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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von den deutschen Poeten.
hervorgebracht habe. Jch fodere euch darauf
heraus.

Man
"sten
"den Jtalienern, Franzosen, Holländern, und Engel-
"ländern, alldereit gleich gethan hätte. Und dieses ist
"gar kein Wunder. Es gehört mehr als ein Jahrhun-
"dert dazu,
wenn ein gantzes Volck aus seiner natürli-
"chen Rauhigkeit nnd Barbarey gerissen werden soll. - -
"Franckreich ist später, als die Jtaliener, zu demjeni-
"gen Grade der Vollkommenheit
gelanget, den wir
"bisher diesem Volck haben zugestehen müssen.
- - - -
"Wir Deutschen haben uns hundert Jahre später beson-
"nen, seit dem nemlich der unsterbliche Opitz - - - ei-
"nen gantz andern Geschmack eingeführet hat. - - - - -
"Doch Opitz ist noch nicht hundert Jahre todt, und es
"fehlt noch viel daran, daß wir uns andern benachbar-
"ten Völckern an die Seite setzen könnten.
Die Anzahl
"schöner Schriften in unsrer Muttersprache ist noch sehr
"klein. Die Meisterstücke unsrer Poeten erstrecken sich
"nur erst bis auf die kleinern Gattungen der Gedichte,
"ja auch darinn sind die regelmässigen und untadelichen
"noch nicht sehr häufig zu haben.
Die Beredsamkeit
"hat gleichfalls kaum die Kinderschuhe vertreten, muß
"auch noch etwa ein halbes Jahrhundert Zeit haben, ehe
"sie zu einem männlichen Alter gelangen wird. - - - - -
"Seichte Geister sehen alle unsre Scherben vor Edelge-
"steine an; Wer aber die wahren Vollkommenheiten
"der Ausländer nach den Regeln der Vernunft und Kunst
"kennen gelernet,
der kan sich nicht enthalten, unsren
"Eigendünckel mit Erbarmen, und die daher entstehen-
"de Nachlässigkeit mit einigem Unwillen anzusehen."
Und in eben diesem ersten St. auf der 137sten Seite stehet
folgendes Zeugniß: "So schmeichelhaft es unsrer Ei-
"genliebe klinget, wenn wir es unsrem Vaterlande in
"dem iztlaufenden Jahrhundert zum Lobe nachsagen, daß
"darinnen alle Künste und Wissenschaften auf den höch-

von den deutſchen Poeten.
hervorgebracht habe. Jch fodere euch darauf
heraus.

