[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Von dem Zustande der Poesie Jhn klaget Jung und Alt, das Lande thut beweinenZwar ihne nicht so sehr, als selbst sich und die Seinen, Die dieser Säul entsetzt, die diesen Arm verlohrn, So ihn'n zur Aufenthalt und Rettung war geborn. Sein Kinder und Geschlecht seintwegen hochgepriesen Geliebt von jedermann, und jedermann gewiesen Sein Grab, das Dapferkeit fürtrefflich zugericht, Erleuchtet durch der Ehr unauslöschliches Liecht. Sein Ruhm füllt alle Land: liegt schon sein Leib vergraben Bleibt doch sein edler Nam an Himmel hoch erhaben, Erhaben an den Thron der wahren Herrlichkeit, Umgeben mit dem Glantz unsterblicher Klarheit. Ein solchen hübschen Tod beschert Gott nur den Frommen: Wer knechtisch ist gesinnt, muß unter Herren kommen, Die ihn mit einem Zaum nach ihrem Willen führn, Weil er der Freyheit müd sich selbst nicht mag regiern. Seht den verdienten Lohn der Weichling und Verräther, Die setzen aus dem Gleiß der Redlichkeit der Väter, Die das unschuldige Blut der Nachkommenheit Versclaven in das Joch der fremden Dienstbarkeit. Es ist zulang gewart, sie werdens nicht entkommen, Es ist zu spath gewehrt, wanns Hertz schon ist genommen; Wann Wollust, Geitz, Haß, Forcht hat diese Vestung ein, All andre Vestungen gewiß vergeblich seyn. O weh des Hertzenleids! o weh des schweren Leiden! Wo von dem Weib der Mann, vom Mann das Weib gescheiden, Wo von den Elteren die zarte Kinderlein, Ein Freund vom anderen verjagt, getrennt muß seyn: Wo fremd Unkeuschheit man muß ihren wüsten Willen An seinen Töchteren und Weibern sehn erfüllen, Darff drüber seufftzen nicht, darff weder sehn noch hörn, Muß vor Trostlosigkeit sich in sich selbst verzehrn; Darff sich in seinem Creutz mit weinen nicht ergetzen, Darff mit der Freyheit sich mit keinem Thränen letzen, Wann von ihm weichen will der ungeschätzte Schatz: Muß leiden, daß ihn reit auch der geringste Fratz; Und mit dem Rucken dann das seinig noch ansehen, Und also leer und bloß an Bettelstabe gehen, Verlassen Haus und Hof zusamt dem Vaterland, Ziehen, da niemand ihm, er niemand ist bekannt: Mit seinen Eltern grau, mit seiner lieben Frauen, Und unerzogner Zucht das bitter Elend bauen, Bey
Von dem Zuſtande der Poeſie Jhn klaget Jung und Alt, das Lande thut beweinenZwar ihne nicht ſo ſehr, als ſelbſt ſich und die Seinen, Die dieſer Saͤul entſetzt, die dieſen Arm verlohrn, So ihn’n zur Aufenthalt und Rettung war geborn. Sein Kinder und Geſchlecht ſeintwegen hochgeprieſen Geliebt von jedermann, und jedermann gewieſen Sein Grab, das Dapferkeit fuͤrtrefflich zugericht, Erleuchtet durch der Ehr unausloͤſchliches Liecht. Sein Ruhm fuͤllt alle Land: liegt ſchon ſein Leib vergraben Bleibt doch ſein edler Nam an Himmel hoch erhaben, Erhaben an den Thron der wahren Herrlichkeit, Umgeben mit dem Glantz unſterblicher Klarheit. Ein ſolchen huͤbſchen Tod beſchert Gott nur den Frommen: Wer knechtiſch iſt geſinnt, muß unter Herren kommen, Die ihn mit einem Zaum nach ihrem Willen fuͤhrn, Weil er der Freyheit muͤd ſich ſelbſt nicht mag regiern. Seht den verdienten Lohn der Weichling und Verraͤther, Die ſetzen aus dem Gleiß der Redlichkeit der Vaͤter, Die das unſchuldige Blut der Nachkommenheit Verſclaven in das Joch der fremden Dienſtbarkeit. Es iſt zulang gewart, ſie werdens nicht entkommen, Es iſt zu ſpath