Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

des sechszehnten Jahrhunderts.
ney macht einen gesund, und macht einen an-
dern noch mehr kranck. Einer nachdem er Got-
tes Strafe und gewaltige Hand empfunden, hat
seine Sünde mit viel Seufzern bedacht; der an-
dere hat seinen freyen Willen gebraucht, und da
er Gottes Gerechtigkeit gemercket, doch seine Barm-
hertzigkeit gemißbrauchet. Gott hat nie keinen verlas-
sen, er wußte wohl warum ers gethan hätte. Wenn
er alles gleich wollte gehabt haben, so hätte er
wohl nichts als Rosen gemacht: Aber er woll-
te auch Disteln haben, daß man an denselben
seine Gerechtigkeit sähe. - - Die Urtheile Got-
tes sind heimlich, niemand weis ihre Ursachen
gäntzlich, je mehr man sie zu ergründen begehrt,
je minder erfährt man davon. Ob jemand schon
wähnet, daß er sie wisse, so ist er dessen doch
gantz ungewiß.

Folgender Character von denen, welche mit
Vorsatz und aus Ruhmbegierde Narren seyn wol-
len, ist bey den Sittenrichtern seltenes Vorkom-
mens:

"Es ist auf Erden mancher Narr, der
"sich närrischer Gebehrden annimmt, und wenn
"man ihn schünde, und sötte, so könnte er es doch
"nicht weiter bringen, als daß er etwann die
"Ohren schüttelte; er will mit allem Fleisse när-
"risch seyn, doch seine Narrenweise gefällt nie-
"manden; und wiewohl er einem Narren gleich
"thut, nimmt doch niemand seinen Schimpf vor
"gut auf. Daher sprechen die Leute von ihm,
"der Narre wollte sich gerne närrisch stellen; und
"kan doch weder Weise noch Gebehrden, er ist
"ein

des ſechszehnten Jahrhunderts.
ney macht einen geſund, und macht einen an-
dern noch mehr kranck. Einer nachdem er Got-
tes Strafe und gewaltige Hand empfunden, hat
ſeine Suͤnde mit viel Seufzern bedacht; der an-
dere hat ſeinen freyen Willen gebraucht, und da
er Gottes Gerechtigkeit gemercket, doch ſeine Barm-
hertzigkeit gemißbrauchet. Gott hat nie keinen verlaſ-
ſen, er wußte wohl warum ers gethan haͤtte. Wenn
er alles gleich wollte gehabt haben, ſo haͤtte er
wohl nichts als Roſen gemacht: Aber er woll-
te auch Diſteln haben, daß man an denſelben
ſeine Gerechtigkeit ſaͤhe. - - Die Urtheile Got-
tes ſind heimlich, niemand weis ihre Urſachen
gaͤntzlich, je mehr man ſie zu ergruͤnden begehrt,
je minder erfaͤhrt man davon. Ob jemand ſchon
waͤhnet, daß er ſie wiſſe, ſo iſt er deſſen doch
gantz ungewiß.

Folgender Character von denen, welche mit
Vorſatz und aus Ruhmbegierde Narren ſeyn wol-
len, iſt bey den Sittenrichtern ſeltenes Vorkom-
mens:

„Es iſt auf Erden mancher Narr, der
„ſich naͤrriſcher Gebehrden annimmt, und wenn
„man ihn ſchuͤnde, und ſoͤtte, ſo koͤnnte er es doch
„nicht weiter bringen, als daß er etwann die
„Ohren ſchuͤttelte; er will mit allem Fleiſſe naͤr-
„riſch ſeyn, doch ſeine Narrenweiſe gefaͤllt nie-
„manden; und wiewohl er einem Narren gleich
„thut, nimmt doch niemand ſeinen Schimpf vor
„gut auf. Daher ſprechen die Leute von ihm,
„der Narre wollte ſich gerne naͤrriſch ſtellen; und
„kan doch weder Weiſe noch Gebehrden, er iſt
„ein
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="11"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des &#x017F;echszehnten Jahrhunderts.</hi></fw><lb/>
ney macht einen ge&#x017F;und, und macht einen an-<lb/>
dern noch mehr kranck. Einer nachdem er Got-<lb/>
tes Strafe und gewaltige Hand empfunden, hat<lb/>
&#x017F;eine Su&#x0364;nde mit viel Seufzern bedacht; der an-<lb/>
dere hat &#x017F;einen freyen Willen gebraucht, und da<lb/>
er Gottes Gerechtigkeit gemercket, doch &#x017F;eine Barm-<lb/>
hertzigkeit gemißbrauchet. Gott hat nie keinen verla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, er wußte wohl warum ers gethan ha&#x0364;tte. Wenn<lb/>
er alles gleich wollte gehabt haben, &#x017F;o ha&#x0364;tte er<lb/>
wohl nichts als Ro&#x017F;en gemacht: Aber er woll-<lb/>
te auch Di&#x017F;teln haben, daß man an den&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;eine Gerechtigkeit &#x017F;a&#x0364;he. - - Die Urtheile Got-<lb/>
tes &#x017F;ind heimlich, niemand weis ihre Ur&#x017F;achen<lb/>
ga&#x0364;ntzlich, je mehr man &#x017F;ie zu ergru&#x0364;nden begehrt,<lb/>
je minder erfa&#x0364;hrt man davon. Ob jemand &#x017F;chon<lb/>
wa&#x0364;hnet, daß er &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o i&#x017F;t er de&#x017F;&#x017F;en doch<lb/>
gantz ungewiß.</p><lb/>
        <p>Folgender Character von denen, welche mit<lb/>
Vor&#x017F;atz und aus Ruhmbegierde Narren &#x017F;eyn wol-<lb/>
len, i&#x017F;t bey den Sittenrichtern &#x017F;eltenes Vorkom-<lb/>
mens:</p>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Es i&#x017F;t auf Erden mancher Narr, der<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich na&#x0364;rri&#x017F;cher Gebehrden annimmt, und wenn<lb/>
&#x201E;man ihn &#x017F;chu&#x0364;nde, und &#x017F;o&#x0364;tte, &#x017F;o ko&#x0364;nnte er es doch<lb/>
&#x201E;nicht weiter bringen, als daß er etwann die<lb/>
&#x201E;Ohren &#x017F;chu&#x0364;ttelte; er will mit allem Flei&#x017F;&#x017F;e na&#x0364;r-<lb/>
&#x201E;ri&#x017F;ch &#x017F;eyn, doch &#x017F;eine Narrenwei&#x017F;e gefa&#x0364;llt nie-<lb/>
&#x201E;manden; und wiewohl er einem Narren gleich<lb/>
&#x201E;thut, nimmt doch niemand &#x017F;einen Schimpf vor<lb/>
&#x201E;gut auf. Daher &#x017F;prechen die Leute von ihm,<lb/>
&#x201E;der Narre wollte &#x017F;ich gerne na&#x0364;rri&#x017F;ch &#x017F;tellen; und<lb/>
&#x201E;kan doch weder Wei&#x017F;e noch Gebehrden, er i&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ein</fw><lb/></quote>
        </cit>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[11/0011] des ſechszehnten Jahrhunderts. ney macht einen geſund, und macht einen an- dern noch mehr kranck. Einer nachdem er Got- tes Strafe und gewaltige Hand empfunden, hat ſeine Suͤnde mit viel Seufzern bedacht; der an- dere hat ſeinen freyen Willen gebraucht, und da er Gottes Gerechtigkeit gemercket, doch ſeine Barm- hertzigkeit gemißbrauchet. Gott hat nie keinen verlaſ- ſen, er wußte wohl warum ers gethan haͤtte. Wenn er alles gleich wollte gehabt haben, ſo haͤtte er wohl nichts als Roſen gemacht: Aber er woll- te auch Diſteln haben, daß man an denſelben ſeine Gerechtigkeit ſaͤhe. - - Die Urtheile Got- tes ſind heimlich, niemand weis ihre Urſachen gaͤntzlich, je mehr man ſie zu ergruͤnden begehrt, je minder erfaͤhrt man davon. Ob jemand ſchon waͤhnet, daß er ſie wiſſe, ſo iſt er deſſen doch gantz ungewiß. Folgender Character von denen, welche mit Vorſatz und aus Ruhmbegierde Narren ſeyn wol- len, iſt bey den Sittenrichtern ſeltenes Vorkom- mens: „Es iſt auf Erden mancher Narr, der „ſich naͤrriſcher Gebehrden annimmt, und wenn „man ihn ſchuͤnde, und ſoͤtte, ſo koͤnnte er es doch „nicht weiter bringen, als daß er etwann die „Ohren ſchuͤttelte; er will mit allem Fleiſſe naͤr- „riſch ſeyn, doch ſeine Narrenweiſe gefaͤllt nie- „manden; und wiewohl er einem Narren gleich „thut, nimmt doch niemand ſeinen Schimpf vor „gut auf. Daher ſprechen die Leute von ihm, „der Narre wollte ſich gerne naͤrriſch ſtellen; und „kan doch weder Weiſe noch Gebehrden, er iſt „ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/11
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/11>, abgerufen am 25.11.2024.