[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Von dem Zustande der Poesie Lieb, lieber Schertz, lieblicher Glimpff,Liebkosen, Kütz, kützlender Schimpff Werden sie dir machen willfahren. Wann aber ein solchs nicht genug, Solt du Kühner mit gutem Fug Dein freundliche Feindin anfallen: Und laß dir ihre Scham und Zucht, Jhr Klagen, Flehen und Ausflucht Gefallen wohl und doch mißfallen. Die Müh nimmt durch den Schweisse zu, Die Ruh ist süsser nach Unruh, Und süsser die Küß, so genetzet: Also wird dein leidige Freud, Also wird ihr freudiges Leid, Durch beyder Leid und Freud ergötzet. Ach wie forchtsam scheinet sie doch? Ach wie zittert sie ab dem Joch? Darunter deine Arm sie binden: Nun kan dein Mund (dürstig) zumahl Von Seufftzen und Zehren ein Mahl Auf ihrem Mund und Augen finden. Köstliches Mahl! Göttliche Speiß! Himmlisches Geträncke! mit Fleiß Jn so reiche Gefäß gegossen! Gefäß so schön, daß auch kein Gott Aus schönern in der höchsten Noth Der Nahrung noch Artzney genossen. Damit nun ihrer Süssigkeit, Und anreitzender Lieblichkeit, Du und auch sie mögest geniessen, So laß dich kein Bitt um Anstand, Kein Widerstehen ihrer Hand Fangen, verhindern, noch verdriessen. Geh fang nur muthig an die Schlacht, Gebrauch doch nicht zu grosse Macht, Sie nicht zu sehr gleich zu erschrecken, Son-
Von dem Zuſtande der Poeſie Lieb, lieber Schertz, lieblicher Glimpff,Liebkoſen, Kuͤtz, kuͤtzlender Schimpff Werden ſie dir machen willfahren. Wann aber ein ſolchs nicht genug, Solt du Kuͤhner mit gutem Fug Dein freundliche Feindin anfallen: Und laß dir ihre Scham und Zucht, Jhr Klagen, Flehen und Ausflucht Gefallen wohl und doch mißfallen. Die Muͤh nimmt durch den Schweiſſe zu, Die Ruh iſt ſuͤſſer nach Unruh, Und ſuͤſſer die Kuͤß, ſo genetzet: Alſo wird dein leidige Freud, Alſo wird ihr freudiges Leid, Durch beyder Leid und Freud ergoͤtzet. Ach wie forchtſam ſcheinet ſie doch? Ach wie zittert ſie ab dem Joch? Darunter deine Arm ſie binden: Nun kan dein Mund (duͤrſtig) zumahl Von Seufftzen und Zehren ein Mahl Auf ihrem Mund und Augen finden. Koͤſtliches Mahl! Goͤttliche Speiß! Himmliſches Getraͤncke! mit Fleiß Jn ſo reiche Gefaͤß gegoſſen! Gefaͤß ſo ſchoͤn, daß auch kein Gott Aus ſchoͤnern in der hoͤchſten Noth Der Nahrung noch Artzney genoſſen. Damit nun ihrer Suͤſſigkeit, Und anreitzender Lieblichkeit, Du und auch ſie moͤgeſt genieſſen, So laß dich kein Bitt um Anſtand, Kein Widerſtehen ihrer Hand Fangen, verhindern, noch verdrieſſen. Geh fang nur muthig an die Schlacht, Gebrauch doch nicht zu groſſe Macht, Sie nicht zu ſehr gleich zu erſchrecken, Son-
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Von dem Zuſtande der Poeſie
Lieb, lieber Schertz, lieblicher Glimpff,
Liebkoſen, Kuͤtz, kuͤtzlender Schimpff
Werden ſie dir machen willfahren.
Wann aber ein ſolchs nicht genug,
Solt du Kuͤhner mit gutem Fug
Dein freundliche Feindin anfallen:
Und laß dir ihre Scham und Zucht,
Jhr Klagen, Flehen und Ausflucht
Gefallen wohl und doch mißfallen.
Die Muͤh nimmt durch den Schweiſſe zu,
Die Ruh iſt ſuͤſſer nach Unruh,
Und ſuͤſſer die Kuͤß, ſo genetzet:
Alſo wird dein leidige Freud,
Alſo wird ihr freudiges Leid,
Durch beyder Leid und Freud ergoͤtzet.
Ach wie forchtſam ſcheinet ſie doch?
Ach wie zittert ſie ab dem Joch?
Darunter deine Arm ſie binden:
Nun kan dein Mund (duͤrſtig) zumahl
Von Seufftzen und Zehren ein Mahl
Auf ihrem Mund und Augen finden.
Koͤſtliches Mahl! Goͤttliche Speiß!
Himmliſches Getraͤncke! mit Fleiß
Jn ſo reiche Gefaͤß gegoſſen!
Gefaͤß ſo ſchoͤn, daß auch kein Gott
Aus ſchoͤnern in der hoͤchſten Noth
Der Nahrung noch Artzney genoſſen.
Damit nun ihrer Suͤſſigkeit,
Und anreitzender Lieblichkeit,
Du und auch ſie moͤgeſt genieſſen,
So laß dich kein Bitt um Anſtand,
Kein Widerſtehen ihrer Hand
Fangen, verhindern, noch verdrieſſen.
Geh fang nur muthig an die Schlacht,
Gebrauch doch nicht zu groſſe Macht,
Sie nicht zu ſehr gleich zu erſchrecken,
Son-
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