zu fragen, was auf Erden, ihrem eigenen Wohnplatz, geſchieht, und wovon ihnen die irdiſchen Menſchen genugſamen Bericht mitthei- len koͤnnten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0018" n="2"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Johann Miltons</hi></fw><lb/> hat, wie der Himmel und die Erde im Anfange<lb/> aus dem Chaos entſprungen ſeyn, ſteige auf<lb/> mein Bitten von da, oder, wenn dir der Berg<lb/> Sion und die Bache Siloah, die ſo nahe an<lb/> dem goͤttlichen Orackel floß, angenehmer ſind,<lb/> von denſelben herunter, meinen kuͤhnen Geſang<lb/> anzuleiten, der mit einem mehr als mittelmaͤſſi-<lb/> gen Fluge uͤber den Aoniſchen Berg hinaus flie-<lb/> gen will, indem er Sachen auf die Spur gehet,<lb/> die niemand bisdahin weder in Proſa noch in<lb/> Reimen unternommen hat zu entdecken. Und<lb/> du vornehmlich, o Geiſt, der mehr von einem<lb/> aufrichtigen und reinen Hertzen haͤlt, als von<lb/> allen Tempeln, unterrichte du mich, denn du<lb/> weiſſeſt von dieſen Dingen, du wareſt zuerſt da-<lb/> bey gegenwaͤrtig, und ſaſſeſt einer bruͤtenden<lb/> Taube gleich mit ausgebreiteten Fluͤgeln auf<lb/> dem ungemeſſenen Abgrund; und machteſt ihn<lb/> fruchtbar. Erleuchte, was in mir dunckel iſt;<lb/> erhoͤhe und unterſtuͤtze, was niedrig iſt, daß<lb/> ich der Hoheit meines edeln Vorhabens gemaͤß<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/><note place="foot">Steige auf mein Bitten) Da der Stof zu dieſem Ge-<lb/> dichte groͤſtentheils aus der Welt der Geiſter hergenommen<lb/> war, welche den ſterblichen Menſchen verſchloſſen iſt, konn-<lb/> te der Poet keine Nachrichten davon haben, als aus der<lb/> Erzehlung eines von ihren geiſtlichen Einwohnern. Die-<lb/> ſes machte denn ſeine Anruffung gantz nothwendig. An-<lb/> dere Poeten, die von menſchlichen Begebenheiten reden,<lb/> duͤrften eben ſich nicht zu den Bewohnern des Himmels<lb/> wenden, ſie um Nachrichten von dem zu fragen, was auf<lb/> Erden, ihrem eigenen Wohnplatz, geſchieht, und wovon<lb/> ihnen die irdiſchen Menſchen genugſamen Bericht mitthei-<lb/> len koͤnnten.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0018]
Johann Miltons
hat, wie der Himmel und die Erde im Anfange
aus dem Chaos entſprungen ſeyn, ſteige auf
mein Bitten von da, oder, wenn dir der Berg
Sion und die Bache Siloah, die ſo nahe an
dem goͤttlichen Orackel floß, angenehmer ſind,
von denſelben herunter, meinen kuͤhnen Geſang
anzuleiten, der mit einem mehr als mittelmaͤſſi-
gen Fluge uͤber den Aoniſchen Berg hinaus flie-
gen will, indem er Sachen auf die Spur gehet,
die niemand bisdahin weder in Proſa noch in
Reimen unternommen hat zu entdecken. Und
du vornehmlich, o Geiſt, der mehr von einem
aufrichtigen und reinen Hertzen haͤlt, als von
allen Tempeln, unterrichte du mich, denn du
weiſſeſt von dieſen Dingen, du wareſt zuerſt da-
bey gegenwaͤrtig, und ſaſſeſt einer bruͤtenden
Taube gleich mit ausgebreiteten Fluͤgeln auf
dem ungemeſſenen Abgrund; und machteſt ihn
fruchtbar. Erleuchte, was in mir dunckel iſt;
erhoͤhe und unterſtuͤtze, was niedrig iſt, daß
ich der Hoheit meines edeln Vorhabens gemaͤß
die
Steige auf mein Bitten) Da der Stof zu dieſem Ge-
dichte groͤſtentheils aus der Welt der Geiſter hergenommen
war, welche den ſterblichen Menſchen verſchloſſen iſt, konn-
te der Poet keine Nachrichten davon haben, als aus der
Erzehlung eines von ihren geiſtlichen Einwohnern. Die-
ſes machte denn ſeine Anruffung gantz nothwendig. An-
dere Poeten, die von menſchlichen Begebenheiten reden,
duͤrften eben ſich nicht zu den Bewohnern des Himmels
wenden, ſie um Nachrichten von dem zu fragen, was auf
Erden, ihrem eigenen Wohnplatz, geſchieht, und wovon
ihnen die irdiſchen Menſchen genugſamen Bericht mitthei-
len koͤnnten.
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