[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.Von den glücklichen Umständen etc. von den mühseligen Tagreisen solcher Leute, dieum der Nahrung willen von Land zu Lande wan- dern: Jch rede von der kurtzen Einsamkeit eines freudigen Gemüthes, dessen Thun es ist, daß es andere ergetze; welches, wie Homer, die erste Gesellschaft, die es antrift, auf die lebhafteste und beweglichste Art unterhalten muß. Dieser Zustand ist von eines Einsiedlers oder eines rei- senden Handwerkers gantz unterschieden, es ist ein Stand, der Homer nöthigte, nicht nur die Leidenschaften seiner Zuhörer, weil er erzehlte, zu studieren, ihre Gesichtesminen in Acht zu nehmen, alle Bewegungen ihrer Augen und den Schwung ihrer Gedanken, sorgfältig zu bemerken, sondern, wenn er alleine war, um sich zu schauen, und einen Vorrath von solchen Bildern zu sammeln, als vermöge seiner Erfahrung die nachdrüklichste Würkung haben mußten. Hierzu kömmt ein andrer Vortheil, der das Von
Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden ꝛc. von den muͤhſeligen Tagreiſen ſolcher Leute, dieum der Nahrung willen von Land zu Lande wan- dern: Jch rede von der kurtzen Einſamkeit eines freudigen Gemuͤthes, deſſen Thun es iſt, daß es andere ergetze; welches, wie Homer, die erſte Geſellſchaft, die es antrift, auf die lebhafteſte und beweglichſte Art unterhalten muß. Dieſer Zuſtand iſt von eines Einſiedlers oder eines rei- ſenden Handwerkers gantz unterſchieden, es iſt ein Stand, der Homer noͤthigte, nicht nur die Leidenſchaften ſeiner Zuhoͤrer, weil er erzehlte, zu ſtudieren, ihre Geſichtesminen in Acht zu nehmen, alle Bewegungen ihrer Augen und den Schwung ihrer Gedanken, ſorgfaͤltig zu bemerken, ſondern, wenn er alleine war, um ſich zu ſchauen, und einen Vorrath von ſolchen Bildern zu ſammeln, als vermoͤge ſeiner Erfahrung die nachdruͤklichſte Wuͤrkung haben mußten. Hierzu koͤmmt ein andrer Vortheil, der das Von
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="24"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden ꝛc.</hi></fw><lb/> von den muͤhſeligen Tagreiſen ſolcher Leute, die<lb/> um der Nahrung willen von Land zu Lande wan-<lb/> dern: Jch rede von der kurtzen Einſamkeit eines<lb/> freudigen Gemuͤthes, deſſen Thun es iſt, daß es<lb/> andere ergetze; welches, wie Homer, die erſte<lb/> Geſellſchaft, die es antrift, auf die lebhafteſte<lb/> und beweglichſte Art unterhalten muß. Dieſer<lb/> Zuſtand iſt von eines Einſiedlers oder eines rei-<lb/> ſenden Handwerkers gantz unterſchieden, es iſt<lb/> ein Stand, der Homer noͤthigte, nicht nur die<lb/> Leidenſchaften ſeiner Zuhoͤrer, weil er erzehlte, zu<lb/> ſtudieren, ihre Geſichtesminen in Acht zu nehmen,<lb/> alle Bewegungen ihrer Augen und den Schwung<lb/> ihrer Gedanken, ſorgfaͤltig zu bemerken, ſondern,<lb/> wenn er alleine war, um ſich zu ſchauen, und<lb/> einen Vorrath von ſolchen Bildern zu ſammeln,<lb/> als vermoͤge ſeiner Erfahrung die nachdruͤklichſte<lb/> Wuͤrkung haben mußten.</p><lb/> <p>Hierzu koͤmmt ein andrer Vortheil, der das<lb/> Leben eines umherſchweifenden Rapſodiſten beglei-<lb/> tet; nemlich die Fertigkeit, welche er dadurch er-<lb/> langen muß, gantze Strophen aus dem Steig-<lb/> reife zu ſingen. Wir haben alle Tage Proben<lb/> von der Macht der Uebung in allen Kuͤnſten und<lb/> Geſchaͤften. Eine Neigung, der man den Gang<lb/> laͤßt, wird zu einer Fertigkeit, und dieſe erhebet<lb/> ſich, wenn ſie fleiſſig gepfleget wird, zu einer<lb/> meiſterlichen Leichtigkeit in einem Handwerke.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Von</hi> </fw><lb/> </body> </text> </TEI> [24/0024]
Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden ꝛc.
von den muͤhſeligen Tagreiſen ſolcher Leute, die
um der Nahrung willen von Land zu Lande wan-
dern: Jch rede von der kurtzen Einſamkeit eines
freudigen Gemuͤthes, deſſen Thun es iſt, daß es
andere ergetze; welches, wie Homer, die erſte
Geſellſchaft, die es antrift, auf die lebhafteſte
und beweglichſte Art unterhalten muß. Dieſer
Zuſtand iſt von eines Einſiedlers oder eines rei-
ſenden Handwerkers gantz unterſchieden, es iſt
ein Stand, der Homer noͤthigte, nicht nur die
Leidenſchaften ſeiner Zuhoͤrer, weil er erzehlte, zu
ſtudieren, ihre Geſichtesminen in Acht zu nehmen,
alle Bewegungen ihrer Augen und den Schwung
ihrer Gedanken, ſorgfaͤltig zu bemerken, ſondern,
wenn er alleine war, um ſich zu ſchauen, und
einen Vorrath von ſolchen Bildern zu ſammeln,
als vermoͤge ſeiner Erfahrung die nachdruͤklichſte
Wuͤrkung haben mußten.
Hierzu koͤmmt ein andrer Vortheil, der das
Leben eines umherſchweifenden Rapſodiſten beglei-
tet; nemlich die Fertigkeit, welche er dadurch er-
langen muß, gantze Strophen aus dem Steig-
reife zu ſingen. Wir haben alle Tage Proben
von der Macht der Uebung in allen Kuͤnſten und
Geſchaͤften. Eine Neigung, der man den Gang
laͤßt, wird zu einer Fertigkeit, und dieſe erhebet
ſich, wenn ſie fleiſſig gepfleget wird, zu einer
meiſterlichen Leichtigkeit in einem Handwerke.
Von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |