[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Prüffung der Uebersetzung Die Kürze macht mich schwer. Man will natürlich singen, 35.Und sammenordnung und Einrichtung der Materie nach einer ge- wissen Zeichnung und Absicht überhaupt, als auf die be- sondere Form eines Gedichtes sein Absehen gerichtet hat. Dabey aber ist gantz unerhört, daß diese horazische Regel einen Grund an die Hand geben sollte, des Ovidius Bü- cher von den Verwandlungen, als allzu bunt und kauder- welsch durch einander gemischt, zu verwerffen, darum weil darinne wohl etliche hundert Fabeln stehen: Gerade als ob des Aesopus oder Phäders Fabeln darum nichts taugten, weil diese sinnreichen Dichter mehr als eine gedich- tet haben: Da doch eine jede Fabel für sich selbst ein Ganzes ist, obgleich derselben etliche hundert in einem Buche bey- sammen stehen. Was aber das in der neuen Auflage hin- ten angeflickte hämische Urtheil von Miltons Paradies be- langet, welches beynahe das einzige ist, so dem Verfasser in der gantzen Critischen Dichtkunst als eigen zugehöret, so ist dasselbe eine Wirckung von einem gewissen Morbo chronico, der ihn erst seit An. 1740. überfallen hat, und ihm unter- weilen das Gehirn so übel zerrüttet, daß er meynt, er sehe geistlich und weltlich, Christlich und Heidnisch, alt und neu, sehr seltsam durch einander lauffen, ja gar Himmel, Erden und Hölle gantz unter einander vermischt. Auch die- sen Vers hat Hr. von Eckard nicht übel getroffen: Eins wehle, wenn du schreibst, auf eins muß alles gehn. V. 35. Die Kürze macht mich schwer.)
Hier hat Hr. Gottsched Horazens Sinn nicht so fast durch die Uebersetzung erklären, als vielmehr mit einem Exempel erläutern wollen: Es ist auch in der That diese Uebersetzung ziemlich dunckel und zweydeutig: Denn man mögte sie leicht dahin mißdeuten, als ob Hr. Gottsched von einer gar kur- zen Statur, und fast zwergemäßig, dabey aber corpulent und volleibig wäre: wenigstens könnten diejenigen spitzfündi- gen deutschen Leser, welche das bekannte Sprüchlein: Me- cänaten haben allzeit ihre Maronen gefunden, von welschen Castanien verstanden haben, nach ihrer Hermeneu- tick dieses Hemistichium nicht wohl anders aufnehmen. Es Pruͤffung der Ueberſetzung Die Kuͤrze macht mich ſchwer. Man will natuͤrlich ſingen, 35.Und ſammenordnung und Einrichtung der Materie nach einer ge- wiſſen Zeichnung und Abſicht uͤberhaupt, als auf die be- ſondere Form eines Gedichtes ſein Abſehen gerichtet hat. Dabey aber iſt gantz unerhoͤrt, daß dieſe horaziſche Regel einen Grund an die Hand geben ſollte, des Ovidius Buͤ- cher von den Verwandlungen, als allzu bunt und kauder- welſch durch einander gemiſcht, zu verwerffen, darum weil darinne wohl etliche hundert Fabeln ſtehen: Gerade als ob des Aeſopus oder Phaͤders Fabeln darum nichts taugten, weil dieſe ſinnreichen Dichter mehr als eine gedich- tet haben: Da doch eine jede Fabel fuͤr ſich ſelbſt ein Ganzes iſt, obgleich derſelben etliche hundert in einem Buche bey- ſammen ſtehen. Was aber das in der neuen Auflage hin- ten angeflickte haͤmiſche Urtheil von Miltons Paradies be- langet, welches beynahe das einzige iſt, ſo dem Verfaſſer in der gantzen Critiſchen Dichtkunſt als eigen zugehoͤret, ſo iſt daſſelbe eine Wirckung von einem gewiſſen Morbo chronico, der ihn erſt ſeit An. 1740. uͤberfallen hat, und ihm unter- weilen das Gehirn ſo uͤbel zerruͤttet, daß er meynt, er ſehe geiſtlich und weltlich, Chriſtlich und Heidniſch, alt und neu, ſehr ſeltſam durch einander lauffen, ja gar Himmel, Erden und Hoͤlle gantz unter einander vermiſcht. Auch die- ſen Vers hat Hr. von Eckard nicht uͤbel getroffen: Eins wehle, wenn du ſchreibſt, auf eins muß alles gehn. V. 35. Die Kuͤrze macht mich ſchwer.)
