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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

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Neue Vorrede
Critick nichts zu sagen hat; oder weil man ein
Poet seyn kan, ohne eins von allen diesen Stü-
ken zu verfertigen. Wer also dieselbe in der Ab-
sicht kauffen wollte, diese Arten der Gedichte
daraus abfassen zu lernen, der würde sich sehr
betrügen, und sein Geld hernach zu spät be-
reuen.

Jch weis gewiß, daß viele hier voller Ver-
wunderung fragen werden: was denn nun end-
lich in einer Dichtkunst von zween starcken Oc-
tavbänden d stehen könne, wenn es an den we-
sentlichsten Theilen eines solchen Buches fehlet e?
Allein diese Frage wird mir gewiß niemand ma-
chen, als der sich nicht besinnet, daß der Urhe-
ber derselben einer von den bekannten Zürcher
Malern sey, welche vor zwantzig Jahren, in ih-
ren sogenannten Discursen, die Sitten ihrer
Stadt abgeschildert haben. Hat nun Herr von
Fontenelle richtig geurtheilet, daß jedermann
die Welt mit solchen Augen ansehe, die sich zu
seinen Absichten schicken; der Held z. E. für ei-
nen schönen Platz, Menschen zu erwürgen; der
Gärtner für einen bequemen Raum, Gärten zu

pflan-
d Jn einer Dichtkunst von zween starcken Octav-
bänden)
Es nimmt mich schier wunder, daß er dieses
ungeheure Buch nicht auch gewogen hat. Siehe das
Complot der deutschen Poeten am Ende.
e Wenn es an den wesentlichsten Theilen eines solchen
Buches fehlet)
Da der besondere Theil der Gottschedi-
schen Dichtkunst das wesentliche des Buchs ausmachet;
so ist hiemit der erste allgemeine Theil nur als eine Zugabe
zu betrachten.

Neue Vorrede
Critick nichts zu ſagen hat; oder weil man ein
Poet ſeyn kan, ohne eins von allen dieſen Stuͤ-
ken zu verfertigen. Wer alſo dieſelbe in der Ab-
ſicht kauffen wollte, dieſe Arten der Gedichte
daraus abfaſſen zu lernen, der wuͤrde ſich ſehr
betruͤgen, und ſein Geld hernach zu ſpaͤt be-
reuen.

Jch weis gewiß, daß viele hier voller Ver-
wunderung fragen werden: was denn nun end-
lich in einer Dichtkunſt von zween ſtarcken Oc-
tavbaͤnden d ſtehen koͤnne, wenn es an den we-
ſentlichſten Theilen eines ſolchen Buches fehlet e?
Allein dieſe Frage wird mir gewiß niemand ma-
chen, als der ſich nicht beſinnet, daß der Urhe-
ber derſelben einer von den bekannten Zuͤrcher
Malern ſey, welche vor zwantzig Jahren, in ih-
ren ſogenannten Diſcurſen, die Sitten ihrer
Stadt abgeſchildert haben. Hat nun Herr von
Fontenelle richtig geurtheilet, daß jedermann
die Welt mit ſolchen Augen anſehe, die ſich zu
ſeinen Abſichten ſchicken; der Held z. E. fuͤr ei-
nen ſchoͤnen Platz, Menſchen zu erwuͤrgen; der
Gaͤrtner fuͤr einen bequemen Raum, Gaͤrten zu

pflan-
d Jn einer Dichtkunſt von zween ſtarcken Octav-
baͤnden)
Es nimmt mich ſchier wunder, daß er dieſes
ungeheure Buch nicht auch gewogen hat. Siehe das
Complot der deutſchen Poeten am Ende.
e Wenn es an den weſentlichſten Theilen eines ſolchen
Buches fehlet)
Da der beſondere Theil der Gottſchedi-
ſchen Dichtkunſt das weſentliche des Buchs ausmachet;
ſo iſt hiemit der erſte allgemeine Theil nur als eine Zugabe
zu betrachten.
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[110/0110] Neue Vorrede Critick nichts zu ſagen hat; oder weil man ein Poet ſeyn kan, ohne eins von allen dieſen Stuͤ- ken zu verfertigen. Wer alſo dieſelbe in der Ab- ſicht kauffen wollte, dieſe Arten der Gedichte daraus abfaſſen zu lernen, der wuͤrde ſich ſehr betruͤgen, und ſein Geld hernach zu ſpaͤt be- reuen. Jch weis gewiß, daß viele hier voller Ver- wunderung fragen werden: was denn nun end- lich in einer Dichtkunſt von zween ſtarcken Oc- tavbaͤnden d ſtehen koͤnne, wenn es an den we- ſentlichſten Theilen eines ſolchen Buches fehlet e? Allein dieſe Frage wird mir gewiß niemand ma- chen, als der ſich nicht beſinnet, daß der Urhe- ber derſelben einer von den bekannten Zuͤrcher Malern ſey, welche vor zwantzig Jahren, in ih- ren ſogenannten Diſcurſen, die Sitten ihrer Stadt abgeſchildert haben. Hat nun Herr von Fontenelle richtig geurtheilet, daß jedermann die Welt mit ſolchen Augen anſehe, die ſich zu ſeinen Abſichten ſchicken; der Held z. E. fuͤr ei- nen ſchoͤnen Platz, Menſchen zu erwuͤrgen; der Gaͤrtner fuͤr einen bequemen Raum, Gaͤrten zu pflan- d Jn einer Dichtkunſt von zween ſtarcken Octav- baͤnden) Es nimmt mich ſchier wunder, daß er dieſes ungeheure Buch nicht auch gewogen hat. Siehe das Complot der deutſchen Poeten am Ende. e Wenn es an den weſentlichſten Theilen eines ſolchen Buches fehlet) Da der beſondere Theil der Gottſchedi- ſchen Dichtkunſt das weſentliche des Buchs ausmachet; ſo iſt hiemit der erſte allgemeine Theil nur als eine Zugabe zu betrachten.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/110>, abgerufen am 14.05.2024.