Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

Crit. Betracht. über die Ode
Den, dem ihr Schwarm viel süsses vorgesagt?
Wie oft ist der der Welt im Zorn gegeben,
Den Clerisey und Hof und Land erheben?

X
55Die Einfalt lobt was vieler Stimmen loben;
Die Menschen-Furcht was sie nicht stürtzen kan.
Germanicus wird billig hoch erhoben;
Doch betet Rom auch seinen Buben an:
Domitian, Roms schändlichster Berather,
60Heißt wie August des Vaterlandes Vater.
XI
Wie mancher wird aus Eigennutz besungen,
Mit Lob betäubt, den jede That entehrt!
Des Frevlers Ruhm ertönt auf feigen Zungen,
Bis ihm das Glück den falschen Rücken kehrt.
65 Ahito-
V. 62. Mit Lob betäubt, den jede That entehrt.
[Spaltenumbruch] Welcher Nachdruck! Denjeni-
gen, den alle seine Thaten alles
Lobs und aller Ehre unwürdig
machen, durch ein schmeichleri-
sches Lob so sehr und ungestüm
[Spaltenumbruch] erheben, daß ein solcher Eiteler
selbst dadurch betäubt wird, und
sich des übertriebenen Lobs fast
schämet.
V. 63. Des Frevlers Ruhm ertönt auf feigen Zungen.
[Spaltenumbruch] Das ist, wird ein Gottschedianer
sagen, ein Blümchen aus der un-
ergründlichen und geheimnißrei-
chen Schreibart, die allmäh-
lich bey uns einschleichen will,
die mehr gedencken läßt, als sie
wircklich sagt, und darum den Le-
ser ermüdet. Da hingegen Gott-
[Spaltenumbruch] sched eine so deutliche und flüs-
sige Schreibart in Gang gebracht
hat, welche auch die Unver-
ständigsten verstehen müssen,
und die von Gedancken nicht
so beschweret ist, daß sie die Le-
ser ermüden könnte.

Crit. Betracht. uͤber die Ode
Den, dem ihr Schwarm viel ſuͤſſes vorgeſagt?
Wie oft iſt der der Welt im Zorn gegeben,
Den Cleriſey und Hof und Land erheben?

