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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Versuch von den Eigenschaften
wegung seiner Hand. Bald zeitigen die Farben,
und beginnen sich angenehmer zu mildern. Alles
schmelzet lieblicher in einander und bringt erst die
rechte Schönheit von Schatten und Lichte hervor.
Aber wenn eben die Jahre dem Werke seine völ-
lige Reife gegeben, wenn jedes prächtige Bild
just anfängt zu leben, so betriegen oft die verräthe-
rischen Farben die schöne Kunst, und die Wun-
dervolle Schöpfung erbleicht und verschwindet.

Unglücklicher Witz, der gleich den betrieg-
lichsten Dingen für die Mißgunst, die er uns zu-
zieht, uns nie genug belohnet. Nur in der Ju-
gend brüsten wir uns mit seinem leeren Ruhme.
Aber wie bald ist diese flüchtige Eitelkeit verloh-
ren, wie eine schöne Blume im frühen Lenzen,
die frisch blühet, aber eben im Blühen verwelket.
Was ist dieser Witz, um den wir uns so bemü-
hen? Ein Weib das der Eigenthümer andern
überlassen muß. Er macht uns die meiste Unru-
he, wenn er am meisten bewundert wird. Je
mehr wir geben, je mehr wird immer von uns
gefordert. Wir erwerben unsern Ruf zu müh-
sam, und verliehren ihn gar zu leicht. Sicher,
einige zu beleidigen, aber niemals allen zu gefal-
len. Er ist eine Sache, die die Bösen fürchten,
und die Tugendhaften fliehen. Von Thoren wird
er gehaßt, und von Lasterhaften vernichtet.

Muß der Witz so viel von der Unvernunft lei-
den, o so sollte doch die Wissenschaft nicht auch
seine Feindin werden. Ehedessen belohnte man
einen grossen Meister, und rühmte zum wenigsten
diejenigen, die etwas würdiges nur unterfiengen.

War

Verſuch von den Eigenſchaften
wegung ſeiner Hand. Bald zeitigen die Farben,
und beginnen ſich angenehmer zu mildern. Alles
ſchmelzet lieblicher in einander und bringt erſt die
rechte Schoͤnheit von Schatten und Lichte hervor.
Aber wenn eben die Jahre dem Werke ſeine voͤl-
lige Reife gegeben, wenn jedes praͤchtige Bild
juſt anfaͤngt zu leben, ſo betriegen oft die verraͤthe-
riſchen Farben die ſchoͤne Kunſt, und die Wun-
dervolle Schoͤpfung erbleicht und verſchwindet.

Ungluͤcklicher Witz, der gleich den betrieg-
lichſten Dingen fuͤr die Mißgunſt, die er uns zu-
zieht, uns nie genug belohnet. Nur in der Ju-
gend bruͤſten wir uns mit ſeinem leeren Ruhme.
Aber wie bald iſt dieſe fluͤchtige Eitelkeit verloh-
ren, wie eine ſchoͤne Blume im fruͤhen Lenzen,
die friſch bluͤhet, aber eben im Bluͤhen verwelket.
Was iſt dieſer Witz, um den wir uns ſo bemuͤ-
hen? Ein Weib das der Eigenthuͤmer andern
uͤberlaſſen muß. Er macht uns die meiſte Unru-
he, wenn er am meiſten bewundert wird. Je
mehr wir geben, je mehr wird immer von uns
gefordert. Wir erwerben unſern Ruf zu muͤh-
ſam, und verliehren ihn gar zu leicht. Sicher,
einige zu beleidigen, aber niemals allen zu gefal-
len. Er iſt eine Sache, die die Boͤſen fuͤrchten,
und die Tugendhaften fliehen. Von Thoren wird
er gehaßt, und von Laſterhaften vernichtet.

Muß der Witz ſo viel von der Unvernunft lei-
den, o ſo ſollte doch die Wiſſenſchaft nicht auch
ſeine Feindin werden. Ehedeſſen belohnte man
einen groſſen Meiſter, und ruͤhmte zum wenigſten
diejenigen, die etwas wuͤrdiges nur unterfiengen.

War
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[74/0090] Verſuch von den Eigenſchaften wegung ſeiner Hand. Bald zeitigen die Farben, und beginnen ſich angenehmer zu mildern. Alles ſchmelzet lieblicher in einander und bringt erſt die rechte Schoͤnheit von Schatten und Lichte hervor. Aber wenn eben die Jahre dem Werke ſeine voͤl- lige Reife gegeben, wenn jedes praͤchtige Bild juſt anfaͤngt zu leben, ſo betriegen oft die verraͤthe- riſchen Farben die ſchoͤne Kunſt, und die Wun- dervolle Schoͤpfung erbleicht und verſchwindet. Ungluͤcklicher Witz, der gleich den betrieg- lichſten Dingen fuͤr die Mißgunſt, die er uns zu- zieht, uns nie genug belohnet. Nur in der Ju- gend bruͤſten wir uns mit ſeinem leeren Ruhme. Aber wie bald iſt dieſe fluͤchtige Eitelkeit verloh- ren, wie eine ſchoͤne Blume im fruͤhen Lenzen, die friſch bluͤhet, aber eben im Bluͤhen verwelket. Was iſt dieſer Witz, um den wir uns ſo bemuͤ- hen? Ein Weib das der Eigenthuͤmer andern uͤberlaſſen muß. Er macht uns die meiſte Unru- he, wenn er am meiſten bewundert wird. Je mehr wir geben, je mehr wird immer von uns gefordert. Wir erwerben unſern Ruf zu muͤh- ſam, und verliehren ihn gar zu leicht. Sicher, einige zu beleidigen, aber niemals allen zu gefal- len. Er iſt eine Sache, die die Boͤſen fuͤrchten, und die Tugendhaften fliehen. Von Thoren wird er gehaßt, und von Laſterhaften vernichtet. Muß der Witz ſo viel von der Unvernunft lei- den, o ſo ſollte doch die Wiſſenſchaft nicht auch ſeine Feindin werden. Ehedeſſen belohnte man einen groſſen Meiſter, und ruͤhmte zum wenigſten diejenigen, die etwas wuͤrdiges nur unterfiengen. War

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/90>, abgerufen am 24.11.2024.