Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

Mauvillons Brief
Ernstliche mit dem Possierlichen; das Hohe mit
dem Kriechenden, und das Prächtige mit dem

Lusti-
"die ein Dichter alsdann starck gebrauchen müßte, wenn
"er das sicherste Mittel haben wollte, uns unerträglich zu
"werden. Wenn Sie sich diese Schreibart einbilden, mein
"Herr, so haben sie dasjenige, was die Grösse gewisser
"ausländischer Dichter, und einen Theil von dem Ruhme
"ihrer Nation ausmachet. Jch weiß nicht, ob nach dem Ur-
"theile der gantzen Nation, oder nur bloß nach dem Aus-
"spruche des grossen Kunstrichters, der vielleicht auch den
"Homer und Despreaux tadelt, daß sie die Batrachomyo-
"machie und das Pult nicht in marotischen Versen geschrie-
"ben haben. etc."
Jch muß die kleine Bosheit dieses an-
sehnlichen Lustigmachers ein wenig beleuchten. Es ist eben
so lächerlich, wenn er die marotische Sprache als altfrän-
kisch, niederträchtig und pöbelhaft anschwärtzen will, als
wenn einer sich über die Hofleute Franciscus des ersten
erzörnen wollte, daß sie nicht in der itzigen neumodischen
Kleidung auftreten. Die marotische Sprache ist bey den
Franzosen diejenige, welche an dem Hofe des besagten Kö-
nigs geredet worden. Sie war so bequem schertzhafte und
und satirische Gedancken darinnen einzukleiden, und Ma-
rot hatte sie zu diesem Ende so geschickt gebraucht, daß sie
als eine todte Sprache noch heutzutage in seinen Schriften
erlernet, und noch zu demselben Ende angewendet wird.
La Brüyere hat davon geurtheilet: "Marot scheint im Ab-
"sehen auf seine Redensarten und Ausdrücke erst seit Ron-
"sards Zeit gelebet zu haben; zwischen ihm und uns ist
"nur ein Unterschied von etlichen Wörtern." Sofern ist
es, daß diese Sprache pöbelhaft sey, oder wider die Gram-
matick verstosse, wiewohl sie ihre eigene Grammatick hat.
Man findet im Marot einen gantz herrlichen und prächtigen
Ausdruck, der ihn mitten in dem artigen und zierlichen
Schertze unterstüzt, von welchem er der Vater ist, und zu-
gleich das Muster giebt. Diesen Character giebt ihm Boi-
leau:
Imi-

Mauvillons Brief
Ernſtliche mit dem Poſſierlichen; das Hohe mit
dem Kriechenden, und das Praͤchtige mit dem

Luſti-
„die ein Dichter alsdann ſtarck gebrauchen muͤßte, wenn
„er das ſicherſte Mittel haben wollte, uns unertraͤglich zu
„werden. Wenn Sie ſich dieſe Schreibart einbilden, mein
„Herr, ſo haben ſie dasjenige, was die Groͤſſe gewiſſer
„auslaͤndiſcher Dichter, und einen Theil von dem Ruhme
„ihrer Nation ausmachet. Jch weiß nicht, ob nach dem Ur-
„theile der gantzen Nation, oder nur bloß nach dem Aus-
„ſpruche des groſſen Kunſtrichters, der vielleicht auch den
„Homer und Deſpreaux tadelt, daß ſie die Batrachomyo-
„machie und das Pult nicht in marotiſchen Verſen geſchrie-
„ben haben. ꝛc.„
Jch muß die kleine Bosheit dieſes an-
ſehnlichen Luſtigmachers ein wenig beleuchten. Es iſt eben
ſo laͤcherlich, wenn er die marotiſche Sprache als altfraͤn-
kiſch, niedertraͤchtig und poͤbelhaft anſchwaͤrtzen will, als
wenn einer ſich uͤber die Hofleute Franciſcus des erſten
erzoͤrnen wollte, daß ſie nicht in der itzigen neumodiſchen
Kleidung auftreten. Die marotiſche Sprache iſt bey den
Franzoſen diejenige, welche an dem Hofe des beſagten Koͤ-
nigs geredet worden. Sie war ſo bequem ſchertzhafte und
und ſatiriſche Gedancken darinnen einzukleiden, und Ma-
rot hatte ſie zu dieſem Ende ſo geſchickt gebraucht, daß ſie
als eine todte Sprache noch heutzutage in ſeinen Schriften
erlernet, und noch zu demſelben Ende angewendet wird.
