[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742.des deutschen Witzes. felhaft gar nicht ausdrücken, weil der Zweifelbey gantz andern Gemüthesverfassungen eben so wohl statt haben kan. Und in so weit, als lange ich bey der Vergleichung stille stehe, und sage, ich stehe, wie betreten, ist nun meine Ausdrü- kung noch gut Deutsch, weil die Redensart, einen betreten, unstreitig den Obersachsen gar geläufig ist. Aber wenn ich dann nur einen Schritt wei- ter gehe, und diese Vergleichung in eine Meta- phor verwandle, und sage, ich stehe betreten, so verfalle ich eben dadurch in den Suizerismum; denn die Hochdeutschen, damit man sie auch ver- stehe, wenn sie nichts sagen, hassen alle Aus- drücke, die viel gedenken lassen; und darum ha- ben sie auch seit einem halb Dutzend Jahre eine Menge Metaphoren aus ihrer Sprache verbannet. Sie sind nicht mehr auf eine so haushältliche Einrichtung ihrer Sprache, wie ehedessen, be- dacht, da man sich ein grosses darauf eingebil- det, daß man mit wenig Worten viel hat sagen können, gleich als ob man sich seiner Sprache hätte zu schämen gehabt. Wie wollten sie aber heut zu Tage den Reichthum ihrer Sprache be- haupten können, wenn sie nicht durch häufige Exempel und Proben unwidersprechlich dargethan, daß sie in ihrer Heldensprache mehr sagen kön- nen, als sie gedencken; zumahlen da ihre Leser grossentheils gewohnt sind, nur über ihre Büch- lein weg zu riechen. Zugeschweigen, daß solche Ausdrückungen, die dem Nachdenken die geringste Arbeit machen, den zarten deutschen Ohren noth- wendig als hart und rauh vorkommen und diesel- ben
des deutſchen Witzes. felhaft gar nicht ausdruͤcken, weil der Zweifelbey gantz andern Gemuͤthesverfaſſungen eben ſo wohl ſtatt haben kan. Und in ſo weit, als lange ich bey der Vergleichung ſtille ſtehe, und ſage, ich ſtehe, wie betreten, iſt nun meine Ausdruͤ- kung noch gut Deutſch, weil die Redensart, einen betreten, unſtreitig den Oberſachſen gar gelaͤufig iſt. Aber wenn ich dann nur einen Schritt wei- ter gehe, und dieſe Vergleichung in eine Meta- phor verwandle, und ſage, ich ſtehe betreten, ſo verfalle ich eben dadurch in den Suizeriſmum; denn die Hochdeutſchen, damit man ſie auch ver- ſtehe, wenn ſie nichts ſagen, haſſen alle Aus- druͤcke, die viel gedenken laſſen; und darum ha- ben ſie auch ſeit einem halb Dutzend Jahre eine Menge Metaphoren aus ihrer Sprache verbannet. Sie ſind nicht mehr auf eine ſo haushaͤltliche Einrichtung ihrer Sprache, wie ehedeſſen, be- dacht, da man ſich ein groſſes darauf eingebil- det, daß man mit wenig Worten viel hat ſagen koͤnnen, gleich als ob man ſich ſeiner Sprache haͤtte zu ſchaͤmen gehabt. Wie wollten ſie aber heut zu Tage den Reichthum ihrer Sprache be- haupten koͤnnen, wenn ſie nicht durch haͤufige Exempel und Proben unwiderſprechlich dargethan, daß ſie in ihrer Heldenſprache mehr ſagen koͤn- nen, als ſie gedencken; zumahlen da ihre Leſer groſſentheils gewohnt ſind, nur uͤber ihre Buͤch- lein weg zu riechen. Zugeſchweigen, daß ſolche Ausdruͤckungen, die dem Nachdenken die geringſte Arbeit machen, den zarten deutſchen Ohren noth- wendig als hart und rauh vorkommen und dieſel- ben
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des deutſchen Witzes.
felhaft gar nicht ausdruͤcken, weil der Zweifel
bey gantz andern Gemuͤthesverfaſſungen eben ſo
wohl ſtatt haben kan. Und in ſo weit, als lange
ich bey der Vergleichung ſtille ſtehe, und ſage,
ich ſtehe, wie betreten, iſt nun meine Ausdruͤ-
kung noch gut Deutſch, weil die Redensart, einen
betreten, unſtreitig den Oberſachſen gar gelaͤufig
iſt. Aber wenn ich dann nur einen Schritt wei-
ter gehe, und dieſe Vergleichung in eine Meta-
phor verwandle, und ſage, ich ſtehe betreten,
ſo verfalle ich eben dadurch in den Suizeriſmum;
denn die Hochdeutſchen, damit man ſie auch ver-
ſtehe, wenn ſie nichts ſagen, haſſen alle Aus-
druͤcke, die viel gedenken laſſen; und darum ha-
ben ſie auch ſeit einem halb Dutzend Jahre eine
Menge Metaphoren aus ihrer Sprache verbannet.
Sie ſind nicht mehr auf eine ſo haushaͤltliche
Einrichtung ihrer Sprache, wie ehedeſſen, be-
dacht, da man ſich ein groſſes darauf eingebil-
det, daß man mit wenig Worten viel hat ſagen
koͤnnen, gleich als ob man ſich ſeiner Sprache
haͤtte zu ſchaͤmen gehabt. Wie wollten ſie aber
heut zu Tage den Reichthum ihrer Sprache be-
haupten koͤnnen, wenn ſie nicht durch haͤufige
Exempel und Proben unwiderſprechlich dargethan,
daß ſie in ihrer Heldenſprache mehr ſagen koͤn-
nen, als ſie gedencken; zumahlen da ihre Leſer
groſſentheils gewohnt ſind, nur uͤber ihre Buͤch-
lein weg zu riechen. Zugeſchweigen, daß ſolche
Ausdruͤckungen, die dem Nachdenken die geringſte
Arbeit machen, den zarten deutſchen Ohren noth-
wendig als hart und rauh vorkommen und dieſel-
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