Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Poesie


Von der Poesie des sechszehnten
Jahrhundert nach ihrem schön-
sten Lichte.

DJe deutsche Poesie, welche unter den Kai-
sern von dem schwäbischen Stamme auf
einen hohen Grad der Vollkommenheit
gestiegen war, nahm mit dem Untergange die-
ses Hauses wieder ab, und fiel in den folgen-
den Jahrhunderten viel tiefer, als sie zuvor in
der Höhe gestanden war. Sie gerieth dem Pö-
bel in die Hände, und ward von ihm dergestalt
gemißhandelt, wie sie noch in den Schriften Hans
Sachsens aussiehet. Denn die glückliche Wie-
derherstellung des Geschmackes der Alten kam
der deutschen Poesie am wenigsten zu Statten,
weil die muntern Naturelle und Köpfe ihre Kräfte
nicht in dieser versucheten, noch ihr zum besten
anwendeten. Die beyden besten und dabey
gelehrtesten Ingenia, welche nach der Wieder-
findung der Wissenschaften vor Opitzen Witz
und Poesie in die deutsche Verse gebracht haben,
sind nach meinem Wissen Sebastian Brand,
und Johann Fischart, zween Doctores der Rech-
te von Straßburg; wiewohl ihre Nahmen zu
unsern Zeiten ins Vergessen gekommen sind, und
nicht einmahl die Art der Unsterblichkeit erhal-
ten haben, welche Hans Sachse sich durch den
aberwitzigen und kahlen Jnnhalt seines Reimen-
geklappers erworben hat. Von Fischarten hat

war
Von der Poeſie


Von der Poeſie des ſechszehnten
Jahrhundert nach ihrem ſchoͤn-
ſten Lichte.

DJe deutſche Poeſie, welche unter den Kai-
ſern von dem ſchwaͤbiſchen Stamme auf
einen hohen Grad der Vollkommenheit
geſtiegen war, nahm mit dem Untergange die-
ſes Hauſes wieder ab, und fiel in den folgen-
den Jahrhunderten viel tiefer, als ſie zuvor in
der Hoͤhe geſtanden war. Sie gerieth dem Poͤ-
bel in die Haͤnde, und ward von ihm dergeſtalt
gemißhandelt, wie ſie noch in den Schriften Hans
Sachſens ausſiehet. Denn die gluͤckliche Wie-
derherſtellung des Geſchmackes der Alten kam
der deutſchen Poeſie am wenigſten zu Statten,
weil die muntern Naturelle und Koͤpfe ihre Kraͤfte
nicht in dieſer verſucheten, noch ihr zum beſten
anwendeten. Die beyden beſten und dabey
gelehrteſten Ingenia, welche nach der Wieder-
findung der Wiſſenſchaften vor Opitzen Witz
und Poeſie in die deutſche Verſe gebracht haben,
ſind nach meinem Wiſſen Sebaſtian Brand,
und Johann Fiſchart, zween Doctores der Rech-
te von Straßburg; wiewohl ihre Nahmen zu
unſern Zeiten ins Vergeſſen gekommen ſind, und
nicht einmahl die Art der Unſterblichkeit erhal-
ten haben, welche Hans Sachſe ſich durch den
aberwitzigen und kahlen Jnnhalt ſeines Reimen-
geklappers erworben hat. Von Fiſcharten hat

