[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.für die epische Poesie. der Freyheit und dem glüklichen Ausdruke reden;und wenn in einem weiten Land viele dergleichen Provintzen (*) sind, die eine und dieselbe Sprache reden, aber in verschiedenen Mundarten, so wird der Ausdruk seinen Vortheil dabey machen, und mit neuen Worten, Redensarten und Metaphern, nach dem Temperament und Naturelle der ver- schiedenen Völker bereichert werden: Da inzwi- schen ein jedes seinen eigenen gutheissen wird, weil er in ihrem eigenen freyen Staat von ihren Re- genten gebrauchet wird. Es ist wunderlich, was vor eine verächtliche Cum (*) Unser Deutschland bestehet aus einer Menge sol-
cher Provinzen, welche von einander gar nicht, oder in wenig Stüken abhängen, die Regierungen in denselben sind von sehr verschiedener Art, und es herrschet in einigen keine geringe Freyheit; alle dieselben aber reden die ein- zige deutsche Sprache. Was vor Vortheile sollte man daher in dieser Sprache und allen ihren Mundarten für den Gebrauch, und das Bedürfniß der Poesie mit Recht vermuthend seyn? Sie wären auch in der That darin- nen, wenn nicht zum Unglüke gewisse eigensinnige Pu- ritaner sich die schädliche Mühe gäben, die Wörter, Re- densarten, und Metaphern, welche die Einwohner ge- wisser Provintzen für ihre eigene Nothwendigkeit einge- führet, und von ihren Umständen, Sitten und Gebräu- chen hergenommen haben, zu verwerffen und auszumu- stern; ohne Betrachtung ob sie mit der Natur der Din- ge, der Sprache-Aehnlichkeit, den Stamm- und Wur- zelwörtern, übereinkommen oder nicht; ob sie sich über- das mit einem ansehnlichen Alter rechtfertigen können, oder erst von gestern oder vorgestern her sind. fuͤr die epiſche Poeſie. der Freyheit und dem gluͤklichen Ausdruke reden;und wenn in einem weiten Land viele dergleichen Provintzen (*) ſind, die eine und dieſelbe Sprache reden, aber in verſchiedenen Mundarten, ſo wird der Ausdruk ſeinen Vortheil dabey machen, und mit neuen Worten, Redensarten und Metaphern, nach dem Temperament und Naturelle der ver- ſchiedenen Voͤlker bereichert werden: Da inzwi- ſchen ein jedes ſeinen eigenen gutheiſſen wird, weil er in ihrem eigenen freyen Staat von ihren Re- genten gebrauchet wird. Es iſt wunderlich, was vor eine veraͤchtliche Cum (*) Unſer Deutſchland beſtehet aus einer Menge ſol-
cher Provinzen, welche von einander gar nicht, oder in wenig Stuͤken abhaͤngen, die Regierungen in denſelben ſind von ſehr verſchiedener Art, und es herrſchet in einigen keine geringe Freyheit; alle dieſelben aber reden die ein- zige deutſche Sprache. Was vor Vortheile ſollte man daher in dieſer Sprache und allen ihren Mundarten fuͤr den Gebrauch, und das Beduͤrfniß der Poeſie mit Recht vermuthend ſeyn? Sie waͤren auch in der That darin- nen, wenn nicht zum Ungluͤke gewiſſe eigenſinnige Pu- ritaner ſich die ſchaͤdliche Muͤhe gaͤben, die Woͤrter, Re- densarten, und Metaphern, welche die Einwohner ge- wiſſer Provintzen fuͤr ihre eigene Nothwendigkeit einge- fuͤhret, und von ihren Umſtaͤnden, Sitten und Gebraͤu- chen hergenommen haben, zu verwerffen und auszumu- ſtern; ohne Betrachtung ob ſie mit der Natur der Din- ge, der Sprache-Aehnlichkeit, den Stamm- und Wur- zelwoͤrtern, uͤbereinkommen oder nicht; ob ſie ſich uͤber- das mit einem anſehnlichen Alter rechtfertigen koͤnnen, oder erſt von geſtern oder vorgeſtern her ſind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="15"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">fuͤr die epiſche Poeſie.</hi></fw><lb/> der Freyheit und dem gluͤklichen Ausdruke reden;<lb/> und wenn in einem weiten Land viele dergleichen<lb/> Provintzen <note place="foot" n="(*)">Unſer Deutſchland beſtehet aus einer Menge ſol-<lb/> cher Provinzen, welche von einander gar nicht, oder in<lb/> wenig Stuͤken abhaͤngen, die Regierungen in denſelben<lb/> ſind von ſehr verſchiedener Art, und es herrſchet in einigen<lb/> keine geringe Freyheit; alle dieſelben aber reden die ein-<lb/> zige deutſche Sprache. Was vor Vortheile ſollte man<lb/> daher in dieſer Sprache und allen ihren Mundarten fuͤr<lb/> den Gebrauch, und das Beduͤrfniß der Poeſie mit Recht<lb/> vermuthend ſeyn? Sie waͤren auch in der That darin-<lb/> nen, wenn nicht zum Ungluͤke gewiſſe eigenſinnige Pu-<lb/> ritaner ſich die ſchaͤdliche Muͤhe gaͤben, die Woͤrter, Re-<lb/> densarten, und Metaphern, welche die Einwohner ge-<lb/> wiſſer Provintzen fuͤr ihre eigene Nothwendigkeit einge-<lb/> fuͤhret, und von ihren Umſtaͤnden, Sitten und Gebraͤu-<lb/> chen hergenommen haben, zu verwerffen und auszumu-<lb/> ſtern; ohne Betrachtung ob ſie mit der Natur der Din-<lb/> ge, der Sprache-Aehnlichkeit, den Stamm- und Wur-<lb/> zelwoͤrtern, uͤbereinkommen oder nicht; ob ſie ſich uͤber-<lb/> das mit einem anſehnlichen Alter rechtfertigen koͤnnen,<lb/> oder erſt von geſtern oder vorgeſtern her ſind.</note> ſind, die eine und dieſelbe Sprache<lb/> reden, aber in verſchiedenen Mundarten, ſo wird<lb/> der Ausdruk ſeinen Vortheil dabey machen, und<lb/> mit neuen Worten, Redensarten und Metaphern,<lb/> nach dem Temperament und Naturelle der ver-<lb/> ſchiedenen Voͤlker bereichert werden: Da inzwi-<lb/> ſchen ein jedes ſeinen eigenen gutheiſſen wird, weil<lb/> er in ihrem eigenen freyen Staat von ihren Re-<lb/> genten gebrauchet wird.</p><lb/> <p>Es iſt wunderlich, was vor eine veraͤchtliche<lb/> Figur das menſchliche Geſchlechte bey ſeinem Ur-<lb/> ſprunge laut der Vorſtellung der Alten gemachet<lb/> hat.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">Cum</hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
fuͤr die epiſche Poeſie.
der Freyheit und dem gluͤklichen Ausdruke reden;
und wenn in einem weiten Land viele dergleichen
Provintzen (*) ſind, die eine und dieſelbe Sprache
reden, aber in verſchiedenen Mundarten, ſo wird
der Ausdruk ſeinen Vortheil dabey machen, und
mit neuen Worten, Redensarten und Metaphern,
nach dem Temperament und Naturelle der ver-
ſchiedenen Voͤlker bereichert werden: Da inzwi-
ſchen ein jedes ſeinen eigenen gutheiſſen wird, weil
er in ihrem eigenen freyen Staat von ihren Re-
genten gebrauchet wird.
Es iſt wunderlich, was vor eine veraͤchtliche
Figur das menſchliche Geſchlechte bey ſeinem Ur-
ſprunge laut der Vorſtellung der Alten gemachet
hat.
Cum
(*) Unſer Deutſchland beſtehet aus einer Menge ſol-
cher Provinzen, welche von einander gar nicht, oder in
wenig Stuͤken abhaͤngen, die Regierungen in denſelben
ſind von ſehr verſchiedener Art, und es herrſchet in einigen
keine geringe Freyheit; alle dieſelben aber reden die ein-
zige deutſche Sprache. Was vor Vortheile ſollte man
daher in dieſer Sprache und allen ihren Mundarten fuͤr
den Gebrauch, und das Beduͤrfniß der Poeſie mit Recht
vermuthend ſeyn? Sie waͤren auch in der That darin-
nen, wenn nicht zum Ungluͤke gewiſſe eigenſinnige Pu-
ritaner ſich die ſchaͤdliche Muͤhe gaͤben, die Woͤrter, Re-
densarten, und Metaphern, welche die Einwohner ge-
wiſſer Provintzen fuͤr ihre eigene Nothwendigkeit einge-
fuͤhret, und von ihren Umſtaͤnden, Sitten und Gebraͤu-
chen hergenommen haben, zu verwerffen und auszumu-
ſtern; ohne Betrachtung ob ſie mit der Natur der Din-
ge, der Sprache-Aehnlichkeit, den Stamm- und Wur-
zelwoͤrtern, uͤbereinkommen oder nicht; ob ſie ſich uͤber-
das mit einem anſehnlichen Alter rechtfertigen koͤnnen,
oder erſt von geſtern oder vorgeſtern her ſind.
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