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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

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Echo
sehen, oder beurtheilet werden. Wer will aber
ohne Verwegenheit von der Vollkommenheit
oder Unvollkommenheit eines Buchs überhaupt,
davon er nur ein unvollkommenes Stück gesehen
hat, urtheilen können? Wenn demnach ein
unverleumdeter Mann hinter der Wand stehet,
der, ob er gleich von niemanden gesehen werden
kan, bey seinen Ehren gantz deutlich versichert,
daß durch die mündliche Erklärung alle Mängel
eines gedrückten Buchs seyn verbessert und er-
gänzt worden; wer will solches widersprechen
dürffen, wenn er nicht die Richtern und Bür-
gern so dienliche Regel hören will: Quilibet prae-
sumitur bonus &c.
Auf deutsch, daß man Leute,
die man nicht kennt, bis auf Gegenbeweiß für
ehrliche Leute halten muß, von denen man nicht
so schlechterdings dencken soll, daß sie ihre eigene
unbekannte Ehre darauf setzen würden, wenn
es nicht um die Rettung der Wahrheit zu thun
wäre. Es ist darum die Betheurung in criti-
schen Streitigkeiten von einem ungemeinen Ge-
wichte und ein Ende alles Widersprechens; denn
dadurch kan man die geheimsten Nachrichten,
die niemand sonst glauben würde, befestigen,
und den Gegner so enge einthun, daß er entwe-
der stillschweigen und uns einen herrlichen Sieg
überlassen, oder uns auf eine unverschämte und
jedermann verhaßte Weise an unsrem ehrlichen
Nahmen als Ehrlose und Meineidige angreiffen
muß, wozu sich aber niemand so leicht verstehen
wird.

Vermöge dieser Nachricht aber werden dieje-
nigen, welche Lust haben, die Grundwahrhei-

ten

Echo
ſehen, oder beurtheilet werden. Wer will aber
ohne Verwegenheit von der Vollkommenheit
oder Unvollkommenheit eines Buchs uͤberhaupt,
davon er nur ein unvollkommenes Stuͤck geſehen
hat, urtheilen koͤnnen? Wenn demnach ein
unverleumdeter Mann hinter der Wand ſtehet,
der, ob er gleich von niemanden geſehen werden
kan, bey ſeinen Ehren gantz deutlich verſichert,
daß durch die muͤndliche Erklaͤrung alle Maͤngel
eines gedruͤckten Buchs ſeyn verbeſſert und er-
gaͤnzt worden; wer will ſolches widerſprechen
duͤrffen, wenn er nicht die Richtern und Buͤr-
gern ſo dienliche Regel hoͤren will: Quilibet præ-
ſumitur bonus &c.
Auf deutſch, daß man Leute,
die man nicht kennt, bis auf Gegenbeweiß fuͤr
ehrliche Leute halten muß, von denen man nicht
ſo ſchlechterdings dencken ſoll, daß ſie ihre eigene
unbekannte Ehre darauf ſetzen wuͤrden, wenn
es nicht um die Rettung der Wahrheit zu thun
waͤre. Es iſt darum die Betheurung in criti-
ſchen Streitigkeiten von einem ungemeinen Ge-
wichte und ein Ende alles Widerſprechens; denn
dadurch kan man die geheimſten Nachrichten,
die niemand ſonſt glauben wuͤrde, befeſtigen,
und den Gegner ſo enge einthun, daß er entwe-
der ſtillſchweigen und uns einen herrlichen Sieg
uͤberlaſſen, oder uns auf eine unverſchaͤmte und
jedermann verhaßte Weiſe an unſrem ehrlichen
Nahmen als Ehrloſe und Meineidige angreiffen
muß, wozu ſich aber niemand ſo leicht verſtehen
wird.

Vermoͤge dieſer Nachricht aber werden dieje-
nigen, welche Luſt haben, die Grundwahrhei-

ten
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[52/0052] Echo ſehen, oder beurtheilet werden. Wer will aber ohne Verwegenheit von der Vollkommenheit oder Unvollkommenheit eines Buchs uͤberhaupt, davon er nur ein unvollkommenes Stuͤck geſehen hat, urtheilen koͤnnen? Wenn demnach ein unverleumdeter Mann hinter der Wand ſtehet, der, ob er gleich von niemanden geſehen werden kan, bey ſeinen Ehren gantz deutlich verſichert, daß durch die muͤndliche Erklaͤrung alle Maͤngel eines gedruͤckten Buchs ſeyn verbeſſert und er- gaͤnzt worden; wer will ſolches widerſprechen duͤrffen, wenn er nicht die Richtern und Buͤr- gern ſo dienliche Regel hoͤren will: Quilibet præ- ſumitur bonus &c. Auf deutſch, daß man Leute, die man nicht kennt, bis auf Gegenbeweiß fuͤr ehrliche Leute halten muß, von denen man nicht ſo ſchlechterdings dencken ſoll, daß ſie ihre eigene unbekannte Ehre darauf ſetzen wuͤrden, wenn es nicht um die Rettung der Wahrheit zu thun waͤre. Es iſt darum die Betheurung in criti- ſchen Streitigkeiten von einem ungemeinen Ge- wichte und ein Ende alles Widerſprechens; denn dadurch kan man die geheimſten Nachrichten, die niemand ſonſt glauben wuͤrde, befeſtigen, und den Gegner ſo enge einthun, daß er entwe- der ſtillſchweigen und uns einen herrlichen Sieg uͤberlaſſen, oder uns auf eine unverſchaͤmte und jedermann verhaßte Weiſe an unſrem ehrlichen Nahmen als Ehrloſe und Meineidige angreiffen muß, wozu ſich aber niemand ſo leicht verſtehen wird. Vermoͤge dieſer Nachricht aber werden dieje- nigen, welche Luſt haben, die Grundwahrhei- ten

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/52>, abgerufen am 22.11.2024.