war
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0054" n="54"/>
      <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von der Poe&#x017F;ie</hi> </fw><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Von der Poe&#x017F;ie des &#x017F;echszehnten<lb/>
Jahrhundert nach ihrem &#x017F;cho&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;ten Lichte.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>Je deut&#x017F;che Poe&#x017F;ie, welche unter den Kai-<lb/>
&#x017F;ern von dem &#x017F;chwa&#x0364;bi&#x017F;chen Stamme auf<lb/>
einen hohen Grad der Vollkommenheit<lb/>
ge&#x017F;tiegen war, nahm mit dem Untergange die-<lb/>
&#x017F;es Hau&#x017F;es wieder ab, und fiel in den folgen-<lb/>
den Jahrhunderten viel tiefer, als &#x017F;ie zuvor in<lb/>
der Ho&#x0364;he ge&#x017F;tanden war. Sie gerieth dem Po&#x0364;-<lb/>
bel in die Ha&#x0364;nde, und ward von ihm derge&#x017F;talt<lb/>
gemißhandelt, wie &#x017F;ie noch in den Schriften Hans<lb/>
Sach&#x017F;ens aus&#x017F;iehet. Denn die glu&#x0364;ckliche Wie-<lb/>
derher&#x017F;tellung des Ge&#x017F;chmackes der Alten kam<lb/>
der deut&#x017F;chen Poe&#x017F;ie am wenig&#x017F;ten zu Statten,<lb/>
weil die muntern Naturelle und Ko&#x0364;pfe ihre Kra&#x0364;fte<lb/>
nicht in die&#x017F;er ver&#x017F;ucheten, noch ihr zum be&#x017F;ten<lb/>
anwendeten. Die beyden be&#x017F;ten und dabey<lb/>
gelehrte&#x017F;ten <hi rendition="#aq">Ingenia,</hi> welche nach der Wieder-<lb/>
findung der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften vor Opitzen Witz<lb/>
und Poe&#x017F;ie in die deut&#x017F;che Ver&#x017F;e gebracht haben,<lb/>
&#x017F;ind nach meinem Wi&#x017F;&#x017F;en Seba&#x017F;tian Brand,<lb/>
und Johann Fi&#x017F;chart, zween <hi rendition="#aq">Doctores</hi> der Rech-<lb/>
te von Straßburg; wiewohl ihre Nahmen zu<lb/>
un&#x017F;ern Zeiten ins Verge&#x017F;&#x017F;en gekommen &#x017F;ind, und<lb/>
nicht einmahl die Art der Un&#x017F;terblichkeit erhal-<lb/>
ten haben, welche Hans Sach&#x017F;e &#x017F;ich durch den<lb/>
aberwitzigen und kahlen Jnnhalt &#x017F;eines Reimen-<lb/>
geklappers erworben hat. Von Fi&#x017F;charten hat<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">war</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0054] Von der Poeſie Von der Poeſie des ſechszehnten Jahrhundert nach ihrem ſchoͤn- ſten Lichte. DJe deutſche Poeſie, welche unter den Kai- ſern von dem ſchwaͤbiſchen Stamme auf einen hohen Grad der Vollkommenheit geſtiegen war, nahm mit dem Untergange die- ſes Hauſes wieder ab, und fiel in den folgen- den Jahrhunderten viel tiefer, als ſie zuvor in der Hoͤhe geſtanden war. Sie gerieth dem Poͤ- bel in die Haͤnde, und ward von ihm dergeſtalt gemißhandelt, wie ſie noch in den Schriften Hans Sachſens ausſiehet. Denn die gluͤckliche Wie- derherſtellung des Geſchmackes der Alten kam der deutſchen Poeſie am wenigſten zu Statten, weil die muntern Naturelle und Koͤpfe ihre Kraͤfte nicht in dieſer verſucheten, noch ihr zum beſten anwendeten. Die beyden beſten und dabey gelehrteſten Ingenia, welche nach der Wieder- findung der Wiſſenſchaften vor Opitzen Witz und Poeſie in die deutſche Verſe gebracht haben, ſind nach meinem Wiſſen Sebaſtian Brand, und Johann Fiſchart, zween Doctores der Rech- te von Straßburg; wiewohl ihre Nahmen zu unſern Zeiten ins Vergeſſen gekommen ſind, und nicht einmahl die Art der Unſterblichkeit erhal- ten haben, welche Hans Sachſe ſich durch den aberwitzigen und kahlen Jnnhalt ſeines Reimen- geklappers erworben hat. Von Fiſcharten hat war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/54
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/54>, abgerufen am 21.11.2024.