[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.bey Ankunft Martin Opitzens. Ein Thier das um den Mund, vornemlich in der ZungenTrägt ein verborgen Gifft, damit es Alt und Jungen Anstecket und verblendt, und mit eim süssen Schmertz Kommt ungewarnter Sach gekrochen in das Hertz. Das uns je mehr nachzieht, je mehr wir von ihm fliehen, Und je mehr von uns flieht, je mehr wir ihm nachziehen. Ein freundliche Feindin, ein feindliche Freundin, Die ohne Zauberey verzaubert unsern Sinn. O wunderlich Gespenst, das uns ohn Feur entzündet, Und ohne Strick und Band Gemüth und Seele bindet, Welches Band nicht zerreißt, und zügen tausend dran, Welch Feuer Mayn und Rhein nimmer verleschen kan. Herr Bräutigam ihr könnt mir solches helffen zeugen, Den ein so kleines Feur so bald hat können beugen, Ein bittersüsses Thier hat euch niedergefällt, Und euch in leidig Freud, in freudig Leid gestellt. Jungfrau Anna die schoß die hellgläntzende Stralen Von ihrer Augen Sonn, über des Sandes Thalen, Ueber des Tragheims Berg, über des Bobers Fluß, Das Liebes-Fieber euch von diesem Schein anstieß. Der Brand kam in das Hertz, all eur Gedancken schwommen Mitten in diesem Feur, ihr wußt nicht zu bekommen Zu euer Kranckheit Hilff, noch Trost zu euer Pein, Weil alles beydes war zu tieff gewurtzelt ein. Wolan Herr Bräutigam, wolt ihr werden curiret, So schickt nach der die euch in diß Elend geführet, Euer Kranckheit ich gleich Achillis Wunden acht, Die niemand heilen konnt, als der sie hat gemacht. Und ihr o Jungfrau Braut, wendet das grosse Klagen, Kühlt was ihr habt gebrennt, heilt was ihr habt geschlagen; Wo ihr nicht selber seyd des Krancken Doctorin, So fähret er dahin ohn Hülff und Medicin. Die schöne Nacht kommt an, der Mond sitzt auf den Wagen, Und thut mit vollem Lauff des Himmels Feld durchjagen, Die güldnen Lichter hat der Himmel aufgesteckt, Weil sich die Sonn schon längst zu Bette hat gelegt. Wolan es ist nun Zeit, daß ihr eur Kranckheit stillet, Und mit Freuden den Lauff der Ewigkeit erfüllet, Und schwitzt das Fieber aus, und lindert eure Pein, Die auf kein ander Weiß kan recht vertrieben seyn. [Crit. Samml. IX. St.] C
bey Ankunft Martin Opitzens. Ein Thier das um den Mund, vornemlich in der ZungenTraͤgt ein verborgen Gifft, damit es Alt und Jungen Anſtecket und verblendt, und mit eim ſuͤſſen Schmertz Kommt ungewarnter Sach gekrochen in das Hertz. Das uns je mehr nachzieht, je mehr wir von ihm fliehen, Und je mehr von uns flieht, je mehr wir ihm nachziehen. Ein freundliche Feindin, ein feindliche Freundin, Die ohne Zauberey verzaubert unſern Sinn. O wunderlich Geſpenſt, das uns ohn Feur entzuͤndet, Und ohne Strick und Band Gemuͤth und Seele bindet, Welches Band nicht zerreißt, und zuͤgen tauſend dran, Welch Feuer Mayn und Rhein nimmer verleſchen kan. Herr Braͤutigam ihr koͤnnt mir ſolches helffen zeugen, Den ein ſo kleines Feur ſo bald hat koͤnnen beugen, Ein bitterſuͤſſes Thier hat euch niedergefaͤllt, Und euch in leidig Freud, in freudig Leid geſtellt. Jungfrau Anna die ſchoß die hellglaͤntzende Stralen Von ihrer Augen Sonn, uͤber des Sandes Thalen, Ueber des Tragheims Berg, uͤber des Bobers Fluß, Das Liebes-Fieber euch von dieſem Schein anſtieß. Der Brand kam in das Hertz, all eur Gedancken ſchwommen Mitten in dieſem Feur, ihr wußt nicht zu bekommen Zu euer Kranckheit Hilff, noch Troſt zu euer Pein, Weil alles beydes war zu tieff gewurtzelt ein. Wolan Herr Braͤutigam, wolt ihr werden curiret, So ſchickt nach der die euch in diß Elend gefuͤhret, Euer Kranckheit ich gleich Achillis Wunden acht, Die niemand heilen konnt, als der ſie hat gemacht. Und ihr o Jungfrau Braut, wendet das groſſe Klagen, Kuͤhlt was ihr habt gebrennt, heilt was ihr habt geſchlagen; Wo ihr nicht ſelber ſeyd des Krancken Doctorin, So faͤhret er dahin ohn Huͤlff und Medicin. Die ſchoͤne Nacht kommt an, der Mond ſitzt auf den Wagen, Und thut mit vollem Lauff des Himmels Feld durchjagen, Die guͤldnen Lichter hat der Himmel aufgeſteckt, Weil ſich die Sonn ſchon laͤngſt zu Bette hat gelegt. Wolan es iſt nun Zeit, daß ihr eur Kranckheit ſtillet, Und mit Freuden den Lauff der Ewigkeit erfuͤllet, Und ſchwitzt das Fieber aus, und lindert eure Pein, Die auf kein ander Weiß kan recht vertrieben ſeyn. [Crit. Sam̃l. IX. St.] C
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bey Ankunft Martin Opitzens.
Ein Thier das um den Mund, vornemlich in der Zungen
Traͤgt ein verborgen Gifft, damit es Alt und Jungen
Anſtecket und verblendt, und mit eim ſuͤſſen Schmertz
Kommt ungewarnter Sach gekrochen in das Hertz.
Das uns je mehr nachzieht, je mehr wir von ihm fliehen,
Und je mehr von uns flieht, je mehr wir ihm nachziehen.
Ein freundliche Feindin, ein feindliche Freundin,
Die ohne Zauberey verzaubert unſern Sinn.
O wunderlich Geſpenſt, das uns ohn Feur entzuͤndet,
Und ohne Strick und Band Gemuͤth und Seele bindet,
Welches Band nicht zerreißt, und zuͤgen tauſend dran,
Welch Feuer Mayn und Rhein nimmer verleſchen kan.
Herr Braͤutigam ihr koͤnnt mir ſolches helffen zeugen,
Den ein ſo kleines Feur ſo bald hat koͤnnen beugen,
Ein bitterſuͤſſes Thier hat euch niedergefaͤllt,
Und euch in leidig Freud, in freudig Leid geſtellt.
Jungfrau Anna die ſchoß die hellglaͤntzende Stralen
Von ihrer Augen Sonn, uͤber des Sandes Thalen,
Ueber des Tragheims Berg, uͤber des Bobers Fluß,
Das Liebes-Fieber euch von dieſem Schein anſtieß.
Der Brand kam in das Hertz, all eur Gedancken ſchwommen
Mitten in dieſem Feur, ihr wußt nicht zu bekommen
Zu euer Kranckheit Hilff, noch Troſt zu euer Pein,
Weil alles beydes war zu tieff gewurtzelt ein.
Wolan Herr Braͤutigam, wolt ihr werden curiret,
So ſchickt nach der die euch in diß Elend gefuͤhret,
Euer Kranckheit ich gleich Achillis Wunden acht,
Die niemand heilen konnt, als der ſie hat gemacht.
Und ihr o Jungfrau Braut, wendet das groſſe Klagen,
Kuͤhlt was ihr habt gebrennt, heilt was ihr habt geſchlagen;
Wo ihr nicht ſelber ſeyd des Krancken Doctorin,
So faͤhret er dahin ohn Huͤlff und Medicin.
Die ſchoͤne Nacht kommt an, der Mond ſitzt auf den Wagen,
Und thut mit vollem Lauff des Himmels Feld durchjagen,
Die guͤldnen Lichter hat der Himmel aufgeſteckt,
Weil ſich die Sonn ſchon laͤngſt zu Bette hat gelegt.
Wolan es iſt nun Zeit, daß ihr eur Kranckheit ſtillet,
Und mit Freuden den Lauff der Ewigkeit erfuͤllet,
Und ſchwitzt das Fieber aus, und lindert eure Pein,
Die auf kein ander Weiß kan recht vertrieben ſeyn.
[Crit. Sam̃l. IX. St.] C
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