"dacht, oder was die wenigste ihrer Leser in ih- "nen gesucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich, "wird diese Anmerckung in ihr rechtes Licht sezen, "und ihr den Neid und Haß benehmen, den sie "sich hierdurch bey unbedachtsamen und parthei- "schen Lesern anizo ohne Zweifel erwecken wird."
Wernike war der einzige zu seiner Zeit, der die Poesie in diesem wahren Lichte erkannte; ich fin- de insbesondere nicht, daß jemand vor ihm dasje- nige angepriesen habe, was er gar geschickt die Meinungen, und die Franzosen les Sentimens, heissen. Er ist daneben der erste, der die Ein- führung der gleichgeltenden Wörter bestraffet hat, Bl. 93. der erste, der die poetische Zahl darinnen grossentheils gefunden, daß die Wendung und der Fall der Verse unterschiedlich sey, und daß die Verse zwar fliessen, aber einer dem andern nicht allzeit gleich fliessen müsse, Bl. 99. der erste, der die Schreibart, die von den Franzosen Bur- lesque genannt wird, welche er Knittelgedichte heißt, in der rechten Materie angewendet, und das unterscheidende Zeichen, (wie er Bl. 209. das Wort Character giebt,) dieser Art Gedichte sowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan- ken genau bestimmt hat, der erste der von den Ei- genschaften des guten Witzes mit Begründniß ge- schrieben hat. etc.
Das Bekenntniß, das dieser satyrische Kunst- richter hier und dar seiner eigenen Fehler halber thut, ist eben so liebenswürdig, als die Verbes- serung derselben, die er zugleich hinzufüget, lehr- reich ist. Er hatte von einem Kind und einem
Grei-
der Critik bey den Deutſchen.
„dacht, oder was die wenigſte ihrer Leſer in ih- „nen geſucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich, „wird dieſe Anmerckung in ihr rechtes Licht ſezen, „und ihr den Neid und Haß benehmen, den ſie „ſich hierdurch bey unbedachtſamen und parthei- „ſchen Leſern anizo ohne Zweifel erwecken wird.„
Wernike war der einzige zu ſeiner Zeit, der die Poeſie in dieſem wahren Lichte erkannte; ich fin- de insbeſondere nicht, daß jemand vor ihm dasje- nige angeprieſen habe, was er gar geſchickt die Meinungen, und die Franzoſen les Sentimens, heiſſen. Er iſt daneben der erſte, der die Ein- fuͤhrung der gleichgeltenden Woͤrter beſtraffet hat, Bl. 93. der erſte, der die poetiſche Zahl darinnen groſſentheils gefunden, daß die Wendung und der Fall der Verſe unterſchiedlich ſey, und daß die Verſe zwar flieſſen, aber einer dem andern nicht allzeit gleich flieſſen muͤſſe, Bl. 99. der erſte, der die Schreibart, die von den Franzoſen Bur- lesque genannt wird, welche er Knittelgedichte heißt, in der rechten Materie angewendet, und das unterſcheidende Zeichen, (wie er Bl. 209. das Wort Character giebt,) dieſer Art Gedichte ſowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan- ken genau beſtimmt hat, der erſte der von den Ei- genſchaften des guten Witzes mit Begruͤndniß ge- ſchrieben hat. ꝛc.
Das Bekenntniß, das dieſer ſatyriſche Kunſt- richter hier und dar ſeiner eigenen Fehler halber thut, iſt eben ſo liebenswuͤrdig, als die Verbeſ- ſerung derſelben, die er zugleich hinzufuͤget, lehr- reich iſt. Er hatte von einem Kind und einem
Grei-
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[109/0111]
der Critik bey den Deutſchen.
„dacht, oder was die wenigſte ihrer Leſer in ih-
„nen geſucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich,
„wird dieſe Anmerckung in ihr rechtes Licht ſezen,
„und ihr den Neid und Haß benehmen, den ſie
„ſich hierdurch bey unbedachtſamen und parthei-
„ſchen Leſern anizo ohne Zweifel erwecken wird.„
Wernike war der einzige zu ſeiner Zeit, der die
Poeſie in dieſem wahren Lichte erkannte; ich fin-
de insbeſondere nicht, daß jemand vor ihm dasje-
nige angeprieſen habe, was er gar geſchickt die
Meinungen, und die Franzoſen les Sentimens,
heiſſen. Er iſt daneben der erſte, der die Ein-
fuͤhrung der gleichgeltenden Woͤrter beſtraffet hat,
Bl. 93. der erſte, der die poetiſche Zahl darinnen
groſſentheils gefunden, daß die Wendung und
der Fall der Verſe unterſchiedlich ſey, und daß
die Verſe zwar flieſſen, aber einer dem andern
nicht allzeit gleich flieſſen muͤſſe, Bl. 99. der erſte,
der die Schreibart, die von den Franzoſen Bur-
lesque genannt wird, welche er Knittelgedichte
heißt, in der rechten Materie angewendet, und
das unterſcheidende Zeichen, (wie er Bl. 209.
das Wort Character giebt,) dieſer Art Gedichte
ſowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan-
ken genau beſtimmt hat, der erſte der von den Ei-
genſchaften des guten Witzes mit Begruͤndniß ge-
ſchrieben hat. ꝛc.
Das Bekenntniß, das dieſer ſatyriſche Kunſt-
richter hier und dar ſeiner eigenen Fehler halber
thut, iſt eben ſo liebenswuͤrdig, als die Verbeſ-
ſerung derſelben, die er zugleich hinzufuͤget, lehr-
reich iſt. Er hatte von einem Kind und einem
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/111>, abgerufen am 16.02.2025.
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