Hier hat Hr. Gottſched Horazens Sinn nicht ſo faſt durch die Ueberſetzung erklaͤren, als vielmehr mit einem Exempel erlaͤutern wollen: Es iſt auch in der That dieſe Ueberſetzung ziemlich dunckel und zweydeutig: Denn man moͤgte ſie leicht dahin mißdeuten, als ob Hr. Gottſched von einer gar kur- zen Statur, und faſt zwergemaͤßig, dabey aber corpulent und volleibig waͤre: wenigſtens koͤnnten diejenigen ſpitzfuͤndi- gen deutſchen Leſer, welche das bekannte Spruͤchlein: Me- caͤnaten haben allzeit ihre Maronen gefunden, von welſchen Caſtanien verſtanden haben, nach ihrer Hermeneu- tick dieſes Hemiſtichium nicht wohl anders aufnehmen. Es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0092" n="92"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Pruͤffung der Ueberſetzung</hi> </fw><lb/> <l>Die Kuͤrze macht mich ſchwer<note xml:id="a015" place="foot" next="#a015b"><hi rendition="#fr">V. 35. Die Kuͤrze macht mich ſchwer.)</hi><lb/> Hier hat Hr. Gottſched Horazens Sinn nicht ſo faſt durch<lb/> die Ueberſetzung erklaͤren, als vielmehr mit einem Exempel<lb/> erlaͤutern wollen: Es iſt auch in der That dieſe Ueberſetzung<lb/> ziemlich dunckel und zweydeutig: Denn man moͤgte ſie leicht<lb/> dahin mißdeuten, als ob Hr. Gottſched von einer gar kur-<lb/> zen Statur, und faſt zwergemaͤßig, dabey aber corpulent<lb/> und volleibig waͤre: wenigſtens koͤnnten diejenigen ſpitzfuͤndi-<lb/> gen deutſchen Leſer, welche das bekannte Spruͤchlein: <hi rendition="#fr">Me-<lb/> caͤnaten haben allzeit ihre Maronen gefunden,</hi> von<lb/> welſchen Caſtanien verſtanden haben, nach ihrer Hermeneu-<lb/> tick dieſes Hemiſtichium nicht wohl anders aufnehmen. Es</note>. Man will natuͤrlich ſingen, <note place="right">35.</note></l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/> <note xml:id="a014b" prev="#a014" place="foot">ſammenordnung und Einrichtung der Materie nach einer ge-<lb/> wiſſen Zeichnung und Abſicht uͤberhaupt, als auf die be-<lb/> ſondere Form eines Gedichtes ſein Abſehen gerichtet hat.<lb/> Dabey aber iſt gantz unerhoͤrt, daß dieſe horaziſche Regel<lb/> einen Grund an die Hand geben ſollte, des Ovidius Buͤ-<lb/> cher von den Verwandlungen, als allzu bunt und kauder-<lb/> welſch durch einander gemiſcht, zu verwerffen, darum <hi rendition="#fr">weil<lb/> darinne wohl etliche hundert Fabeln ſtehen:</hi> Gerade<lb/> als ob des Aeſopus oder Phaͤders Fabeln darum nichts<lb/> taugten, weil dieſe ſinnreichen Dichter mehr als eine gedich-<lb/> tet haben: Da doch eine jede Fabel fuͤr ſich ſelbſt ein Ganzes<lb/> iſt, obgleich derſelben etliche hundert in einem Buche bey-<lb/> ſammen ſtehen. Was aber das in der neuen Auflage hin-<lb/> ten angeflickte haͤmiſche Urtheil von Miltons Paradies be-<lb/> langet, welches beynahe das einzige iſt, ſo dem Verfaſſer in<lb/> der gantzen