Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung
so gut, als eine Maschine, den mechanischen Aus-
spruch zu thun wisse, das ist gut, schlimm, mun-
ter, matt, frostig, seichte,
etc. Aber seine Ur-
theile mit Gründen zu befestigen, und die Grün-
de dessen anzuzeigen, was nothwendig gefal-
len muß, und warum es gefallen muß, das ist
eine Verrichtung, wozu etwas mehr als eine blosse
Maschine erfodert wird. Eine gute Logick ist das
rechte Thermometer des Verstandes, diese räu-
met den Kopf auf, daß man von der Schönheit ei-
nes Vortrags mit Vernunft u. gründlicher Ein-
sicht urtheilen kan; ohne dieselbe sind alle unsre
Urtheile nicht vernünftiger, als des patriotischen
Wetterglases. Und wie kindisch ist die Dichtung
von dergleichen zauberischen Jnstrumenten, wo
man nicht einmahl die Fähigkeit hat, ihren Nu-
zen durch die Anwendung und die Würckung selbst
wahrscheinlich zu machen! Was hat denn der
Patriot durch Beyhülfe dieses Thermometers vor
wichtige Endeckungen gemachet? Jch finde da-
von ausser ruhmräthigen Großsprechereyen nicht
das wenigste; und es gilt auch diesfalls, was
Horatz von den Maschinen in den Trauerspielen
lehret: Nec Deus intersit, nisi dignus vindi-
ce nodus inciderit.
Wenn wir inzwischen uns-
re Gedancken auf den allegorischen u. verdeckten
Sinn dieser Dichtung richten, so finden wir, daß
dieselbe auch in dieser Absicht nicht genug Wahr-
scheinlichkeit hat: zumahlen da diese gantze Dich-
tung nichts mehrers sagen will, als, der Patriot
besitze eine gute Beurtheilungskraft, und eine Fer-
tigkeit in Unterscheidung guter und schlimmer Ge-

dan-

Abhandlung
ſo gut, als eine Maſchine, den mechaniſchen Aus-
ſpruch zu thun wiſſe, das iſt gut, ſchlimm, mun-
ter, matt, froſtig, ſeichte,
ꝛc. Aber ſeine Ur-
theile mit Gruͤnden zu befeſtigen, und die Gruͤn-
de deſſen anzuzeigen, was nothwendig gefal-
len muß, und warum es gefallen muß, das iſt
eine Verrichtung, wozu etwas mehr als eine bloſſe
Maſchine erfodert wird. Eine gute Logick iſt das
rechte Thermometer des Verſtandes, dieſe raͤu-
met den Kopf auf, daß man von der Schoͤnheit ei-
nes Vortrags mit Vernunft u. gruͤndlicher Ein-
ſicht urtheilen kan; ohne dieſelbe ſind alle unſre
Urtheile nicht vernuͤnftiger, als des patriotiſchen
Wetterglaſes. Und wie kindiſch iſt die Dichtung
von dergleichen zauberiſchen Jnſtrumenten, wo
man nicht einmahl die Faͤhigkeit hat, ihren Nu-
zen durch die Anwendung und die Wuͤrckung ſelbſt
wahrſcheinlich zu machen! Was hat denn der
Patriot durch Beyhuͤlfe dieſes Thermometers vor
wichtige Endeckungen gemachet? Jch finde da-
von auſſer ruhmraͤthigen Großſprechereyen nicht
das wenigſte; und es gilt auch diesfalls, was
Horatz von den Maſchinen in den Trauerſpielen
lehret: Nec Deus interſit, niſi dignus vindi-
ce nodus inciderit.
Wenn wir inzwiſchen unſ-
re Gedancken auf den allegoriſchen u. verdeckten
Sinn dieſer Dichtung richten, ſo finden wir, daß
dieſelbe auch in dieſer Abſicht nicht genug Wahr-
ſcheinlichkeit hat: zumahlen da dieſe gantze Dich-
tung nichts mehrers ſagen will, als, der Patriot
beſitze eine gute Beurtheilungskraft, und eine Fer-
tigkeit in Unterſcheidung guter und ſchlimmer Ge-

