Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
des vierzehnten Jahrhunderts.
Nach diesem riefen Mann und Frau
Aus einem Munde: Ey doch, schau!
Wie thörigt diese beyde sind,
Der alte Mann so wie sein Kind,
Daß nicht ihr Sinn zu reiten steht, (c)
Da doch der Esel ledig geht!
Ein Wunder, daß nicht sie den Esel tragen!
Drauf sprach der Vater: Sohn wohlher!
Der Esel ist uns nicht zu schwer,
Daß wir ihn nicht wohl mögten tragen.
Laß sehn, was dann die Leute sagen.
Sie warffen bald den Esel nieder,
Und banden ihm den Kopf und alle Glieder.
Sie hängten ihn an eine Stangen;
Doch wär er freudiger zu Fuß gegangen.
Bald ward ein groß Geschrey, man rief von Ort zu Ort:
Zween tragen ihren Esel fort,
Der billiger sie beyde sollte tragen.
Man mag es wohl zur neuen Mähre sagen. (+)
Man sieht wohl, daß sie Narren sind,
An Witze sind sie beyde blind. (o)
Der Alte hörte wohl, daß jedermann
Nur übels von ihm redt. Er fieng izt seuftzend an:
Mein Sohn, du hörst, der Esel trage mich,
So ists nicht recht; er trage dich,
So zehlet man mich zu den Thoren;
Trägt er uns beyde dann, so ist mein Witz verlohren
Und geht er ledig fort, so weiß ich nicht zu leben;
Wenn wir ihn dann auf unsre Schultern heben,
So ist kein Mensch unsinniger als wir.
Wie ist ihm denn zu thun? Der beste Rath ist hier:
Jn allen Handlungen thu recht und wohl.
Und sieh nicht auf die Welt, sie ist der Schalckheit voll;
Und kan nicht ohne Tadeln seyn.
Deßwegen hülle dich in deine Tugend ein.
Thu was du thust, nach des Gewissens Licht
Und fürchte Gottes Zorn, und nicht der Welt Gericht.
E 2
(c) Das ir sinn nit ze riten stat.
(+) Man mag es wol ze maere sagen.
(o) An wizen sint si bede blind.
des vierzehnten Jahrhunderts.
Nach dieſem riefen Mann und Frau
Aus einem Munde: Ey doch, ſchau!
Wie thoͤrigt dieſe beyde ſind,
Der alte Mann ſo wie ſein Kind,
Daß nicht ihr Sinn zu reiten ſteht, (c)
Da doch der Eſel ledig geht!
Ein Wunder, daß nicht ſie den Eſel tragen!
Drauf ſprach der Vater: Sohn wohlher!
Der Eſel iſt uns nicht zu ſchwer,
Daß wir ihn nicht wohl moͤgten tragen.
Laß ſehn, was dann die Leute ſagen.
Sie warffen bald den Eſel nieder,
Und banden ihm den Kopf und alle Glieder.
Sie haͤngten ihn an eine Stangen;
Doch waͤr er freudiger zu Fuß gegangen.
Bald ward ein groß Geſchrey, man rief von Ort zu Ort:
Zween tragen ihren Eſel fort,
Der billiger ſie beyde ſollte tragen.
Man mag es wohl zur neuen Maͤhre ſagen. (†)
Man ſieht wohl, daß ſie Narren ſind,
An Witze ſind ſie beyde blind. (o)
Der Alte hoͤrte wohl, daß jedermann
Nur uͤbels von ihm redt. Er fieng izt ſeuftzend an:
Mein Sohn, du hoͤrſt, der Eſel trage mich,
So iſts nicht recht; er trage dich,
So zehlet man mich zu den Thoren;
Traͤgt er uns beyde dann, ſo iſt mein Witz verlohren
Und geht er ledig fort, ſo weiß ich nicht zu leben;
Wenn wir ihn dann auf unſre Schultern heben,
So iſt kein Menſch unſinniger als wir.
Wie iſt ihm denn zu thun? Der beſte Rath iſt hier:
Jn allen Handlungen thu recht und wohl.
Und ſieh nicht auf die Welt, ſie iſt der Schalckheit voll;
Und kan nicht ohne Tadeln ſeyn.
Deßwegen huͤlle dich in deine Tugend ein.
Thu was du thuſt, nach des Gewiſſens Licht
Und fuͤrchte Gottes Zorn, und nicht der Welt Gericht.
E 2
(c) Das ir ſinn nit ze riten ſtât.
(†) Man mag es wol ze maere ſagen.
