Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

Verl. Paradies. I. B.
der vom Himmel gefallen, der im Himmel selbst
seine Blicke und Gedancken allezeit nur nieder-
wärts geneigt, und den Reichthum des Bodens
daselbst, geschlagenes Gold, mehr bewundert hat-
te, als irgend andere göttliche und heilige Sa-
chen, die man in dem seligen Gesichte geniessen
konnte. Durch ihn, und durch sein Einblasen
wurden die Menschen zuerst gelehrt den Mittel-
punct zu plündern, und mit verruchten Händen
das Eingeweide ihrer Mutter, der Erde, zu zer-
wühlen, um solcher Schätze willen, welche mit
besserm Nutzen verborgen lägen. Seine Rotte
hatte in dem Berge bald eine weite Wunde
geöffnet, und Rippen von Gold hervorgegra-
ben. Niemand verwundere sich, daß der Reich-
thum in der Hölle wächßt. Der Boden da-
selbst ist vor andern dieses theuren Gifts wür-

dig
gel entspringt auch keinesweges von dem Orte wo sie sind,
und ist nicht an denselben gebunden. Der Fall ist in dem
Himmel gethan worden; und wenn die Hölleverdammten
aus der Hölle auf die Erde oder den Himmel selbst gesezt
würden, so würden sie nichts desto seliger werden, sie
brächten die Hölle mit ihnen in alle Gegenden. Diejenige,
welche die Vorstellung Mammons in gegenwärtiger Stelle
getadelt, haben darinn geirret, daß sie solche vor sei-
nem Aufstand verstanden haben; welches Miltons Mei-
nung niemahls gewesen ist.
Seine Rotte hatte in dem Berge bald eine weite Wunde
geöffnet) Je kleiner einigen die folgenden Umstände schei-
nen mögten, desto mehr ist Milton zu loben, daß er sie
in einem so vortrefflichen Licht vorzustellen gewußt hat. Es
braucht Kunst dazu, kleine Dinge ohne Niedrigkeit zu be-
schreiben.

Verl. Paradies. I. B.
der vom Himmel gefallen, der im Himmel ſelbſt
ſeine Blicke und Gedancken allezeit nur nieder-
waͤrts geneigt, und den Reichthum des Bodens
daſelbſt, geſchlagenes Gold, mehr bewundert hat-
te, als irgend andere goͤttliche und heilige Sa-
chen, die man in dem ſeligen Geſichte genieſſen
konnte. Durch ihn, und durch ſein Einblaſen
wurden die Menſchen zuerſt gelehrt den Mittel-
punct zu pluͤndern, und mit verruchten Haͤnden
das Eingeweide ihrer Mutter, der Erde, zu zer-
wuͤhlen, um ſolcher Schaͤtze willen, welche mit
beſſerm Nutzen verborgen laͤgen. Seine Rotte
hatte in dem Berge bald eine weite Wunde
geoͤffnet, und Rippen von Gold hervorgegra-
ben. Niemand verwundere ſich, daß der Reich-
thum in der Hoͤlle waͤchßt. Der Boden da-
ſelbſt iſt vor andern dieſes theuren Gifts wuͤr-