gewehrt, wanns Hertz ſchon iſt genommen; Wann Wolluſt, Geitz, Haß, Forcht hat dieſe Veſtung ein, All andre Veſtungen gewiß vergeblich ſeyn. O weh des Hertzenleids! o weh des ſchweren Leiden! Wo von dem Weib der Mann, vom Mann das Weib geſcheiden, Wo von den Elteren die zarte Kinderlein, Ein Freund vom anderen verjagt, getrennt muß ſeyn: Wo fremd Unkeuſchheit man muß ihren wuͤſten Willen An ſeinen Toͤchteren und Weibern ſehn erfuͤllen, Darff druͤber ſeufftzen nicht, darff weder ſehn noch hoͤrn, Muß vor Troſtloſigkeit ſich in ſich ſelbſt verzehrn; Darff ſich in ſeinem Creutz mit weinen nicht ergetzen, Darff mit der Freyheit ſich mit keinem Thraͤnen letzen, Wann von ihm weichen will der ungeſchaͤtzte Schatz: Muß leiden, daß ihn reit auch der geringſte Fratz; Und mit dem Rucken dann das ſeinig noch anſehen, Und alſo leer und bloß an Bettelſtabe gehen, Verlaſſen Haus und Hof zuſamt dem Vaterland, Ziehen, da niemand ihm, er niemand iſt bekannt: Mit ſeinen Eltern grau, mit ſeiner lieben Frauen, Und unerzogner Zucht das bitter Elend bauen, Bey
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Von dem Zuſtande der Poeſie
Jhn klaget Jung und Alt, das Lande thut beweinen
Zwar ihne nicht ſo ſehr, als ſelbſt ſich und die Seinen,
Die dieſer Saͤul entſetzt, die dieſen Arm verlohrn,
So ihn’n zur Aufenthalt und Rettung war geborn.
Sein Kinder und Geſchlecht ſeintwegen hochgeprieſen
Geliebt von jedermann, und jedermann gewieſen
Sein Grab, das Dapferkeit fuͤrtrefflich zugericht,
Erleuchtet durch der Ehr unausloͤſchliches Liecht.
Sein Ruhm fuͤllt alle Land: liegt ſchon ſein Leib vergraben
Bleibt doch ſein edler Nam an Himmel hoch erhaben,
Erhaben an den Thron der wahren Herrlichkeit,
Umgeben mit dem Glantz unſterblicher Klarheit.
Ein ſolchen huͤbſchen Tod beſchert Gott nur den Frommen:
Wer knechtiſch iſt geſinnt, muß unter Herren kommen,
Die ihn mit einem Zaum nach ihrem Willen fuͤhrn,
Weil er der Freyheit muͤd ſich ſelbſt nicht mag regiern.
Seht den verdienten Lohn der Weichling und Verraͤther,
Die ſetzen aus dem Gleiß der Redlichkeit der Vaͤter,
Die das unſchuldige Blut der Nachkommenheit
Verſclaven in das Joch der fremden Dienſtbarkeit.
Es iſt zulang gewart, ſie werdens nicht entkommen,
Es iſt zu ſpath gewehrt, wanns Hertz ſchon iſt genommen;
Wann Wolluſt, Geitz, Haß, Forcht hat dieſe Veſtung ein,
All andre Veſtungen gewiß vergeblich ſeyn.
O weh des Hertzenleids! o weh des ſchweren Leiden!
Wo von dem Weib der Mann, vom Mann das Weib geſcheiden,
Wo von den Elteren die zarte Kinderlein,
Ein Freund vom anderen verjagt, getrennt muß ſeyn:
Wo fremd Unkeuſchheit man muß ihren wuͤſten Willen
An ſeinen Toͤchteren und Weibern ſehn erfuͤllen,
Darff druͤber ſeufftzen nicht, darff weder ſehn noch hoͤrn,
Muß vor Troſtloſigkeit ſich in ſich ſelbſt verzehrn;
Darff ſich in ſeinem Creutz mit weinen nicht ergetzen,
Darff mit der Freyheit ſich mit keinem Thraͤnen letzen,
Wann von ihm weichen will der ungeſchaͤtzte Schatz:
Muß leiden, daß ihn reit auch der geringſte Fratz;
Und mit dem Rucken dann das ſeinig noch anſehen,
Und alſo leer und bloß an Bettelſtabe gehen,
Verlaſſen Haus und Hof zuſamt dem Vaterland,
Ziehen, da niemand ihm, er niemand iſt bekannt:
Mit ſeinen Eltern grau, mit ſeiner lieben Frauen,
Und unerzogner Zucht das bitter Elend bauen,
Bey
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