[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Von dem Zustande der Poesie weisen bedacht gewesen. Solches auch destoscheinbarer zu machen, hab ich einen ziemli- chen Theil dieses Büchleins aus fremden Sprachen übersetzen wollen; daß man aus Gegenhaltung derselben die Reinigkeit und Zier der unseren besser erkennen möchte. Wie- wohl ich mich gar nicht gebunden; angesehen sonderlich der alten Lateiner Exempel, die mit dem Griechischen Wesen auch nicht anderst umgegangen. Warum mir aber mehr von Liebes-Sachen, als andern wichtigern Mate- rien anzuheben gefallen, achte ich nicht, daß ich weitläuffig erzehlen dörffe, weil sonderlich der Anfang jedwedern Dings von Freundlich- keit und Liebe (welcher ein jeglicher durch verborgene Gewalt der Natur, derer grösseste Unterhalt sie ist, verbunden) muß gemacht werden: Will nichts sagen, daß nicht allein die Exempel der edelsten Poeten von allen Zei- ten her für Augen seyn: sondern daß auch ge- meiniglich die Unterrichtung von Weißheit, Zucht und Höflichkeit unter dem betrieglichen Bilde der Liebe verdeckt lieget: daß also der Jugend die Lehre der Tugenden durch diese verblümte Weise eingepflantzet wird, und sie fast unwissend darzu gelanget. So hoffe ich auch nicht, daß, die sonsten von Geschicklich- keit der Poeten viel halten, sie um dieser ihrer alten Freyheit willen verwerffen werden. Jst auch
Von dem Zuſtande der Poeſie weiſen bedacht geweſen. Solches auch deſtoſcheinbarer zu machen, hab ich einen ziemli- chen Theil dieſes Buͤchleins aus fremden Sprachen uͤberſetzen wollen; daß man aus Gegenhaltung derſelben die Reinigkeit und Zier der unſeren beſſer erkennen moͤchte. Wie- wohl ich mich gar nicht gebunden; angeſehen ſonderlich der alten Lateiner Exempel, die mit dem Griechiſchen Weſen auch nicht anderſt umgegangen. Warum mir aber mehr von Liebes-Sachen, als andern wichtigern Mate- rien anzuheben gefallen, achte ich nicht, daß ich weitlaͤuffig erzehlen doͤrffe, weil ſonderlich der Anfang jedwedern Dings von Freundlich- keit und Liebe (welcher ein jeglicher durch verborgene Gewalt der Natur, derer groͤſſeſte Unterhalt ſie iſt, verbunden) muß gemacht werden: Will nichts ſagen, daß nicht allein die Exempel der edelſten Poeten von allen Zei- ten her fuͤr Augen ſeyn: ſondern daß auch ge- meiniglich die Unterrichtung von Weißheit, Zucht und Hoͤflichkeit unter dem betrieglichen Bilde der Liebe verdeckt lieget: daß alſo der Jugend die Lehre der Tugenden durch dieſe verbluͤmte Weiſe eingepflantzet wird, und ſie faſt unwiſſend darzu gelanget. So hoffe ich auch nicht, daß, die ſonſten von Geſchicklich- keit der Poeten viel halten, ſie um dieſer ihrer alten Freyheit willen verwerffen werden. Jſt auch
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Von dem Zuſtande der Poeſie
weiſen bedacht geweſen. Solches auch deſto
ſcheinbarer zu machen, hab ich einen ziemli-
chen Theil dieſes Buͤchleins aus fremden
Sprachen uͤberſetzen wollen; daß man aus
Gegenhaltung derſelben die Reinigkeit und
Zier der unſeren beſſer erkennen moͤchte. Wie-
wohl ich mich gar nicht gebunden; angeſehen
ſonderlich der alten Lateiner Exempel, die mit
dem Griechiſchen Weſen auch nicht anderſt
umgegangen. Warum mir aber mehr von
Liebes-Sachen, als andern wichtigern Mate-
rien anzuheben gefallen, achte ich nicht, daß
ich weitlaͤuffig erzehlen doͤrffe, weil ſonderlich
der Anfang jedwedern Dings von Freundlich-
keit und Liebe (welcher ein jeglicher durch
verborgene Gewalt der Natur, derer groͤſſeſte
Unterhalt ſie iſt, verbunden) muß gemacht
werden: Will nichts ſagen, daß nicht allein
die Exempel der edelſten Poeten von allen Zei-
ten her fuͤr Augen ſeyn: ſondern daß auch ge-
meiniglich die Unterrichtung von Weißheit,
Zucht und Hoͤflichkeit unter dem betrieglichen
Bilde der Liebe verdeckt lieget: daß alſo der
Jugend die Lehre der Tugenden durch dieſe
verbluͤmte Weiſe eingepflantzet wird, und ſie
faſt unwiſſend darzu gelanget. So hoffe ich
auch nicht, daß, die ſonſten von Geſchicklich-
keit der Poeten viel halten, ſie um dieſer ihrer
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