dan-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="86"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung</hi></fw><lb/>
&#x017F;o gut, als eine Ma&#x017F;chine, den mechani&#x017F;chen Aus-<lb/>
&#x017F;pruch zu thun wi&#x017F;&#x017F;e, <hi rendition="#fr">das i&#x017F;t gut, &#x017F;chlimm, mun-<lb/>
ter, matt, fro&#x017F;tig, &#x017F;eichte,</hi> &#xA75B;c. Aber &#x017F;eine Ur-<lb/>
theile mit Gru&#x0364;nden zu befe&#x017F;tigen, und die Gru&#x0364;n-<lb/>
de de&#x017F;&#x017F;en anzuzeigen, was nothwendig gefal-<lb/>
len muß, und warum es gefallen muß, das i&#x017F;t<lb/>
eine Verrichtung, wozu etwas mehr als eine blo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Ma&#x017F;chine erfodert wird. Eine gute Logick i&#x017F;t das<lb/>
rechte Thermometer des Ver&#x017F;tandes, die&#x017F;e ra&#x0364;u-<lb/>
met den Kopf auf, daß man von der Scho&#x0364;nheit ei-<lb/>
nes Vortrags mit Vernunft u. gru&#x0364;ndlicher Ein-<lb/>
&#x017F;icht urtheilen kan; ohne die&#x017F;elbe &#x017F;ind alle un&#x017F;re<lb/>
Urtheile nicht vernu&#x0364;nftiger, als des patrioti&#x017F;chen<lb/>
Wettergla&#x017F;es. Und wie kindi&#x017F;ch i&#x017F;t die Dichtung<lb/>
von dergleichen zauberi&#x017F;chen Jn&#x017F;trumenten, wo<lb/>
man nicht einmahl die Fa&#x0364;higkeit hat, ihren Nu-<lb/>
zen durch die Anwendung und die Wu&#x0364;rckung &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich zu machen! Was hat denn der<lb/>
Patriot durch Beyhu&#x0364;lfe die&#x017F;es Thermometers vor<lb/>
wichtige Endeckungen gemachet? Jch finde da-<lb/>
von au&#x017F;&#x017F;er ruhmra&#x0364;thigen Groß&#x017F;prechereyen nicht<lb/>
das wenig&#x017F;te; und es gilt auch diesfalls, was<lb/>
Horatz von den Ma&#x017F;chinen in den Trauer&#x017F;pielen<lb/>
lehret: <hi rendition="#aq">Nec Deus inter&#x017F;it, ni&#x017F;i dignus vindi-<lb/>
ce nodus inciderit.</hi> Wenn wir inzwi&#x017F;chen un&#x017F;-<lb/>
re Gedancken auf den allegori&#x017F;chen u. verdeckten<lb/>
Sinn die&#x017F;er Dichtung richten, &#x017F;o finden wir, daß<lb/>
die&#x017F;elbe auch in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht nicht genug Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit hat: zumahlen da die&#x017F;e gantze Dich-<lb/>
tung nichts mehrers &#x017F;agen will, als, der Patriot<lb/>
be&#x017F;itze eine gute Beurtheilungskraft, und eine Fer-<lb/>
tigkeit in Unter&#x017F;cheidung guter und &#x017F;chlimmer Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dan-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0086] Abhandlung ſo gut, als eine Maſchine, den mechaniſchen Aus- ſpruch zu thun wiſſe, das iſt gut, ſchlimm, mun- ter, matt, froſtig, ſeichte, ꝛc. Aber ſeine Ur- theile mit Gruͤnden zu befeſtigen, und die Gruͤn- de deſſen anzuzeigen, was nothwendig gefal- len muß, und warum es gefallen muß, das iſt eine Verrichtung, wozu etwas mehr als eine bloſſe Maſchine erfodert wird. Eine gute Logick iſt das rechte Thermometer des Verſtandes, dieſe raͤu- met den Kopf auf, daß man von der Schoͤnheit ei- nes Vortrags mit Vernunft u. gruͤndlicher Ein- ſicht urtheilen kan; ohne dieſelbe ſind alle unſre Urtheile nicht vernuͤnftiger, als des patriotiſchen Wetterglaſes. Und wie kindiſch iſt die Dichtung von dergleichen zauberiſchen Jnſtrumenten, wo man nicht einmahl die Faͤhigkeit hat, ihren Nu- zen durch die Anwendung und die Wuͤrckung ſelbſt wahrſcheinlich zu machen! Was hat denn der Patriot durch Beyhuͤlfe dieſes Thermometers vor wichtige Endeckungen gemachet? Jch finde da- von auſſer ruhmraͤthigen Großſprechereyen nicht das wenigſte; und es gilt auch diesfalls, was Horatz von den Maſchinen in den Trauerſpielen lehret: Nec Deus interſit, niſi dignus vindi- ce nodus inciderit. Wenn wir inzwiſchen unſ- re Gedancken auf den allegoriſchen u. verdeckten Sinn dieſer Dichtung richten, ſo finden wir, daß dieſelbe auch in dieſer Abſicht nicht genug Wahr- ſcheinlichkeit hat: zumahlen da dieſe gantze Dich- tung nichts mehrers ſagen will, als, der Patriot beſitze eine gute Beurtheilungskraft, und eine Fer- tigkeit in Unterſcheidung guter und ſchlimmer Ge- dan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/86
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/86>, abgerufen am 27.11.2024.