Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

Neue Vorrede
erfüllet, und sein Vorhaben zulänglich ausge-
führet hätte: so würde er sich gewiß nicht zum
andernmale daran gemachet haben. Eine
Jlias nach dem Homer zu schreiben, das heißt
also nach der Meinung dieser Richter, eben so
viel, als diesen Dichter mit seiner Arbeit ver-
werffen, und ihm auf eine verdeckte Art in die
Augen sagen, daß sein Werck nichts tauge,
und noch einmahl ausgearbeitet werden müsse.

Allein so wahrscheinlich auch immermehr diese
Schlüsse zu seyn scheinen mögen: so kan ich mich
doch denenselben nicht ergeben. R Jch sehe es
gar zu deutlich ein, daß man mir durch solche
Einstreuungen die Freude versaltzen will, die ich
über einen critischen Nachfolger von solcher
Wichtigkeit billig empfunden habe. Ohne
Ruhm zu melden, bin ich der erste gewesen S, der
unserer Nation eine Critische Dichtkunst zu lie-
fern das Hertz, oder die Verwegenheit gehabt.
Hätte ich nun darinn, nach dem Urtheile der
Kenner, eine unnöthige Mühe übernommen;
und wären andre aufgestanden, welche die Poe-
sie von dem Joche der Beurtheilungskunst zu

befreyen
R So kan ich mich doch denselben nicht ergeben) Po-
pulus me sibilat; At ego mihi plaudo ipse domi.
S Ohne Ruhm zu melden, bin ich der erste gewesen)
Versteht sichs, der seinem Buche, wider alles Verdienen,
den Titel einer Critischen Dichtkunst zuzulegen das Hertz
oder die Verwegenheit gehabt; obgleich in dem gantzen
Buche nichts critisches zu finden ist: Daß also das Joch
der Beurtheilungskraft,
welches Hr. Gottsched der Poe-
sie aufgeleget hat, nur in einer blossen Prahlerey bestehet.

Neue Vorrede
erfuͤllet, und ſein Vorhaben zulaͤnglich ausge-
fuͤhret haͤtte: ſo wuͤrde er ſich gewiß nicht zum
andernmale daran gemachet haben. Eine
Jlias nach dem Homer zu ſchreiben, das heißt
alſo nach der Meinung dieſer Richter, eben ſo
viel, als dieſen Dichter mit ſeiner Arbeit ver-
werffen, und ihm auf eine verdeckte Art in die
Augen ſagen, daß ſein Werck nichts tauge,
und noch einmahl ausgearbeitet werden muͤſſe.

Allein ſo wahrſcheinlich auch immermehr dieſe
Schluͤſſe zu ſeyn ſcheinen moͤgen: ſo kan ich mich
doch denenſelben nicht ergeben. R Jch ſehe es
gar zu deutlich ein, daß man mir durch ſolche
Einſtreuungen die Freude verſaltzen will, die ich
uͤber einen critiſchen Nachfolger von ſolcher
Wichtigkeit billig empfunden habe. Ohne
Ruhm zu melden, bin ich der erſte geweſen S, der
unſerer Nation eine Critiſche Dichtkunſt zu lie-
fern das Hertz, oder die Verwegenheit gehabt.
Haͤtte ich nun darinn, nach dem Urtheile der
Kenner, eine unnoͤthige Muͤhe uͤbernommen;
und waͤren andre aufgeſtanden, welche die Poe-
ſie von dem Joche der Beurtheilungskunſt zu

