[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.über die Unsterblichkeit. Jsts glaublich daß dich Gott zernichte? Er machte dich zu groß und schön. Schau welch ein Glantz! Schau welche Früchte Aus edler Seelen Trieb entsteh'n! Mich deucht, in jeder Seele funckelt, Wenn sie kein grober Dunst verdunckelt, Ein Schimmer von der Gottheit Licht, So zeugt er auch von ihrem Währen, Wer kan ein solches Seyn zerstöhren? Was Göttlich ist, das stirbt doch nicht.(f) Schau wie bey Sturm und Kriegs-Gefahren Ein Mann oft einen Hauffen schreckt, Und für dem Raub der wilden Schaaren Den unbewehrten Säugling deckt! Wie dort ein Held von Gott beseelet Oie Wohllust fleucht, die Sorgen wehlet, Vor andrer Glücke sich verbannt; (g) Er wacht, damit wir sicher schlaffen, Erhält sein Volck durch Witz und Waffen, Und stirbt mit Lust für Kirch und Land. Und ihr der Weisheit ersten Söhne, Geweih- Anmerckungen. Wirckungen der Seele, und den Kräften, von welchen sieherrühren, daß die Seele etwas von dem göttlichen We- sen in sich habe; Divinae particula aurae. Welches ihm Anlaß giebet, sich in die herrlichsten Beschreibungen aus- zubreiten. (f) Was ich oben in der ersten Anmerckung von den wahrscheinlichen poetischen Gründen beyläuftig gesagt ha- be, davon giebt uns diese Strophe ein gar deutliches Exempel. Sonderlich ist in den zwo letztern Zeilen die Wahrscheinlichkeit in das helleste Licht gesetzet. Denn wenn die Seele von einer göttlichen Natur ist, die Gottheit aber in ihrer Natur unzerstöhrlich und nothwendig ist, so hat der poetische Schluß: Wer kan ein solches Seyn zerstöhren? seine völlige Richtigkeit. Jn den folgenden Strophen führet der Poet den Untersatz seines poetischen Schlusses weitläuftiger aus, und zeiget aus den wunderbaren Wir- (g) Diese Redensart ist sichtbarlich von besonderm Nachdruck. Sie stellet uns einen tugendhaften Menschen in solchen Umständen vor, daß er entweder sich selber des Umganges mit seinen Freunden und Anverwandten, des Genusses seiner Güter und Häuser, berauben, oder an- dere von seinen Mitbürgern im Elende und in der Noth sehen muß; da er die Großmuth hat, das erstere zu erweh- len, und diesen zum besten aus freyem Willen in das Elend zu gehen. Opitz hat dasselbe Wort mit gleichem Nachdruck von den Tyrannen gebraucht: Die erstlich gute Leut, hernach sich selbst verbannen. M 5
uͤber die Unſterblichkeit. Jſts glaublich daß dich Gott zernichte? Er machte dich zu groß und ſchoͤn. Schau welch ein Glantz! Schau welche Fruͤchte Aus edler Seelen Trieb entſteh’n! Mich deucht, in jeder Seele funckelt, Wenn ſie kein grober Dunſt verdunckelt, Ein Schimmer von der Gottheit Licht, So zeugt er auch von ihrem Waͤhren, Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren? Was Goͤttlich iſt, das ſtirbt doch nicht.(f) Schau wie bey Sturm und Kriegs-Gefahren Ein Mann oft einen Hauffen ſchreckt, Und fuͤr dem Raub der wilden Schaaren Den unbewehrten Saͤugling deckt! Wie dort ein Held von Gott beſeelet Oie Wohlluſt fleucht, die Sorgen wehlet, Vor andrer Gluͤcke ſich verbannt; (g) Er wacht, damit wir ſicher ſchlaffen, Erhaͤlt ſein Volck durch Witz und Waffen, Und ſtirbt mit Luſt fuͤr Kirch und Land. Und ihr der Weisheit erſten Soͤhne, Geweih- Anmerckungen. Wirckungen der Seele, und den Kraͤften, von welchen ſieherruͤhren, daß die Seele etwas von dem goͤttlichen We- ſen in ſich habe; Divinæ particula auræ. Welches ihm Anlaß giebet, ſich in die herrlichſten Beſchreibungen aus- zubreiten. (f) Was ich oben in der erſten Anmerckung von den wahrſcheinlichen poetiſchen Gruͤnden beylaͤuftig geſagt ha- be, davon giebt uns dieſe Strophe ein gar deutliches