La Bruͤyere hat davon geurtheilet: „Marot ſcheint im Ab-
„ſehen auf ſeine Redensarten und Ausdruͤcke erſt ſeit Ron-
„ſards Zeit gelebet zu haben; zwiſchen ihm und uns iſt
„nur ein Unterſchied von etlichen Woͤrtern.„ Sofern iſt
es, daß dieſe Sprache poͤbelhaft ſey, oder wider die Gram-
matick verſtoſſe, wiewohl ſie ihre eigene Grammatick hat.
Man findet im Marot einen gantz herrlichen und praͤchtigen
Ausdruck, der ihn mitten in dem artigen und zierlichen
Schertze unterſtuͤzt, von welchem er der Vater iſt, und zu-
gleich das Muſter giebt. Dieſen Character giebt ihm Boi-
leau:
Imi-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mauvillons Brief</hi></fw><lb/>
Ern&#x017F;tliche mit dem Po&#x017F;&#x017F;ierlichen; das Hohe mit<lb/>
dem Kriechenden, und das Pra&#x0364;chtige mit dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Lu&#x017F;ti-</fw><lb/><note xml:id="a020b" prev="#a020" place="foot" next="#a020c"><cit><quote>&#x201E;die ein Dichter alsdann &#x017F;tarck gebrauchen mu&#x0364;ßte, wenn<lb/>
&#x201E;er das &#x017F;icher&#x017F;te Mittel haben wollte, uns unertra&#x0364;glich zu<lb/>
&#x201E;werden. Wenn Sie &#x017F;ich die&#x017F;e Schreibart einbilden, mein<lb/>
&#x201E;Herr, &#x017F;o haben &#x017F;ie dasjenige, was die Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x201E;ausla&#x0364;ndi&#x017F;cher Dichter, und einen Theil von dem Ruhme<lb/>
&#x201E;ihrer Nation ausmachet. Jch weiß nicht, ob nach dem Ur-<lb/>
&#x201E;theile der gantzen Nation, oder nur bloß nach dem Aus-<lb/>
&#x201E;&#x017F;pruche des gro&#x017F;&#x017F;en Kun&#x017F;trichters, der vielleicht auch den<lb/>
&#x201E;Homer und De&#x017F;preaux tadelt, daß &#x017F;ie die Batrachomyo-<lb/>
&#x201E;machie und das Pult nicht in maroti&#x017F;chen Ver&#x017F;en ge&#x017F;chrie-<lb/>
&#x201E;ben haben. &#xA75B;c.&#x201E;</quote></cit> Jch muß die kleine Bosheit die&#x017F;es an-<lb/>
&#x017F;ehnlichen Lu&#x017F;tigmachers ein wenig beleuchten. Es i&#x017F;t eben<lb/>
&#x017F;o la&#x0364;cherlich, wenn er die maroti&#x017F;che Sprache als altfra&#x0364;n-<lb/>
ki&#x017F;ch, niedertra&#x0364;chtig und po&#x0364;belhaft an&#x017F;chwa&#x0364;rtzen will, als<lb/>
wenn einer &#x017F;ich u&#x0364;ber die Hofleute Franci&#x017F;cus des er&#x017F;ten<lb/>
erzo&#x0364;rnen wollte, daß &#x017F;ie nicht in der itzigen neumodi&#x017F;chen<lb/>
Kleidung auftreten. Die maroti&#x017F;che Sprache i&#x017F;t bey den<lb/>
Franzo&#x017F;en diejenige, welche an dem Hofe des be&#x017F;agten Ko&#x0364;-<lb/>
nigs geredet worden. Sie war &#x017F;o bequem &#x017F;chertzhafte und<lb/>
und &#x017F;atiri&#x017F;che Gedancken darinnen einzukleiden, und Ma-<lb/>
rot hatte &#x017F;ie zu die&#x017F;em Ende &#x017F;o ge&#x017F;chickt gebraucht, daß &#x017F;ie<lb/>
als eine todte Sprache noch heutzutage in &#x017F;einen Schriften<lb/>
erlernet, und noch zu dem&#x017F;elben Ende angewendet wird.<lb/>
