[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.der herrschenden Poeten. Apollo und die neun Musen um Beystand an-ruffet, so erhöre ich eure Bitte. Aber diese gros- se Berathschlagung erfoderte meine sichtbare Ge- genwart unter euch. Es war billig, daß ich euch durch das hertzstärkende Anschauen meines Ange- sichtes beseeligte. Noch mehr war es nöthig, daß ich in diesen bösen und treulosen Umständen euch apo mekhanes beystühnde. Denn ich kan euch nicht bergen, (es wäre uns zu schädlich, wenn wir es vor uns selber verbergen wollten,) daß wir mit spitzfündigen Männern zu thun haben, derer Ur- theile und Lehren einen grossen Schein mit sich führen, dermassen, daß ich selbst im Zweifel stehe, ob sie nicht auf einem guten Grunde beruhen. Zu geschweigen daß sie mit allerley List, mit Ver- nunftsränken und Kunstgriffen wol versehen sind, welche sie zu ihrem besten Vortheil anzubringen wissen. Jch sehe darum mit Lust und Vergnü- gen, daß es euch an hartnäkigem Muthe, an ho- her Einbildung, und an blindem Eifer nicht fehlet, euch dagegen zu setzen; und ich merke wol, daß es nöthiger ist euch zu hinterhalten, als anzuspornen. Denn diese hohen Regungen können mehr Scha- den als Nuzen bringen, wenn sie nicht gemässiget werden. Der Stolz muß uns nicht verführen, daß wir die gemeinsten und leichtesten Mittel, die uns zu dem Zweke führen, gegen denjenigen ver- achten, die zwar schwerer und erhabener, aber da- bey desto gefährlicher sind. Darum verwerffe ich, daß wir uns in eine Untersuchung der schweizeri- schen Grundlehren wagen. Es ist mehr Hochmuth, als Sicherheit und Nuzen in diesem Vornehmen. Wir
der herrſchenden Poeten. Apollo und die neun Muſen um Beyſtand an-ruffet, ſo erhoͤre ich eure Bitte. Aber dieſe groſ- ſe Berathſchlagung erfoderte meine ſichtbare Ge- genwart unter euch. Es war billig, daß ich euch durch das hertzſtaͤrkende Anſchauen meines Ange- ſichtes beſeeligte. Noch mehr war es noͤthig, daß ich in dieſen boͤſen und treuloſen Umſtaͤnden euch ἀπὸ μηχανῆς beyſtuͤhnde. Denn ich kan euch nicht bergen, (es waͤre uns zu ſchaͤdlich, wenn wir es vor uns ſelber verbergen wollten,) daß wir mit ſpitzfuͤndigen Maͤnnern zu thun haben, derer Ur- theile und Lehren einen groſſen Schein mit ſich fuͤhren, dermaſſen, daß ich ſelbſt im Zweifel ſtehe, ob ſie nicht auf einem guten Grunde beruhen. Zu geſchweigen daß ſie mit allerley Liſt, mit Ver- nunftsraͤnken und Kunſtgriffen wol verſehen ſind, welche ſie zu ihrem beſten Vortheil anzubringen wiſſen. Jch ſehe darum mit Luſt und Vergnuͤ- gen, daß es euch an hartnaͤkigem Muthe, an ho- her Einbildung, und an blindem Eifer nicht fehlet, euch dagegen zu ſetzen; und ich merke wol, daß es noͤthiger iſt euch zu hinterhalten, als anzuſpornen. Denn dieſe hohen Regungen koͤnnen mehr Scha- den als Nuzen bringen, wenn ſie nicht gemaͤſſiget werden. Der Stolz muß uns nicht verfuͤhren, daß wir die gemeinſten und leichteſten Mittel, die uns zu dem Zweke fuͤhren, gegen denjenigen ver- achten, die zwar ſchwerer und erhabener, aber da- bey deſto gefaͤhrlicher ſind. Darum verwerffe ich, daß wir uns in eine Unterſuchung der ſchweizeri- ſchen Grundlehren wagen. Es iſt mehr Hochmuth, als Sicherheit und Nuzen in dieſem Vornehmen. Wir
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der herrſchenden Poeten.
Apollo und die neun Muſen um Beyſtand an-
ruffet, ſo erhoͤre ich eure Bitte. Aber dieſe groſ-
ſe Berathſchlagung erfoderte meine ſichtbare Ge-
genwart unter euch. Es war billig, daß ich euch
durch das hertzſtaͤrkende Anſchauen meines Ange-
ſichtes beſeeligte. Noch mehr war es noͤthig,
daß ich in dieſen boͤſen und treuloſen Umſtaͤnden
euch ἀπὸ μηχανῆς beyſtuͤhnde. Denn ich kan euch
nicht bergen, (es waͤre uns zu ſchaͤdlich, wenn wir
es vor uns ſelber verbergen wollten,) daß wir mit
ſpitzfuͤndigen Maͤnnern zu thun haben, derer Ur-
theile und Lehren einen groſſen Schein mit ſich
fuͤhren, dermaſſen, daß ich ſelbſt im Zweifel ſtehe,
ob ſie nicht auf einem guten Grunde beruhen. Zu
geſchweigen daß ſie mit allerley Liſt, mit Ver-
nunftsraͤnken und Kunſtgriffen wol verſehen ſind,
welche ſie zu ihrem beſten Vortheil anzubringen
wiſſen. Jch ſehe darum mit Luſt und Vergnuͤ-
gen, daß es euch an hartnaͤkigem Muthe, an ho-
her Einbildung, und an blindem Eifer nicht fehlet,
euch dagegen zu ſetzen; und ich merke wol, daß es
noͤthiger iſt euch zu hinterhalten, als anzuſpornen.
Denn dieſe hohen Regungen koͤnnen mehr Scha-
den als Nuzen bringen, wenn ſie nicht gemaͤſſiget
werden. Der Stolz muß uns nicht verfuͤhren,
daß wir die gemeinſten und leichteſten Mittel, die
uns zu dem Zweke fuͤhren, gegen denjenigen ver-
achten, die zwar ſchwerer und erhabener, aber da-
bey deſto gefaͤhrlicher ſind. Darum verwerffe ich,
daß wir uns in eine Unterſuchung der ſchweizeri-
ſchen Grundlehren wagen. Es iſt mehr Hochmuth,
als Sicherheit und Nuzen in dieſem Vornehmen.
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