Exempel. Sonderlich iſt in den zwo letztern Zeilen die Wahrſcheinlichkeit in das helleſte Licht geſetzet. Denn wenn die Seele von einer goͤttlichen Natur iſt, die Gottheit aber in ihrer Natur unzerſtoͤhrlich und nothwendig iſt, ſo hat der poetiſche Schluß: Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren? ſeine voͤllige Richtigkeit. Jn den folgenden Strophen fuͤhret der Poet den Unterſatz ſeines poetiſchen Schluſſes weitlaͤuftiger aus, und zeiget aus den wunderbaren Wir- (g) Dieſe Redensart iſt ſichtbarlich von beſonderm Nachdruck. Sie ſtellet uns einen tugendhaften Menſchen in ſolchen Umſtaͤnden vor, daß er entweder ſich ſelber des Umganges mit ſeinen Freunden und Anverwandten, des Genuſſes ſeiner Guͤter und Haͤuſer, berauben, oder an- dere von ſeinen Mitbuͤrgern im Elende und in der Noth ſehen muß; da er die Großmuth hat, das erſtere zu erweh- len, und dieſen zum beſten aus freyem Willen in das Elend zu gehen. Opitz hat daſſelbe Wort mit gleichem Nachdruck von den Tyrannen gebraucht: Die erſtlich gute Leut, hernach ſich ſelbſt verbannen. M 5
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uͤber die Unſterblichkeit.
Anmerckungen.
Jſts glaublich daß dich Gott zernichte?
Er machte dich zu groß und ſchoͤn.
Schau welch ein Glantz! Schau welche Fruͤchte
Aus edler Seelen Trieb entſteh’n!
Mich deucht, in jeder Seele funckelt,
Wenn ſie kein grober Dunſt verdunckelt,
Ein Schimmer von der Gottheit Licht,
So zeugt er auch von ihrem Waͤhren,
Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren?
Was Goͤttlich iſt, das ſtirbt doch nicht. (f)
Schau wie bey Sturm und Kriegs-Gefahren
Ein Mann oft einen Hauffen ſchreckt,
Und fuͤr dem Raub der wilden Schaaren
Den unbewehrten Saͤugling deckt!
Wie dort ein Held von Gott beſeelet
Oie Wohlluſt fleucht, die Sorgen wehlet,
Vor andrer Gluͤcke ſich verbannt; (g)
Er wacht, damit wir ſicher ſchlaffen,
Erhaͤlt ſein Volck durch Witz und Waffen,
Und ſtirbt mit Luſt fuͤr Kirch und Land.
Und ihr der Weisheit erſten Soͤhne,
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(f) Was ich oben in der erſten Anmerckung von den
wahrſcheinlichen poetiſchen Gruͤnden beylaͤuftig geſagt ha-
be, davon giebt uns dieſe Strophe ein gar deutliches
Exempel. Sonderlich iſt in den zwo letztern Zeilen die
Wahrſcheinlichkeit in das helleſte Licht geſetzet. Denn wenn
die Seele von einer goͤttlichen Natur iſt, die Gottheit aber
in ihrer Natur unzerſtoͤhrlich und nothwendig iſt, ſo hat
der poetiſche Schluß:
Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren?
ſeine voͤllige Richtigkeit. Jn den folgenden Strophen
fuͤhret der Poet den Unterſatz ſeines poetiſchen Schluſſes
weitlaͤuftiger aus, und zeiget aus den wunderbaren
Wir-
(g) Dieſe Redensart iſt ſichtbarlich von beſonderm
Nachdruck. Sie ſtellet uns einen tugendhaften Menſchen
in ſolchen Umſtaͤnden vor, daß er entweder ſich ſelber des
Umganges mit ſeinen Freunden und Anverwandten, des
Genuſſes ſeiner Guͤter und Haͤuſer, berauben, oder an-
dere von ſeinen Mitbuͤrgern im Elende und in der Noth
ſehen muß; da er die Großmuth hat, das erſtere zu erweh-
len, und dieſen zum beſten aus freyem Willen in das
Elend zu gehen. Opitz hat daſſelbe Wort mit gleichem
Nachdruck von den Tyrannen gebraucht:
Die erſtlich gute Leut, hernach ſich ſelbſt verbannen.
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Wirckungen der Seele, und den Kraͤften, von welchen ſie
herruͤhren, daß die Seele etwas von dem goͤttlichen We-
ſen in ſich habe; Divinæ particula auræ. Welches ihm
Anlaß giebet, ſich in die herrlichſten Beſchreibungen aus-
zubreiten.
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