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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

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des sechszehnten Jahrhunderts.
fasser es betitelt hat: Von der Bescheidenheit;
denn es fängt mit diesen Zeilen an:

Ich bin genannt Bescheidenheyt,
Die aller Tugend Kron auftreyt.
Mich hat gedichtet Herr Freidanck.

Er nimmt das Wort Bescheidenheit vor die
Tugend Ziel und Maaß in seinem Thun und
Lassen zu halten. Seine moralischen Lehren
hangen selten lange zusammen, sie sind meistens
eine Verfassung von kurtzen Sprüchen, Lebens-
regeln, und Betrachtungen, die zwar öfters
lange von einem Hauptstücke handeln, aber
unter sich nicht verknüpfet sind. Es giebt dar-
unter eben so wohlgedachte, als sie insgemein
klug und gründlich sind. Er sagt von dem
Liebhaben:

Der liebe floucht, den fleucht auch sie,
Und der ihr begehrt, dem ist sie by.


Da man um Pfenning Lieb feil treit,
Da kauft ein Mann Unseligkeit.


Von den Weibern hat er recht feine Ge-
dancken:

Eim Mann man oft für Ehre hat,
Was frommen Weibern übel staht.
Durch Not muss oft syn keusch ein Weib,
Der niemand anspricht ihren Leib.
Wo Weib mit Lieb je missethet,
Das kam zuvor von Mannes Bet.
Ver-
[Crit. Samml. VIII. St.] B

des ſechszehnten Jahrhunderts.
faſſer es betitelt hat: Von der Beſcheidenheit;
denn es faͤngt mit dieſen Zeilen an:

Ich bin genannt Beſcheidenheyt,
Die aller Tugend Kron auftreyt.
Mich hat gedichtet Herr Freidanck.

Er nimmt das Wort Beſcheidenheit vor die
Tugend Ziel und Maaß in ſeinem Thun und
Laſſen zu halten. Seine moraliſchen Lehren
hangen ſelten lange zuſammen, ſie ſind meiſtens
eine Verfaſſung von kurtzen Spruͤchen, Lebens-
regeln, und Betrachtungen, die zwar oͤfters
lange von einem Hauptſtuͤcke handeln, aber
unter ſich nicht verknuͤpfet ſind. Es giebt dar-
unter eben ſo wohlgedachte, als ſie insgemein
klug und gruͤndlich ſind. Er ſagt von dem
Liebhaben:

Der liebe floucht, den fleucht auch ſie,
Und der ihr begehrt, dem iſt ſie by.


Da man um Pfenning Lieb feil treit,
Da kauft ein Mann Unſeligkeit.


Von den Weibern hat er recht feine Ge-
dancken:

Eim Mann man oft für Ehre hat,
Was frommen Weibern übel ſtaht.
Durch Not muſs oft ſyn keuſch ein Weib,
Der niemand anſpricht ihren Leib.
Wo Weib mit Lieb je miſſethet,
Das kam zuvor von Mannes Bet.
Ver-
[Crit. Sam̃l. VIII. St.] B
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[17/0017] des ſechszehnten Jahrhunderts. faſſer es betitelt hat: Von der Beſcheidenheit; denn es faͤngt mit dieſen Zeilen an: Ich bin genannt Beſcheidenheyt, Die aller Tugend Kron auftreyt. Mich hat gedichtet Herr Freidanck. Er nimmt das Wort Beſcheidenheit vor die Tugend Ziel und Maaß in ſeinem Thun und Laſſen zu halten. Seine moraliſchen Lehren hangen ſelten lange zuſammen, ſie ſind meiſtens eine Verfaſſung von kurtzen Spruͤchen, Lebens- regeln, und Betrachtungen, die zwar oͤfters lange von einem Hauptſtuͤcke handeln, aber unter ſich nicht verknuͤpfet ſind. Es giebt dar- unter eben ſo wohlgedachte, als ſie insgemein klug und gruͤndlich ſind. Er ſagt von dem Liebhaben: Der liebe floucht, den fleucht auch ſie, Und der ihr begehrt, dem iſt ſie by. Da man um Pfenning Lieb feil treit, Da kauft ein Mann Unſeligkeit. Von den Weibern hat er recht feine Ge- dancken: Eim Mann man oft für Ehre hat, Was frommen Weibern übel ſtaht. Durch Not muſs oft ſyn keuſch ein Weib, Der niemand anſpricht ihren Leib. Wo Weib mit Lieb je miſſethet, Das kam zuvor von Mannes Bet. Ver- [Crit. Sam̃l. VIII. St.] B

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/17>, abgerufen am 28.04.2024.