dig
gel entſpringt auch keinesweges von dem Orte wo ſie ſind,
und iſt nicht an denſelben gebunden. Der Fall iſt in dem
Himmel gethan worden; und wenn die Hoͤlleverdammten
aus der Hoͤlle auf die Erde oder den Himmel ſelbſt geſezt
wuͤrden, ſo wuͤrden ſie nichts deſto ſeliger werden, ſie
braͤchten die Hoͤlle mit ihnen in alle Gegenden. Diejenige,
welche die Vorſtellung Mammons in gegenwaͤrtiger Stelle
getadelt, haben darinn geirret, daß ſie ſolche vor ſei-
nem Aufſtand verſtanden haben; welches Miltons Mei-
nung niemahls geweſen iſt.
Seine Rotte hatte in dem Berge bald eine weite Wunde
geoͤffnet) Je kleiner einigen die folgenden Umſtaͤnde ſchei-
nen moͤgten, deſto mehr iſt Milton zu loben, daß er ſie
in einem ſo vortrefflichen Licht vorzuſtellen gewußt hat. Es
braucht Kunſt dazu, kleine Dinge ohne Niedrigkeit zu be-
ſchreiben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Verl. Paradies. <hi rendition="#aq">I.</hi> B.</hi></fw><lb/>
der vom Himmel gefallen, der im Himmel &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eine Blicke und Gedancken allezeit nur nieder-<lb/>
wa&#x0364;rts geneigt, und den Reichthum des Bodens<lb/>
da&#x017F;elb&#x017F;t, ge&#x017F;chlagenes Gold, mehr bewundert hat-<lb/>
te, als irgend andere go&#x0364;ttliche und heilige Sa-<lb/>
chen, die man in dem &#x017F;eligen Ge&#x017F;ichte genie&#x017F;&#x017F;en<lb/>
konnte. Durch ihn, und durch &#x017F;ein Einbla&#x017F;en<lb/>
wurden die Men&#x017F;chen zuer&#x017F;t gelehrt den Mittel-<lb/>
punct zu plu&#x0364;ndern, und mit verruchten Ha&#x0364;nden<lb/>
das Eingeweide ihrer Mutter, der Erde, zu zer-<lb/>
wu&#x0364;hlen, um &#x017F;olcher Scha&#x0364;tze willen, welche mit<lb/>
be&#x017F;&#x017F;erm Nutzen verborgen la&#x0364;gen. Seine Rotte<lb/>
hatte in dem Berge bald eine weite Wunde<lb/>
geo&#x0364;ffnet, und Rippen von Gold hervorgegra-<lb/>
ben. Niemand verwundere &#x017F;ich, daß der Reich-<lb/>
thum in der Ho&#x0364;lle wa&#x0364;chßt. Der Boden da-<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t vor andern die&#x017F;es theuren Gifts wu&#x0364;r-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dig</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_9_2" prev="#seg2pn_9_1" place="foot">gel ent&#x017F;pringt auch keinesweges von dem Orte wo &#x017F;ie &#x017F;ind,<lb/>
und i&#x017F;t nicht an den&#x017F;elben gebunden. Der Fall i&#x017F;t in dem<lb/>
Himmel gethan worden; und wenn die Ho&#x0364;lleverdammten<lb/>
aus der Ho&#x0364;lle auf die Erde oder den Himmel &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ezt<lb/>
wu&#x0364;rden, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie nichts de&#x017F;to &#x017F;eliger werden, &#x017F;ie<lb/>
bra&#x0364;chten die Ho&#x0364;lle mit ihnen in alle Gegenden. Diejenige,<lb/>
welche die Vor&#x017F;tellung Mammons in gegenwa&#x0364;rtiger Stelle<lb/>
getadelt, haben darinn geirret, daß &#x017F;ie &#x017F;olche vor &#x017F;ei-<lb/>
nem Auf&#x017F;tand ver&#x017F;tanden haben; welches Miltons Mei-<lb/>
nung niemahls gewe&#x017F;en i&#x017F;t.</note><lb/><note place="foot">Seine Rotte hatte in dem Berge bald eine weite Wunde<lb/>
geo&#x0364;ffnet) Je kleiner einigen die folgenden Um&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;chei-<lb/>
nen mo&#x0364;gten, de&#x017F;to mehr i&#x017F;t Milton zu loben, daß er &#x017F;ie<lb/>
in einem &#x017F;o vortrefflichen Licht vorzu&#x017F;tellen gewußt hat. Es<lb/>
braucht Kun&#x017F;t dazu, kleine Dinge ohne Niedrigkeit zu be-<lb/>
&#x017F;chreiben.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0059] Verl. Paradies. I. B. der vom Himmel gefallen, der im Himmel ſelbſt ſeine Blicke und Gedancken allezeit nur nieder- waͤrts geneigt, und den Reichthum des Bodens daſelbſt, geſchlagenes Gold, mehr bewundert hat- te, als irgend andere goͤttliche und heilige Sa- chen, die man in dem ſeligen Geſichte genieſſen konnte. Durch ihn, und durch ſein Einblaſen wurden die Menſchen zuerſt gelehrt den Mittel- punct zu pluͤndern, und mit verruchten Haͤnden das Eingeweide ihrer Mutter, der Erde, zu zer- wuͤhlen, um ſolcher Schaͤtze willen, welche mit beſſerm Nutzen verborgen laͤgen. Seine Rotte hatte in dem Berge bald eine weite Wunde geoͤffnet, und Rippen von Gold hervorgegra- ben. Niemand verwundere ſich, daß der Reich- thum in der Hoͤlle waͤchßt. Der Boden da- ſelbſt iſt vor andern dieſes theuren Gifts wuͤr- dig gel entſpringt auch keinesweges von dem Orte wo ſie ſind, und iſt nicht an denſelben gebunden. Der Fall iſt in dem Himmel gethan worden; und wenn die Hoͤlleverdammten aus der Hoͤlle auf die Erde oder den Himmel ſelbſt geſezt wuͤrden, ſo wuͤrden ſie nichts deſto ſeliger werden, ſie braͤchten die Hoͤlle mit ihnen in alle Gegenden. Diejenige, welche die Vorſtellung Mammons in gegenwaͤrtiger Stelle getadelt, haben darinn geirret, daß ſie ſolche vor ſei- nem Aufſtand verſtanden haben; welches Miltons Mei- nung niemahls geweſen iſt. Seine Rotte hatte in dem Berge bald eine weite Wunde geoͤffnet) Je kleiner einigen die folgenden Umſtaͤnde ſchei- nen moͤgten, deſto mehr iſt Milton zu loben, daß er ſie in einem ſo vortrefflichen Licht vorzuſtellen gewußt hat. Es braucht Kunſt dazu, kleine Dinge ohne Niedrigkeit zu be- ſchreiben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/59
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/59>, abgerufen am 09.11.2024.