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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Verl. Paradies. I. B.
mehr Qual. Denn jezo plaget ihn der Gedan-
ke von der verlohrnen Glückseligkeit und der im-
merwährenden Pein. Er warf rund herum sei-
ne giftvollen Augen, welche von einer hohen
Betrübniß und Schwachheit, die mit einem
verstockten Stoltz und hartnäckigten Hasse ver-
mischet waren, Anzeige gaben. Er übersieht
auf einmahl, so ferne als englische Blicke rei-
chen mögen, die traurige, wüste und wilde Ge-
gend. Eine greuliche Tiefe, die zu allen Sei-
ten rund herum, wie ein grosser Ofen, in Flam-
men stuhnd; jedoch schoß kein Licht von diesen
Flammen, sondern vielmehr eine sichtbare Dun-
kelheit, bey welcher man Gesichter voll Jam-
mers, Landschaften voll Kummers, erschreck-
liche Schatten, erblickte; wo Friede und Ruhe

nie-
her geschlagen wurden. Eben so wohl reimet sich die Ohn-
macht derselben mit ihrer Unsterblichkeit. Von der Berau-
bung der Sinne ist zwar nur noch ein Schritt bis zum Tod,
doch ist sie noch nicht der Tod selbst. Der Poet konnte die
Erschlagung der gefallenen Engel nicht nachdrücklicher vor-
stellen, als durch diesen unempfindlichen Zustand, der
dem Tod und der Zerstörung so ähnlich ist. Er streitet mit
der Unsterblichkeit derselben um so viel weniger, weil diese
die Unsterblichkeit nicht von einer eigenen Kraft, sondern
von dem Willen des Schöpfers hatten.
Eine sichtbare Dunckelheit) Die Dunckelheit ist eigent-
lich unsichtbar, indem darinnen weder Maß noch Gestalt
zu erkennen ist; wenn sie sichtbar werden soll, so daß man
die Dinge einigermassen untersche den kan muß sie von ihrer
Dicke vieles verliehren. Also schwächt das Beywort Sicht-
bar
die Kraft der Bedeutung in dem Worte Dunckeiheit.
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Verl. Paradies. I. B.
mehr Qual. Denn jezo plaget ihn der Gedan-
ke von der verlohrnen Gluͤckſeligkeit und der im-
merwaͤhrenden Pein. Er warf rund herum ſei-
ne giftvollen Augen, welche von einer hohen
Betruͤbniß und Schwachheit, die mit einem
verſtockten Stoltz und hartnaͤckigten Haſſe ver-
miſchet waren, Anzeige gaben. Er uͤberſieht
auf einmahl, ſo ferne als engliſche Blicke rei-
chen moͤgen, die traurige, wuͤſte und wilde Ge-
gend. Eine greuliche Tiefe, die zu allen Sei-
ten rund herum, wie ein groſſer Ofen, in Flam-
men ſtuhnd; jedoch ſchoß kein Licht von dieſen
Flammen, ſondern vielmehr eine ſichtbare Dun-
kelheit, bey welcher man Geſichter voll Jam-
mers, Landſchaften voll Kummers, erſchreck-
liche Schatten, erblickte; wo Friede und Ruhe

nie-
her geſchlagen wurden. Eben ſo wohl reimet ſich die Ohn-
macht derſelben mit ihrer Unſterblichkeit. Von der Berau-
bung der Sinne iſt zwar nur noch ein Schritt bis zum Tod,
doch iſt ſie noch nicht der Tod ſelbſt. Der Poet konnte die
Erſchlagung der gefallenen Engel nicht nachdruͤcklicher vor-
ſtellen, als durch dieſen unempfindlichen Zuſtand, der
dem Tod und der Zerſtoͤrung ſo aͤhnlich iſt. Er ſtreitet mit
der Unſterblichkeit derſelben um ſo viel weniger, weil dieſe
die Unſterblichkeit nicht von einer eigenen Kraft, ſondern
von dem Willen des Schoͤpfers hatten.
Eine ſichtbare Dunckelheit) Die Dunckelheit iſt eigent-
lich unſichtbar, indem darinnen weder Maß noch Geſtalt
zu erkennen iſt; wenn ſie ſichtbar werden ſoll, ſo daß man
die Dinge einigermaſſen unterſche den kan muß ſie von ihrer
Dicke vieles verliehren. Alſo ſchwaͤcht das Beywort Sicht-
bar
die Kraft der Bedeutung in dem Worte Dunckeiheit.
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[5/0021] Verl. Paradies. I. B. mehr Qual. Denn jezo plaget ihn der Gedan- ke von der verlohrnen Gluͤckſeligkeit und der im- merwaͤhrenden Pein. Er warf rund herum ſei- ne giftvollen Augen, welche von einer hohen Betruͤbniß und Schwachheit, die mit einem verſtockten Stoltz und hartnaͤckigten Haſſe ver- miſchet waren, Anzeige gaben. Er uͤberſieht auf einmahl, ſo ferne als engliſche Blicke rei- chen moͤgen, die traurige, wuͤſte und wilde Ge- gend. Eine greuliche Tiefe, die zu allen Sei- ten rund herum, wie ein groſſer Ofen, in Flam- men ſtuhnd; jedoch ſchoß kein Licht von dieſen Flammen, ſondern vielmehr eine ſichtbare Dun- kelheit, bey welcher man Geſichter voll Jam- mers, Landſchaften voll Kummers, erſchreck- liche Schatten, erblickte; wo Friede und Ruhe nie- her geſchlagen wurden. Eben ſo wohl reimet ſich die Ohn- macht derſelben mit ihrer Unſterblichkeit. Von der Berau- bung der Sinne iſt zwar nur noch ein Schritt bis zum Tod, doch iſt ſie noch nicht der Tod ſelbſt. Der Poet konnte die Erſchlagung der gefallenen Engel nicht nachdruͤcklicher vor- ſtellen, als durch dieſen unempfindlichen Zuſtand, der dem Tod und der Zerſtoͤrung ſo aͤhnlich iſt. Er ſtreitet mit der Unſterblichkeit derſelben um ſo viel weniger, weil dieſe die Unſterblichkeit nicht von einer eigenen Kraft, ſondern von dem Willen des Schoͤpfers hatten. Eine ſichtbare Dunckelheit) Die Dunckelheit iſt eigent- lich unſichtbar, indem darinnen weder Maß noch Geſtalt zu erkennen iſt; wenn ſie ſichtbar werden ſoll, ſo daß man die Dinge einigermaſſen unterſche den kan muß ſie von ihrer Dicke vieles verliehren. Alſo ſchwaͤcht das Beywort Sicht- bar die Kraft der Bedeutung in dem Worte Dunckeiheit. A 3

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/21>, abgerufen am 09.11.2024.