X
55Die Einfalt lobt was vieler Stimmen loben;
Die Menſchen-Furcht was ſie nicht ſtuͤrtzen kan.
Germanicus wird billig hoch erhoben;
Doch betet Rom auch ſeinen Buben an:
Domitian, Roms ſchaͤndlichſter Berather,
60Heißt wie Auguſt des Vaterlandes Vater.
XI
Wie mancher wird aus Eigennutz beſungen,
Mit Lob betaͤubt, den jede That entehrt!
Des Frevlers Ruhm ertoͤnt auf feigen Zungen,
Bis ihm das Gluͤck den falſchen Ruͤcken kehrt.
65 Ahito-
V. 62. Mit Lob betaͤubt, den jede That entehrt.
[Spaltenumbruch] Welcher Nachdruck! Denjeni-
gen, den alle ſeine Thaten alles
Lobs und aller Ehre unwuͤrdig
machen, durch ein ſchmeichleri-
ſches Lob ſo ſehr und ungeſtuͤm
[Spaltenumbruch] erheben, daß ein ſolcher Eiteler
ſelbſt dadurch betaͤubt wird, und
ſich des uͤbertriebenen Lobs faſt
ſchaͤmet.
V. 63. Des Frevlers Ruhm ertoͤnt auf feigen Zungen.
[Spaltenumbruch] Das iſt, wird ein Gottſchedianer
ſagen, ein Bluͤmchen aus der un-
ergruͤndlichen und geheimnißrei-
chen Schreibart, die allmaͤh-
lich bey uns einſchleichen will,
die mehr gedencken laͤßt, als ſie
wircklich ſagt, und darum den Le-
ſer ermuͤdet. Da hingegen Gott-
[Spaltenumbruch] ſched eine ſo deutliche und fluͤſ-
ſige Schreibart in Gang gebracht
hat, welche auch die Unver-
ſtaͤndigſten verſtehen muͤſſen,
und die von Gedancken nicht
ſo beſchweret iſt, daß ſie die Le-
ſer ermuͤden koͤnnte.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="9">
            <pb facs="#f0030" n="30"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Crit. Betracht. u&#x0364;ber die Ode</hi> </fw><lb/>
            <l>Den, dem ihr Schwarm viel &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;es vorge&#x017F;agt?</l><lb/>
            <l>Wie oft i&#x017F;t der der Welt im Zorn gegeben,</l><lb/>
            <l>Den Cleri&#x017F;ey und Hof und Land erheben?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="10">
            <head> <hi rendition="#aq">X</hi> </head><lb/>
            <note place="left">55</note>
            <l>Die Einfalt lobt was vieler Stimmen loben;</l><lb/>
            <l>Die Men&#x017F;chen-Furcht was &#x017F;ie nicht &#x017F;tu&#x0364;rtzen kan.</l><lb/>
            <l>Germanicus wird billig hoch erhoben;</l><lb/>
            <l>Doch betet Rom auch &#x017F;einen Buben an:</l><lb/>
            <l>Domitian, Roms &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ter Berather,<lb/><note place="left">60</note>Heißt wie Augu&#x017F;t des Vaterlandes Vater.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="11">
            <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g">XI</hi> </hi> </head><lb/>
            <l>Wie mancher wird aus Eigennutz be&#x017F;ungen,</l><lb/>
            <l>Mit Lob beta&#x0364;ubt, den jede That <hi rendition="#fr">entehrt!</hi><note place="foot">V. 62. Mit Lob beta&#x0364;ubt, den jede That entehrt.<lb/><cb/>
Welcher Nachdruck! Denjeni-<lb/>
gen, den alle &#x017F;eine Thaten alles<lb/>
Lobs und aller Ehre unwu&#x0364;rdig<lb/>
machen, durch ein &#x017F;chmeichleri-<lb/>
&#x017F;ches Lob &#x017F;o &#x017F;ehr und unge&#x017F;tu&#x0364;m<lb/><cb/>
erheben, daß ein &#x017F;olcher Eiteler<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t dadurch beta&#x0364;ubt wird, und<lb/>
&#x017F;ich des u&#x0364;bertriebenen Lobs fa&#x017F;t<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;met.</note></l><lb/>
            <l>Des Frevlers Ruhm erto&#x0364;nt auf feigen Zungen,<note place="foot">V. 63. Des Frevlers Ruhm erto&#x0364;nt auf feigen Zungen.<lb/><cb/>
Das i&#x017F;t, wird ein Gott&#x017F;chedianer<lb/>
&#x017F;agen, ein Blu&#x0364;mchen aus der un-<lb/>
ergru&#x0364;ndlichen und geheimnißrei-<lb/>
chen Schreibart, die allma&#x0364;h-<lb/>
lich bey uns ein&#x017F;chleichen will,<lb/>
die mehr gedencken la&#x0364;ßt, als &#x017F;ie<lb/>
wircklich &#x017F;agt, und darum den Le-<lb/>
&#x017F;er ermu&#x0364;det. Da hingegen Gott-<lb/><cb/>
&#x017F;ched eine &#x017F;o deutliche und flu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ige Schreibart in Gang gebracht<lb/>
hat, welche auch die Unver-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;ten ver&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und die von Gedancken nicht<lb/>
&#x017F;o be&#x017F;chweret i&#x017F;t, daß &#x017F;ie die Le-<lb/>
&#x017F;er ermu&#x0364;den ko&#x0364;nnte.</note></l><lb/>
            <l>Bis ihm das Glu&#x0364;ck den fal&#x017F;chen Ru&#x0364;cken kehrt.</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">65 Ahito-</fw><lb/><lb/><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[30/0030] Crit. Betracht. uͤber die Ode Den, dem ihr Schwarm viel ſuͤſſes vorgeſagt? Wie oft iſt der der Welt im Zorn gegeben, Den Cleriſey und Hof und Land erheben? X Die Einfalt lobt was vieler Stimmen loben; Die Menſchen-Furcht was ſie nicht ſtuͤrtzen kan. Germanicus wird billig hoch erhoben; Doch betet Rom auch ſeinen Buben an: Domitian, Roms ſchaͤndlichſter Berather, Heißt wie Auguſt des Vaterlandes Vater. XI Wie mancher wird aus Eigennutz beſungen, Mit Lob betaͤubt, den jede That entehrt! Des Frevlers Ruhm ertoͤnt auf feigen Zungen, Bis ihm das Gluͤck den falſchen Ruͤcken kehrt. 65 Ahito- V. 62. Mit Lob betaͤubt, den jede That entehrt. Welcher Nachdruck! Denjeni- gen, den alle ſeine Thaten alles Lobs und aller Ehre unwuͤrdig machen, durch ein ſchmeichleri- ſches Lob ſo ſehr und ungeſtuͤm erheben, daß ein ſolcher Eiteler ſelbſt dadurch betaͤubt wird, und ſich des uͤbertriebenen Lobs faſt ſchaͤmet. V. 63. Des Frevlers Ruhm ertoͤnt auf feigen Zungen. Das iſt, wird ein Gottſchedianer ſagen, ein Bluͤmchen aus der un- ergruͤndlichen und geheimnißrei- chen Schreibart, die allmaͤh- lich bey uns einſchleichen will, die mehr gedencken laͤßt, als ſie wircklich ſagt, und darum den Le- ſer ermuͤdet. Da hingegen Gott- ſched eine ſo deutliche und fluͤſ- ſige Schreibart in Gang gebracht hat, welche auch die Unver- ſtaͤndigſten verſtehen muͤſſen, und die von Gedancken nicht ſo beſchweret iſt, daß ſie die Le- ſer ermuͤden koͤnnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/30
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/30>, abgerufen am 27.11.2024.