befreyen
R So kan ich mich doch denſelben nicht ergeben) Po-
pulus me ſibilat; At ego mihi plaudo ipſe domi.
S Ohne Ruhm zu melden, bin ich der erſte geweſen)
Verſteht ſichs, der ſeinem Buche, wider alles Verdienen,
den Titel einer Critiſchen Dichtkunſt zuzulegen das Hertz
oder die Verwegenheit gehabt; obgleich in dem gantzen
Buche nichts critiſches zu finden iſt: Daß alſo das Joch
der Beurtheilungskraft,
welches Hr. Gottſched der Poe-
ſie aufgeleget hat, nur in einer bloſſen Prahlerey beſtehet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0104" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Neue Vorrede</hi></fw><lb/>
erfu&#x0364;llet, und &#x017F;ein Vorhaben zula&#x0364;nglich ausge-<lb/>
fu&#x0364;hret ha&#x0364;tte: &#x017F;o wu&#x0364;rde er &#x017F;ich gewiß nicht zum<lb/>
andernmale daran gemachet haben. Eine<lb/>
Jlias nach dem Homer zu &#x017F;chreiben, das heißt<lb/>
al&#x017F;o nach der Meinung die&#x017F;er Richter, eben &#x017F;o<lb/>
viel, als die&#x017F;en Dichter mit &#x017F;einer Arbeit ver-<lb/>
werffen, und ihm auf eine verdeckte Art in die<lb/>
Augen &#x017F;agen, daß &#x017F;ein Werck nichts tauge,<lb/>
und noch einmahl ausgearbeitet werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
            <p>Allein &#x017F;o wahr&#x017F;cheinlich auch immermehr die&#x017F;e<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinen mo&#x0364;gen: &#x017F;o kan ich mich<lb/>
doch denen&#x017F;elben nicht ergeben. <note place="foot" n="R"><hi rendition="#fr">So kan ich mich doch den&#x017F;elben nicht ergeben)</hi><hi rendition="#aq">Po-<lb/>
pulus me &#x017F;ibilat; At ego mihi plaudo ip&#x017F;e domi.</hi></note> Jch &#x017F;ehe es<lb/>
gar zu deutlich ein, daß man mir durch &#x017F;olche<lb/>
Ein&#x017F;treuungen die Freude ver&#x017F;altzen will, die ich<lb/>
u&#x0364;ber einen criti&#x017F;chen Nachfolger von &#x017F;olcher<lb/>
Wichtigkeit billig empfunden habe. Ohne<lb/>
Ruhm zu melden, bin ich der er&#x017F;te gewe&#x017F;en <note place="foot" n="S"><hi rendition="#fr">Ohne Ruhm zu melden, bin ich der er&#x017F;te gewe&#x017F;en)</hi><lb/>
Ver&#x017F;teht &#x017F;ichs, der &#x017F;einem Buche, wider alles Verdienen,<lb/>
den Titel einer <hi rendition="#fr">Criti&#x017F;chen Dichtkun&#x017F;t</hi> zuzulegen das Hertz<lb/>
oder die Verwegenheit gehabt; obgleich in dem gantzen<lb/>
Buche nichts criti&#x017F;ches zu finden i&#x017F;t: Daß al&#x017F;o das <hi rendition="#fr">Joch<lb/>
der Beurtheilungskraft,</hi> welches Hr. Gott&#x017F;ched der Poe-<lb/>
&#x017F;ie aufgeleget hat, nur in einer blo&#x017F;&#x017F;en Prahlerey be&#x017F;tehet.</note>, der<lb/>
un&#x017F;erer Nation eine Criti&#x017F;che Dichtkun&#x017F;t zu lie-<lb/>
fern das Hertz, oder die Verwegenheit gehabt.<lb/>
Ha&#x0364;tte ich nun darinn, nach dem Urtheile der<lb/>
Kenner, eine unno&#x0364;thige Mu&#x0364;he u&#x0364;bernommen;<lb/>
und wa&#x0364;ren andre aufge&#x017F;tanden, welche die Poe-<lb/>
&#x017F;ie von dem Joche der Beurtheilungskun&#x017F;t zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">befreyen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0104] Neue Vorrede erfuͤllet, und ſein Vorhaben zulaͤnglich ausge- fuͤhret haͤtte: ſo wuͤrde er ſich gewiß nicht zum andernmale daran gemachet haben. Eine Jlias nach dem Homer zu ſchreiben, das heißt alſo nach der Meinung dieſer Richter, eben ſo viel, als dieſen Dichter mit ſeiner Arbeit ver- werffen, und ihm auf eine verdeckte Art in die Augen ſagen, daß ſein Werck nichts tauge, und noch einmahl ausgearbeitet werden muͤſſe. Allein ſo wahrſcheinlich auch immermehr dieſe Schluͤſſe zu ſeyn ſcheinen moͤgen: ſo kan ich mich doch denenſelben nicht ergeben. R Jch ſehe es gar zu deutlich ein, daß man mir durch ſolche Einſtreuungen die Freude verſaltzen will, die ich uͤber einen critiſchen Nachfolger von ſolcher Wichtigkeit billig empfunden habe. Ohne Ruhm zu melden, bin ich der erſte geweſen S, der unſerer Nation eine Critiſche Dichtkunſt zu lie- fern das Hertz, oder die Verwegenheit gehabt. Haͤtte ich nun darinn, nach dem Urtheile der Kenner, eine unnoͤthige Muͤhe uͤbernommen; und waͤren andre aufgeſtanden, welche die Poe- ſie von dem Joche der Beurtheilungskunſt zu befreyen R So kan ich mich doch denſelben nicht ergeben) Po- pulus me ſibilat; At ego mihi plaudo ipſe domi. S Ohne Ruhm zu melden, bin ich der erſte geweſen) Verſteht ſichs, der ſeinem Buche, wider alles Verdienen, den Titel einer Critiſchen Dichtkunſt zuzulegen das Hertz oder die Verwegenheit gehabt; obgleich in dem gantzen Buche nichts critiſches zu finden iſt: Daß alſo das Joch der Beurtheilungskraft, welches Hr. Gottſched der Poe- ſie aufgeleget hat, nur in einer bloſſen Prahlerey beſtehet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/104
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/104>, abgerufen am 14.05.2024.