(o) An wizen ſint ſi bede blind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0067" n="67"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">des vierzehnten Jahrhunderts.</hi> </fw><lb/>
              <l>Nach die&#x017F;em riefen Mann und Frau</l><lb/>
              <l>Aus einem Munde: Ey doch, &#x017F;chau!</l><lb/>
              <l>Wie tho&#x0364;rigt die&#x017F;e beyde &#x017F;ind,</l><lb/>
              <l>Der alte Mann &#x017F;o wie &#x017F;ein Kind,</l><lb/>
              <l>Daß nicht ihr Sinn zu reiten &#x017F;teht, <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#aq">Das ir &#x017F;inn nit ze riten &#x017F;tât.</hi></note></l><lb/>
              <l>Da doch der E&#x017F;el ledig geht!</l><lb/>
              <l>Ein Wunder, daß nicht &#x017F;ie den E&#x017F;el tragen!</l><lb/>
              <l>Drauf &#x017F;prach der Vater: Sohn wohlher!</l><lb/>
              <l>Der E&#x017F;el i&#x017F;t uns nicht zu &#x017F;chwer,</l><lb/>
              <l>Daß wir ihn nicht wohl mo&#x0364;gten tragen.</l><lb/>
              <l>Laß &#x017F;ehn, was dann die Leute &#x017F;agen.</l><lb/>
              <l>Sie warffen bald den E&#x017F;el nieder,</l><lb/>
              <l>Und banden ihm den Kopf und alle Glieder.</l><lb/>
              <l>Sie ha&#x0364;ngten ihn an eine Stangen;</l><lb/>
              <l>Doch wa&#x0364;r er freudiger zu Fuß gegangen.</l><lb/>
              <l>Bald ward ein groß Ge&#x017F;chrey, man rief von Ort zu Ort:</l><lb/>
              <l>Zween tragen ihren E&#x017F;el fort,</l><lb/>
              <l>Der billiger &#x017F;ie beyde &#x017F;ollte tragen.</l><lb/>
              <l>Man mag es wohl zur neuen Ma&#x0364;hre &#x017F;agen. <note place="foot" n="(&#x2020;)"><hi rendition="#aq">Man mag es wol ze maere &#x017F;agen.</hi></note></l><lb/>
              <l>Man &#x017F;ieht wohl, daß &#x017F;ie Narren &#x017F;ind,</l><lb/>
              <l>An Witze &#x017F;ind &#x017F;ie beyde blind. <note place="foot" n="(o)"><hi rendition="#aq">An wizen &#x017F;int &#x017F;i bede blind.</hi></note></l><lb/>
              <l>Der Alte ho&#x0364;rte wohl, daß jedermann</l><lb/>
              <l>Nur u&#x0364;bels von ihm redt. Er fieng izt &#x017F;euftzend an:</l><lb/>
              <l>Mein Sohn, du ho&#x0364;r&#x017F;t, der E&#x017F;el trage mich,</l><lb/>
              <l>So i&#x017F;ts nicht recht; er trage dich,</l><lb/>
              <l>So zehlet man mich zu den Thoren;</l><lb/>
              <l>Tra&#x0364;gt er uns beyde dann, &#x017F;o i&#x017F;t mein Witz verlohren</l><lb/>
              <l>Und geht er ledig fort, &#x017F;o weiß ich nicht zu leben;</l><lb/>
              <l>Wenn wir ihn dann auf un&#x017F;re Schultern heben,</l><lb/>
              <l>So i&#x017F;t kein Men&#x017F;ch un&#x017F;inniger als wir.</l><lb/>
              <l>Wie i&#x017F;t ihm denn zu thun? Der be&#x017F;te Rath i&#x017F;t hier:</l><lb/>
              <l>Jn allen Handlungen thu recht und wohl.</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ieh nicht auf die Welt, &#x017F;ie i&#x017F;t der Schalckheit voll;</l><lb/>
              <l>Und kan nicht ohne Tadeln &#x017F;eyn.</l><lb/>
              <l>Deßwegen hu&#x0364;lle dich in deine Tugend ein.</l><lb/>
              <l>Thu was du thu&#x017F;t, nach des Gewi&#x017F;&#x017F;ens Licht</l><lb/>
              <l>Und fu&#x0364;rchte Gottes Zorn, und nicht der Welt Gericht.</l>
            </lg>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">E 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0067] des vierzehnten Jahrhunderts. Nach dieſem riefen Mann und Frau Aus einem Munde: Ey doch, ſchau! Wie thoͤrigt dieſe beyde ſind, Der alte Mann ſo wie ſein Kind, Daß nicht ihr Sinn zu reiten ſteht, (c) Da doch der Eſel ledig geht! Ein Wunder, daß nicht ſie den Eſel tragen! Drauf ſprach der Vater: Sohn wohlher! Der Eſel iſt uns nicht zu ſchwer, Daß wir ihn nicht wohl moͤgten tragen. Laß ſehn, was dann die Leute ſagen. Sie warffen bald den Eſel nieder, Und banden ihm den Kopf und alle Glieder. Sie haͤngten ihn an eine Stangen; Doch waͤr er freudiger zu Fuß gegangen. Bald ward ein groß Geſchrey, man rief von Ort zu Ort: Zween tragen ihren Eſel fort, Der billiger ſie beyde ſollte tragen. Man mag es wohl zur neuen Maͤhre ſagen. (†) Man ſieht wohl, daß ſie Narren ſind, An Witze ſind ſie beyde blind. (o) Der Alte hoͤrte wohl, daß jedermann Nur uͤbels von ihm redt. Er fieng izt ſeuftzend an: Mein Sohn, du hoͤrſt, der Eſel trage mich, So iſts nicht recht; er trage dich, So zehlet man mich zu den Thoren; Traͤgt er uns beyde dann, ſo iſt mein Witz verlohren Und geht er ledig fort, ſo weiß ich nicht zu leben; Wenn wir ihn dann auf unſre Schultern heben, So iſt kein Menſch unſinniger als wir. Wie iſt ihm denn zu thun? Der beſte Rath iſt hier: Jn allen Handlungen thu recht und wohl. Und ſieh nicht auf die Welt, ſie iſt der Schalckheit voll; Und kan nicht ohne Tadeln ſeyn. Deßwegen huͤlle dich in deine Tugend ein. Thu was du thuſt, nach des Gewiſſens Licht Und fuͤrchte Gottes Zorn, und nicht der Welt Gericht. E 2 (c) Das ir ſinn nit ze riten ſtât. (†) Man mag es wol ze maere ſagen. (o) An wizen ſint ſi bede blind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/67
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/67>, abgerufen am 04.12.2024.