Man
„ſten
„den Jtalienern, Franzoſen, Hollaͤndern, und Engel-
„laͤndern, alldereit gleich gethan haͤtte. Und dieſes iſt
„gar kein Wunder. Es gehoͤrt mehr als ein Jahrhun-
„dert dazu,
wenn ein gantzes Volck aus ſeiner natuͤrli-
„chen Rauhigkeit nnd Barbarey geriſſen werden ſoll. ‒ ‒
„Franckreich iſt ſpaͤter, als die Jtaliener, zu demjeni-
„gen Grade der Vollkommenheit
gelanget, den wir
„bisher dieſem Volck haben zugeſtehen muͤſſen.
‒ ‒ ‒ ‒
„Wir Deutſchen haben uns hundert Jahre ſpaͤter beſon-
„nen, ſeit dem nemlich der unſterbliche Opitz ‒ ‒ ‒ ei-
„nen gantz andern Geſchmack eingefuͤhret hat. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
„Doch Opitz iſt noch nicht hundert Jahre todt, und es
„fehlt noch viel daran, daß wir uns andern benachbar-
„ten Voͤlckern an die Seite ſetzen koͤnnten.
Die Anzahl
„ſchoͤner Schriften in unſrer Mutterſprache iſt noch ſehr
„klein. Die Meiſterſtuͤcke unſrer Poeten erſtrecken ſich
„nur erſt bis auf die kleinern Gattungen der Gedichte,
ja auch darinn ſind die regelmaͤſſigen und untadelichen
„noch nicht ſehr haͤufig zu haben.
Die Beredſamkeit
„hat gleichfalls kaum die Kinderſchuhe vertreten, muß
„auch noch etwa ein halbes Jahrhundert Zeit haben, ehe
„ſie zu einem maͤnnlichen Alter gelangen wird. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
„Seichte Geiſter ſehen alle unſre Scherben vor Edelge-
„ſteine an; Wer aber die wahren Vollkommenheiten
„der Auslaͤnder nach den Regeln der Vernunft und Kunſt
„kennen gelernet,
der kan ſich nicht enthalten, unſren
„Eigenduͤnckel mit Erbarmen, und die daher entſtehen-
„de Nachlaͤſſigkeit mit einigem Unwillen anzuſehen.„
Und in eben dieſem erſten St. auf der 137ſten Seite ſtehet
folgendes Zeugniß: „So ſchmeichelhaft es unſrer Ei-
„genliebe klinget, wenn wir es unſrem Vaterlande in
„dem iztlaufenden Jahrhundert zum Lobe nachſagen, daß
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[61/0061] von den deutſchen Poeten. hervorgebracht habe. Jch fodere euch darauf heraus. Man „den Jtalienern, Franzoſen, Hollaͤndern, und Engel- „laͤndern, alldereit gleich gethan haͤtte. Und dieſes iſt „gar kein Wunder. Es gehoͤrt mehr als ein Jahrhun- „dert dazu, wenn ein gantzes Volck aus ſeiner natuͤrli- „chen Rauhigkeit nnd Barbarey geriſſen werden ſoll. ‒ ‒ „Franckreich iſt ſpaͤter, als die Jtaliener, zu demjeni- „gen Grade der Vollkommenheit gelanget, den wir „bisher dieſem Volck haben zugeſtehen muͤſſen. ‒ ‒ ‒ ‒ „Wir Deutſchen haben uns hundert Jahre ſpaͤter beſon- „nen, ſeit dem nemlich der unſterbliche Opitz ‒ ‒ ‒ ei- „nen gantz andern Geſchmack eingefuͤhret hat. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ „Doch Opitz iſt noch nicht hundert Jahre todt, und es „fehlt noch viel daran, daß wir uns andern benachbar- „ten Voͤlckern an die Seite ſetzen koͤnnten. Die Anzahl „ſchoͤner Schriften in unſrer Mutterſprache iſt noch ſehr „klein. Die Meiſterſtuͤcke unſrer Poeten erſtrecken ſich „nur erſt bis auf die kleinern Gattungen der Gedichte, „ja auch darinn ſind die regelmaͤſſigen und untadelichen „noch nicht ſehr haͤufig zu haben. Die Beredſamkeit „hat gleichfalls kaum die Kinderſchuhe vertreten, muß „auch noch etwa ein halbes Jahrhundert Zeit haben, ehe „ſie zu einem maͤnnlichen Alter gelangen wird. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ „Seichte Geiſter ſehen alle unſre Scherben vor Edelge- „ſteine an; Wer aber die wahren Vollkommenheiten „der Auslaͤnder nach den Regeln der Vernunft und Kunſt „kennen gelernet, der kan ſich nicht enthalten, unſren „Eigenduͤnckel mit Erbarmen, und die daher entſtehen- „de Nachlaͤſſigkeit mit einigem Unwillen anzuſehen.„ Und in eben dieſem erſten St. auf der 137ſten Seite ſtehet folgendes Zeugniß: „So ſchmeichelhaft es unſrer Ei- „genliebe klinget, wenn wir es unſrem Vaterlande in „dem iztlaufenden Jahrhundert zum Lobe nachſagen, daß „darinnen alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften auf den hoͤch- „ſten

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/61>, abgerufen am 27.11.2024.