[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.der herrschenden Poeten. macht hatten; unser Gehorsam gegen dieselbenwar freywillig, wie der Grund, worauf sie ge- bauet waren, nur unsre Willkür und freyer un- gebundener Wille war. Der Maßsiab des Schö- nen und Angenehmen lag in unserer Empfindung, und diese ward von unsern eigenen Affecten und keiner anderer Menschen erweket. Daran hatten wir unser Vergnügen; wir fanden unser Glück bey uns selbst, und hatten nicht nöthig, es an et- was fremdes ausser uns zu binden. Wir hatten das Lob, den Ruhm, den Beysall und die Be- wunderung in unsrer Gewalt, und theilten sie mit freyem Willen denjenigen aus, die uns eben so viel davon zurükgaben. Künftig soll dieses alles aufhören. So scheinet es. Denn man will uns eine neue Dichtkunst, neue Regeln dessen, was schön, angenehm, geistreich, neu und wunder- bar heissen soll, auferlegen. Nach diesen Gese- zen will man uns richten, in die wir doch nie- mals gewilligt haben. Man meint sie zwar da- mit zu behaupten, daß sie aus der Natur der Menschen, und der Dinge hergeholet wären, und daß sie sicher zu dem wahren Endzwek der Poesie führten. Aber was thut es uns, daß sie aus der Natur des Menschen hergeleitet wor- den, nachdem sie nicht aus unsrer Natur her- genommen sind? Und daß dieses nicht sey, giebt uns unsre Abneigung dagegen, gnugsam zu ver- stehen. Für den Endzwek der Poesie sind uns unsre Regeln auch gut genug; massen wir aus der Erfahrung wissen, daß unsre Leser sich an denen Schönheiten, die ihren Ursprung unsrem freyen
der herrſchenden Poeten. macht hatten; unſer Gehorſam gegen dieſelbenwar freywillig, wie der Grund, worauf ſie ge- bauet waren, nur unſre Willkuͤr und freyer un- gebundener Wille war. Der Maßſiab des Schoͤ- nen und Angenehmen lag in unſerer Empfindung, und dieſe ward von unſern eigenen Affecten und keiner anderer Menſchen erweket. Daran hatten wir unſer Vergnuͤgen; wir fanden unſer Gluͤck bey uns ſelbſt, und hatten nicht noͤthig, es an et- was fremdes auſſer uns zu binden. Wir hatten das Lob, den Ruhm, den Beyſall und die Be- wunderung in unſrer Gewalt, und theilten ſie mit freyem Willen denjenigen aus, die uns eben ſo viel davon zuruͤkgaben. Kuͤnftig ſoll dieſes alles aufhoͤren. So ſcheinet es. Denn man will uns eine neue Dichtkunſt, neue Regeln deſſen, was ſchoͤn, angenehm, geiſtreich, neu und wunder- bar heiſſen ſoll, auferlegen. Nach dieſen Geſe- zen will man uns richten, in die wir doch nie- mals gewilligt haben. Man meint ſie zwar da- mit zu behaupten, daß ſie aus der Natur der Menſchen, und der Dinge hergeholet waͤren, und daß ſie ſicher zu dem wahren Endzwek der Poeſie fuͤhrten. Aber was thut es uns, daß ſie aus der Natur des Menſchen hergeleitet wor- den, nachdem ſie nicht aus unſrer Natur her- genommen ſind? Und daß dieſes nicht ſey, giebt uns unſre Abneigung dagegen, gnugſam zu ver- ſtehen. Fuͤr den Endzwek der Poeſie ſind uns unſre Regeln auch gut genug; maſſen wir aus der Erfahrung wiſſen, daß unſre Leſer ſich an denen Schoͤnheiten, die ihren Urſprung unſrem freyen
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der herrſchenden Poeten.
macht hatten; unſer Gehorſam gegen dieſelben
war freywillig, wie der Grund, worauf ſie ge-
bauet waren, nur unſre Willkuͤr und freyer un-
gebundener Wille war. Der Maßſiab des Schoͤ-
nen und Angenehmen lag in unſerer Empfindung,
und dieſe ward von unſern eigenen Affecten und
keiner anderer Menſchen erweket. Daran hatten
wir unſer Vergnuͤgen; wir fanden unſer Gluͤck
bey uns ſelbſt, und hatten nicht noͤthig, es an et-
was fremdes auſſer uns zu binden. Wir hatten
das Lob, den Ruhm, den Beyſall und die Be-
wunderung in unſrer Gewalt, und theilten ſie mit
freyem Willen denjenigen aus, die uns eben ſo
viel davon zuruͤkgaben. Kuͤnftig ſoll dieſes alles
aufhoͤren. So ſcheinet es. Denn man will uns
eine neue Dichtkunſt, neue Regeln deſſen, was
ſchoͤn, angenehm, geiſtreich, neu und wunder-
bar heiſſen ſoll, auferlegen. Nach dieſen Geſe-
zen will man uns richten, in die wir doch nie-
mals gewilligt haben. Man meint ſie zwar da-
mit zu behaupten, daß ſie aus der Natur der
Menſchen, und der Dinge hergeholet waͤren,
und daß ſie ſicher zu dem wahren Endzwek der
Poeſie fuͤhrten. Aber was thut es uns, daß
ſie aus der Natur des Menſchen hergeleitet wor-
den, nachdem ſie nicht aus unſrer Natur her-
genommen ſind? Und daß dieſes nicht ſey, giebt
uns unſre Abneigung dagegen, gnugſam zu ver-
ſtehen. Fuͤr den Endzwek der Poeſie ſind uns
unſre Regeln auch gut genug; maſſen wir aus
der Erfahrung wiſſen, daß unſre Leſer ſich an
denen Schoͤnheiten, die ihren Urſprung unſrem
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