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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Von der Schreibart
"endlich die Blätter, die von den Frühlingslüf-
"ten mit einem wohlklingenden Schalle erthönen?
"Was sind alle diese herrlichen Blümgen anders,
"als Lohensteinische und Hofmannswaldauische
"Broken, die nach dem heutigen Geschmake
"kaum in der Poesie, geschweige denn in der
"Prosa zu dulden sind."

Poetisch mögen diese Ausdrükungen mit gutem
Rechte heissen, weil sie voller lebhafter und scharf-
sinniger Bilder sind; weil sie auch die wunderba-
ren Würkungen der poetischen Phantasie nach der
Art der Poeten auf eine wunderbare Weise vor
Augen führen, und das, wovon da geredet wird,
in der Zeit, daß sie es beschreiben, vollziehen.
Daher steht diese Poesie hier mitten unter der Pro-
sa an dem rechten Orte; und die Worte stimmen
mit den Sachen und der Absicht allzu genau über-
ein, als daß man sie mittelst einer mechanischen
Kunst hätte aus dem Gedächtniß nehmen, oder
aus einem Hamanischen Lexicon borgen können.
Und warum werden sie vor ausschweifend, Lohen-
steinisch, und Hoffmannswaldauisch erkläret? Die
waldigten Lauben, die Zaken des Palmenbaumes,
die theatralische Form eines Waldes, der Schmeltz
des Obstes, das Rauchwerck der Specereystau-
den, der Schall der Blätter, sind ohne Zweifel in der
Natur. Derjenige muß eine magere Wissen-
schaft von den irdischen Dingen besizen, der sie
darinnen noch nicht wahrgenommen hat. Mißfällt
denn dem Tadler die metaphorische Einkleidung
dieser Vorstellungen? Aergert es ihn, daß dem
Obst ein Schmeltz, den Specereystauden ein

Rauch-
Von der Schreibart
„endlich die Blaͤtter, die von den Fruͤhlingsluͤf-
„ten mit einem wohlklingenden Schalle erthoͤnen?
„Was ſind alle dieſe herrlichen Bluͤmgen anders,
„als Lohenſteiniſche und Hofmannswaldauiſche
„Broken, die nach dem heutigen Geſchmake
„kaum in der Poeſie, geſchweige denn in der
„Proſa zu dulden ſind.„

Poetiſch moͤgen dieſe Ausdruͤkungen mit gutem
Rechte heiſſen, weil ſie voller lebhafter und ſcharf-
ſinniger Bilder ſind; weil ſie auch die wunderba-
ren Wuͤrkungen der poetiſchen Phantaſie nach der
Art der Poeten auf eine wunderbare Weiſe vor
Augen fuͤhren, und das, wovon da geredet wird,
in der Zeit, daß ſie es beſchreiben, vollziehen.
Daher ſteht dieſe Poeſie hier mitten unter der Pro-
ſa an dem rechten Orte; und die Worte ſtimmen
mit den Sachen und der Abſicht allzu genau uͤber-
ein, als daß man ſie mittelſt einer mechaniſchen
Kunſt haͤtte aus dem Gedaͤchtniß nehmen, oder
aus einem Hamaniſchen Lexicon borgen koͤnnen.
Und warum werden ſie vor ausſchweifend, Lohen-
ſteiniſch, und Hoffmannswaldauiſch erklaͤret? Die
waldigten Lauben, die Zaken des Palmenbaumes,
die theatraliſche Form eines Waldes, der Schmeltz
des Obſtes, das Rauchwerck der Specereyſtau-
den, der Schall der Blaͤtter, ſind ohne Zweifel in der
Natur. Derjenige muß eine magere Wiſſen-
ſchaft von den irdiſchen Dingen beſizen, der ſie
darinnen noch nicht wahrgenommen hat. Mißfaͤllt
denn dem Tadler die metaphoriſche Einkleidung
dieſer Vorſtellungen? Aergert es ihn, daß dem
Obſt ein Schmeltz, den Specereyſtauden ein

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[108/0110] Von der Schreibart „endlich die Blaͤtter, die von den Fruͤhlingsluͤf- „ten mit einem wohlklingenden Schalle erthoͤnen? „Was ſind alle dieſe herrlichen Bluͤmgen anders, „als Lohenſteiniſche und Hofmannswaldauiſche „Broken, die nach dem heutigen Geſchmake „kaum in der Poeſie, geſchweige denn in der „Proſa zu dulden ſind.„ Poetiſch moͤgen dieſe Ausdruͤkungen mit gutem Rechte heiſſen, weil ſie voller lebhafter und ſcharf- ſinniger Bilder ſind; weil ſie auch die wunderba- ren Wuͤrkungen der poetiſchen Phantaſie nach der Art der Poeten auf eine wunderbare Weiſe vor Augen fuͤhren, und das, wovon da geredet wird, in der Zeit, daß ſie es beſchreiben, vollziehen. Daher ſteht dieſe Poeſie hier mitten unter der Pro- ſa an dem rechten Orte; und die Worte ſtimmen mit den Sachen und der Abſicht allzu genau uͤber- ein, als daß man ſie mittelſt einer mechaniſchen Kunſt haͤtte aus dem Gedaͤchtniß nehmen, oder aus einem Hamaniſchen Lexicon borgen koͤnnen. Und warum werden ſie vor ausſchweifend, Lohen- ſteiniſch, und Hoffmannswaldauiſch erklaͤret? Die waldigten Lauben, die Zaken des Palmenbaumes, die theatraliſche Form eines Waldes, der Schmeltz des Obſtes, das Rauchwerck der Specereyſtau- den, der Schall der Blaͤtter, ſind ohne Zweifel in der Natur. Derjenige muß eine magere Wiſſen- ſchaft von den irdiſchen Dingen beſizen, der ſie darinnen noch nicht wahrgenommen hat. Mißfaͤllt denn dem Tadler die metaphoriſche Einkleidung dieſer Vorſtellungen? Aergert es ihn, daß dem Obſt ein Schmeltz, den Specereyſtauden ein Rauch-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/110>, abgerufen am 21.11.2024.