[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.Stücke der Schutzvorrede zu Hamburg? Jngleichen, ob der Stadr-mäuse ihre Löcher schöner und aufgepuz- ter wären; als der Feldmäuse ihre? Sinn- reiche Einfälle, die man sich kaum artiger träumen lassen sollte! Wer vermag hierauf zu antworten? Und endlich fraget er (denn man wird dieser Possen geschwind müde,) ob die Bosheit die Augen dafür zuschliesset? Muß sich nicht Horatz mit seinem magern Rusticus urbanum murem mus paupere fertur vor dem Reichthum dieser prächtigen Mahlerey vor Scham verkriechen? Man kan aus dieser Probe ab- nehmen, was die christliche Religion auch einem Fa- beldichter vor Vortheile zur Auszierung seiner Fabeln an die Hand gebe, und wie die Poesie bald ein ander Ansehen bekommen würde, wenn sich alle Poeten der- selben so geschickt zu bedienen wüßten, als Hr. D. Tr-ll-r. Ob der Stadt-Mäuse ihre Löcher etc.) Hr. D.
Tr-ll-r hat in seiner Fabel das Decorum gar richtig be- obachtet, indem er nicht vergessen die Stadtmaus stan- desmassig einzuquartieren; er legt ihr daher folgende Worte in den Mund: Und sie wünschte, daß sie sich nie in dieses Loch begeben, Das so schmuzig, eng u. dunkel, abgelegen, fürchterlich, Weil in dieser wilden Gegend niemand leicht für über geht. Und doch will man ihm dieses zur Sünde rechnen, und gedenckt nicht, daß dieses eine Maus von vor- nehmem Stande und gutem Geschmack sey. Stuͤcke der Schutzvorrede zu Hamburg? Jngleichen, ob der Stadr-maͤuſe ihre Loͤcher ſchoͤner und aufgepuz- ter waͤren; als der Feldmaͤuſe ihre? Sinn- reiche Einfaͤlle, die man ſich kaum artiger traͤumen laſſen ſollte! Wer vermag hierauf zu antworten? Und endlich fraget er (denn man wird dieſer Poſſen geſchwind muͤde,) ob die Bosheit die Augen dafuͤr zuſchlieſſet? Muß ſich nicht Horatz mit ſeinem magern Ruſticus urbanum murem mus paupere fertur vor dem Reichthum dieſer praͤchtigen Mahlerey vor Scham verkriechen? Man kan aus dieſer Probe ab- nehmen, was die chriſtliche Religion auch einem Fa- beldichter vor Vortheile zur Auszierung ſeiner Fabeln an die Hand gebe, und wie die Poeſie bald ein ander Anſehen bekommen wuͤrde, wenn ſich alle Poeten der- ſelben ſo geſchickt zu bedienen wuͤßten, als Hr. D. Tr-ll-r. Ob der Stadt-Maͤuſe ihre Loͤcher ꝛc.) Hr. D.
Tr-ll-r hat in ſeiner Fabel das Decorum gar richtig be- obachtet, indem er nicht vergeſſen die Stadtmaus ſtan- desmaſſig einzuquartieren; er legt ihr daher folgende Worte in den Mund: Und ſie wuͤnſchte, daß ſie ſich nie in dieſes Loch begeben, Das ſo ſchmuzig, eng u. dunkel, abgelegen, fuͤrchterlich, Weil in dieſer wilden Gegend niemand leicht fuͤr uͤber geht. Und doch will man ihm dieſes zur Suͤnde rechnen, und gedenckt nicht, daß dieſes eine Maus von vor- nehmem Stande und gutem Geſchmack ſey. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0044" n="42"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Stuͤcke der Schutzvorrede</hi></fw><lb/> zu Hamburg? Jngleichen, <hi rendition="#fr">ob der Stadr-<lb/> maͤuſe ihre Loͤcher ſchoͤner und aufgepuz-<lb/> ter waͤren;</hi> als der Feldmaͤuſe ihre? Sinn-<lb/> reiche Einfaͤlle, die man ſich kaum artiger<lb/> traͤumen laſſen ſollte! Wer vermag hierauf<lb/> zu antworten? Und endlich fraget er (denn<lb/> man wird dieſer Poſſen geſchwind muͤde,) <hi rendition="#fr">ob</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">die</hi></fw><lb/><note xml:id="f24" prev="#f23" place="foot">Bosheit die Augen dafuͤr zuſchlieſſet? Muß ſich nicht<lb/> Horatz mit ſeinem magern<lb/><cit><quote><hi rendition="#aq">Ruſticus urbanum murem mus paupere fertur<lb/> Accepiſſe cavo &c.</hi></quote></cit><lb/> vor dem Reichthum dieſer praͤchtigen Mahlerey vor<lb/> Scham verkriechen? Man kan aus dieſer Probe ab-<lb/> nehmen, was die chriſtliche Religion auch einem Fa-<lb/> beldichter vor Vortheile zur Auszierung ſeiner Fabeln<lb/> an die Hand gebe, und wie die Poeſie bald ein ander<lb/> Anſehen bekommen wuͤrde, wenn ſich alle Poeten der-<lb/> ſelben ſo geſchickt zu bedienen wuͤßten, als Hr. D.<lb/> Tr-ll-r.</note><lb/><note place="foot"><hi rendition="#fr">Ob der Stadt-Maͤuſe ihre Loͤcher ꝛc.</hi>) Hr. D.<lb/> Tr-ll-r hat in ſeiner Fabel das <hi rendition="#aq">Decorum</hi> gar richtig be-<lb/> obachtet, indem er nicht vergeſſen die Stadtmaus ſtan-<lb/> desmaſſig einzuquartieren; er legt ihr daher folgende<lb/> Worte in den Mund:<lb/><hi rendition="#fr">Und ſie wuͤnſchte, daß ſie ſich nie in dieſes Loch begeben,<lb/> Das ſo ſchmuzig, eng u. dunkel, abgelegen, fuͤrchterlich,<lb/> Weil in dieſer wilden Gegend niemand leicht fuͤr uͤber<lb/><hi rendition="#et">geht.</hi></hi><lb/> Und doch will man ihm dieſes zur Suͤnde rechnen,<lb/> und gedenckt nicht, daß dieſes eine Maus von vor-<lb/> nehmem Stande und gutem Geſchmack ſey.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [42/0044]
Stuͤcke der Schutzvorrede
zu Hamburg? Jngleichen, ob der Stadr-
maͤuſe ihre Loͤcher ſchoͤner und aufgepuz-
ter waͤren; als der Feldmaͤuſe ihre? Sinn-
reiche Einfaͤlle, die man ſich kaum artiger
traͤumen laſſen ſollte! Wer vermag hierauf
zu antworten? Und endlich fraget er (denn
man wird dieſer Poſſen geſchwind muͤde,) ob
die
Bosheit die Augen dafuͤr zuſchlieſſet? Muß ſich nicht
Horatz mit ſeinem magern
Ruſticus urbanum murem mus paupere fertur
Accepiſſe cavo &c.
vor dem Reichthum dieſer praͤchtigen Mahlerey vor
Scham verkriechen? Man kan aus dieſer Probe ab-
nehmen, was die chriſtliche Religion auch einem Fa-
beldichter vor Vortheile zur Auszierung ſeiner Fabeln
an die Hand gebe, und wie die Poeſie bald ein ander
Anſehen bekommen wuͤrde, wenn ſich alle Poeten der-
ſelben ſo geſchickt zu bedienen wuͤßten, als Hr. D.
Tr-ll-r.
Ob der Stadt-Maͤuſe ihre Loͤcher ꝛc.) Hr. D.
Tr-ll-r hat in ſeiner Fabel das Decorum gar richtig be-
obachtet, indem er nicht vergeſſen die Stadtmaus ſtan-
desmaſſig einzuquartieren; er legt ihr daher folgende
Worte in den Mund:
Und ſie wuͤnſchte, daß ſie ſich nie in dieſes Loch begeben,
Das ſo ſchmuzig, eng u. dunkel, abgelegen, fuͤrchterlich,
Weil in dieſer wilden Gegend niemand leicht fuͤr uͤber
geht.
Und doch will man ihm dieſes zur Suͤnde rechnen,
und gedenckt nicht, daß dieſes eine Maus von vor-
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