La Bru&#x0364;yere hat davon geurtheilet: &#x201E;Marot &#x017F;cheint im Ab-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ehen auf &#x017F;eine Redensarten und Ausdru&#x0364;cke er&#x017F;t &#x017F;eit Ron-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ards Zeit gelebet zu haben; zwi&#x017F;chen ihm und uns i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;nur ein Unter&#x017F;chied von etlichen Wo&#x0364;rtern.&#x201E; Sofern i&#x017F;t<lb/>
es, daß die&#x017F;e Sprache po&#x0364;belhaft &#x017F;ey, oder wider die Gram-<lb/>
matick ver&#x017F;to&#x017F;&#x017F;e, wiewohl &#x017F;ie ihre eigene Grammatick hat.<lb/>
Man findet im Marot einen gantz herrlichen und pra&#x0364;chtigen<lb/>
Ausdruck, der ihn mitten in dem artigen und zierlichen<lb/>
Schertze unter&#x017F;tu&#x0364;zt, von welchem er der Vater i&#x017F;t, und zu-<lb/>
gleich das Mu&#x017F;ter giebt. Die&#x017F;en Character giebt ihm Boi-<lb/>
leau:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">Imi-</hi></fw></note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0050] Mauvillons Brief Ernſtliche mit dem Poſſierlichen; das Hohe mit dem Kriechenden, und das Praͤchtige mit dem Luſti- „die ein Dichter alsdann ſtarck gebrauchen muͤßte, wenn „er das ſicherſte Mittel haben wollte, uns unertraͤglich zu „werden. Wenn Sie ſich dieſe Schreibart einbilden, mein „Herr, ſo haben ſie dasjenige, was die Groͤſſe gewiſſer „auslaͤndiſcher Dichter, und einen Theil von dem Ruhme „ihrer Nation ausmachet. Jch weiß nicht, ob nach dem Ur- „theile der gantzen Nation, oder nur bloß nach dem Aus- „ſpruche des groſſen Kunſtrichters, der vielleicht auch den „Homer und Deſpreaux tadelt, daß ſie die Batrachomyo- „machie und das Pult nicht in marotiſchen Verſen geſchrie- „ben haben. ꝛc.„ Jch muß die kleine Bosheit dieſes an- ſehnlichen Luſtigmachers ein wenig beleuchten. Es iſt eben ſo laͤcherlich, wenn er die marotiſche Sprache als altfraͤn- kiſch, niedertraͤchtig und poͤbelhaft anſchwaͤrtzen will, als wenn einer ſich uͤber die Hofleute Franciſcus des erſten erzoͤrnen wollte, daß ſie nicht in der itzigen neumodiſchen Kleidung auftreten. Die marotiſche Sprache iſt bey den Franzoſen diejenige, welche an dem Hofe des beſagten Koͤ- nigs geredet worden. Sie war ſo bequem ſchertzhafte und und ſatiriſche Gedancken darinnen einzukleiden, und Ma- rot hatte ſie zu dieſem Ende ſo geſchickt gebraucht, daß ſie als eine todte Sprache noch heutzutage in ſeinen Schriften erlernet, und noch zu demſelben Ende angewendet wird. La Bruͤyere hat davon geurtheilet: „Marot ſcheint im Ab- „ſehen auf ſeine Redensarten und Ausdruͤcke erſt ſeit Ron- „ſards Zeit gelebet zu haben; zwiſchen ihm und uns iſt „nur ein Unterſchied von etlichen Woͤrtern.„ Sofern iſt es, daß dieſe Sprache poͤbelhaft ſey, oder wider die Gram- matick verſtoſſe, wiewohl ſie ihre eigene Grammatick hat. Man findet im Marot einen gantz herrlichen und praͤchtigen Ausdruck, der ihn mitten in dem artigen und zierlichen Schertze unterſtuͤzt, von welchem er der Vater iſt, und zu- gleich das Muſter giebt. Dieſen Character giebt ihm Boi- leau: Imi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/50
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/50>, abgerufen am 21.11.2024.