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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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Mauvillons Brief

Aber wie kömmts daß eure Nation nicht ein
eintziges theatralisches Stücke, (T) das nur
einigen Werth habe, aus ihrem Eigenthum an
den Tag bringen kan? Wo wollte sie es herneh-
men? Eure Poeten legen sich schier allein auf
kleine Gedichte, und öfters auf elendes Zeug.
(V) Die Gedichte, die Brockes geschrieben,

"gen
gehö-
man sich aber erinnern muß, daß dieses nur ein ironisches Lob
ist; das Gespötte herrschet darinnen, doch so, daß es zu
keiner bäurischen Grobheit hinunterfällt. Der Poet sagt
darum selbst in der Zuschrift: Absit a nobis illicita verbo-
rum Lascivia. - - Aristophani, Plauto, Juvenali suam
linguam relinquamus. Christiano parcius delirandum est.
(T) Jch bekräftige dieses mit einem Zeugnisse aus dem
X. St. der Crit. Beytr. Bl. 274. "Es ist Hrn. Gott-
"sched nichts weniger in Sinn gekommen, als die heuti-
"ge deutsche Schaubühne mit allen ihren Staatsactio-
"nen und Possenspielen zu vertheidigen. Die gute Tra-
"gödie und Comödie ist noch zur Zeit in Deutschland nicht
"recht zu Hause. Was für elendes Zeug wird nicht von
"den gemeinen Comödianten überall aufgeführet? Und
"wer kan es leugnen, daß oft noch weniger Verstand
"und Ordnung, Geschmack und gute Sitten darinnen
"herrschen, als in den heutigen Opern? - - - - -
"Diese Art Schauspiele ist noch so gemein in Deutschland
"nicht, daß man sie NB. unsre deutsche Schaubühne nen-
"nen könnte. Sie ist noch gleichsam als ein Gast auf
"fremdem Boden anzusehen; so lange wir uns mit lau-
"ter Uebersetzungen fremder Stücke behelffen müssen.

"Denn der deutschen Originale giebt es leider! noch so
"wenige, daß man kaum eine Woche lang gute deutsche
"Stücke würde spielen können."
(V) Jn dem XIX. St. der Crit. Beyträge Bl. 443.
"Was diejenigen betrifft, die sich auf. die Dichtkunst le-
Mauvillons Brief

Aber wie koͤmmts daß eure Nation nicht ein
eintziges theatraliſches Stuͤcke, (T) das nur
einigen Werth habe, aus ihrem Eigenthum an
den Tag bringen kan? Wo wollte ſie es herneh-
men? Eure Poeten legen ſich ſchier allein auf
kleine Gedichte, und oͤfters auf elendes Zeug.
(V) Die Gedichte, die Brockes geſchrieben,

„gen
gehoͤ-
man ſich aber erinnern muß, daß dieſes nur ein ironiſches Lob
iſt; das Geſpoͤtte herrſchet darinnen, doch ſo, daß es zu
keiner baͤuriſchen Grobheit hinunterfaͤllt. Der Poet ſagt
darum ſelbſt in der Zuſchrift: Abſit à nobis illicita verbo-
rum Laſcivia. ‒ ‒ Ariſtophani, Plauto, Juvenali ſuam
linguam relinquamus. Chriſtiano parcius delirandum eſt.
(T) Jch bekraͤftige dieſes mit einem Zeugniſſe aus dem
X. St. der Crit. Beytr. Bl. 274. „Es iſt Hrn. Gott-
„ſched nichts weniger in Sinn gekommen, als die heuti-
„ge deutſche Schaubuͤhne mit allen ihren Staatsactio-
„nen und Poſſenſpielen zu vertheidigen. Die gute Tra-
„goͤdie und Comoͤdie iſt noch zur Zeit in Deutſchland nicht
„recht zu Hauſe. Was fuͤr elendes Zeug wird nicht von
„den gemeinen Comoͤdianten uͤberall aufgefuͤhret? Und
„wer kan es leugnen, daß oft noch weniger Verſtand
„und Ordnung, Geſchmack und gute Sitten darinnen
„herrſchen, als in den heutigen Opern? ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
„Dieſe Art Schauſpiele iſt noch ſo gemein in Deutſchland
„nicht, daß man ſie NB. unſre deutſche Schaubuͤhne nen-
„nen koͤnnte. Sie iſt noch gleichſam als ein Gaſt auf
„fremdem Boden anzuſehen; ſo lange wir uns mit lau-
„ter Ueberſetzungen fremder Stuͤcke behelffen muͤſſen.

„Denn der deutſchen Originale giebt es leider! noch ſo
„wenige, daß man kaum eine Woche lang gute deutſche
„Stuͤcke wuͤrde ſpielen koͤnnen.„
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[72/0072] Mauvillons Brief Aber wie koͤmmts daß eure Nation nicht ein eintziges theatraliſches Stuͤcke, (T) das nur einigen Werth habe, aus ihrem Eigenthum an den Tag bringen kan? Wo wollte ſie es herneh- men? Eure Poeten legen ſich ſchier allein auf kleine Gedichte, und oͤfters auf elendes Zeug. (V) Die Gedichte, die Brockes geſchrieben, gehoͤ- (T) Jch bekraͤftige dieſes mit einem Zeugniſſe aus dem X. St. der Crit. Beytr. Bl. 274. „Es iſt Hrn. Gott- „ſched nichts weniger in Sinn gekommen, als die heuti- „ge deutſche Schaubuͤhne mit allen ihren Staatsactio- „nen und Poſſenſpielen zu vertheidigen. Die gute Tra- „goͤdie und Comoͤdie iſt noch zur Zeit in Deutſchland nicht „recht zu Hauſe. Was fuͤr elendes Zeug wird nicht von „den gemeinen Comoͤdianten uͤberall aufgefuͤhret? Und „wer kan es leugnen, daß oft noch weniger Verſtand „und Ordnung, Geſchmack und gute Sitten darinnen „herrſchen, als in den heutigen Opern? ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ „Dieſe Art Schauſpiele iſt noch ſo gemein in Deutſchland „nicht, daß man ſie NB. unſre deutſche Schaubuͤhne nen- „nen koͤnnte. Sie iſt noch gleichſam als ein Gaſt auf „fremdem Boden anzuſehen; ſo lange wir uns mit lau- „ter Ueberſetzungen fremder Stuͤcke behelffen muͤſſen. „Denn der deutſchen Originale giebt es leider! noch ſo „wenige, daß man kaum eine Woche lang gute deutſche „Stuͤcke wuͤrde ſpielen koͤnnen.„ (V) Jn dem XIX. St. der Crit. Beytraͤge Bl. 443. „Was diejenigen betrifft, die ſich auf. die Dichtkunſt le- „gen man ſich aber erinnern muß, daß dieſes nur ein ironiſches Lob iſt; das Geſpoͤtte herrſchet darinnen, doch ſo, daß es zu keiner baͤuriſchen Grobheit hinunterfaͤllt. Der Poet ſagt darum ſelbſt in der Zuſchrift: Abſit à nobis illicita verbo- rum Laſcivia. ‒ ‒ Ariſtophani, Plauto, Juvenali ſuam linguam relinquamus. Chriſtiano parcius delirandum eſt.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/72>, abgerufen am 27.11.2024.