Critiſchen Dichtkunſt als eigen zugehoͤret, ſo iſt<lb/> daſſelbe eine Wirckung von einem gewiſſen <hi rendition="#aq">Morbo chronico,</hi><lb/> der ihn erſt ſeit An. 1740. uͤberfallen hat, und ihm unter-<lb/> weilen das Gehirn ſo uͤbel zerruͤttet, daß er meynt, er ſehe<lb/><hi rendition="#fr">geiſtlich und weltlich, Chriſtlich und Heidniſch, alt und<lb/> neu, ſehr ſeltſam durch einander lauffen,</hi> ja gar Himmel,<lb/> Erden und Hoͤlle gantz unter einander vermiſcht. Auch die-<lb/> ſen Vers hat Hr. von Eckard nicht uͤbel getroffen:<lb/><hi rendition="#fr">Eins wehle, wenn du ſchreibſt, auf eins muß alles gehn.</hi></note><lb/><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0092]
Pruͤffung der Ueberſetzung
Die Kuͤrze macht mich ſchwer . Man will natuͤrlich ſingen,
Und
V. 35. Die Kuͤrze macht mich ſchwer.)
Hier hat Hr. Gottſched Horazens Sinn nicht ſo faſt durch
die Ueberſetzung erklaͤren, als vielmehr mit einem Exempel
erlaͤutern wollen: Es iſt auch in der That dieſe Ueberſetzung
ziemlich dunckel und zweydeutig: Denn man moͤgte ſie leicht
dahin mißdeuten, als ob Hr. Gottſched von einer gar kur-
zen Statur, und faſt zwergemaͤßig, dabey aber corpulent
und volleibig waͤre: wenigſtens koͤnnten diejenigen ſpitzfuͤndi-
gen deutſchen Leſer, welche das bekannte Spruͤchlein: Me-
caͤnaten haben allzeit ihre Maronen gefunden, von
welſchen Caſtanien verſtanden haben, nach ihrer Hermeneu-
tick dieſes Hemiſtichium nicht wohl anders aufnehmen. Es
ſammenordnung und Einrichtung der Materie nach einer ge-
wiſſen Zeichnung und Abſicht uͤberhaupt, als auf die be-
ſondere Form eines Gedichtes ſein Abſehen gerichtet hat.
Dabey aber iſt gantz unerhoͤrt, daß dieſe horaziſche Regel
einen Grund an die Hand geben ſollte, des Ovidius Buͤ-
cher von den Verwandlungen, als allzu bunt und kauder-
welſch durch einander gemiſcht, zu verwerffen, darum weil
darinne wohl etliche hundert Fabeln ſtehen: Gerade
als ob des Aeſopus oder Phaͤders Fabeln darum nichts
taugten, weil dieſe ſinnreichen Dichter mehr als eine gedich-
tet haben: Da doch eine jede Fabel fuͤr ſich ſelbſt ein Ganzes
iſt, obgleich derſelben etliche hundert in einem Buche bey-
ſammen ſtehen. Was aber das in der neuen Auflage hin-
ten angeflickte haͤmiſche Urtheil von Miltons Paradies be-
langet, welches beynahe das einzige iſt, ſo dem Verfaſſer in
der gantzen Critiſchen Dichtkunſt als eigen zugehoͤret, ſo iſt
daſſelbe eine Wirckung von einem gewiſſen Morbo chronico,
der ihn erſt ſeit An. 1740. uͤberfallen hat, und ihm unter-
weilen das Gehirn ſo uͤbel zerruͤttet, daß er meynt, er ſehe
geiſtlich und weltlich, Chriſtlich und Heidniſch, alt und
neu, ſehr ſeltſam durch einander lauffen, ja gar Himmel,
Erden und Hoͤlle gantz unter einander vermiſcht. Auch die-
ſen Vers hat Hr. von Eckard nicht uͤbel getroffen:
Eins wehle, wenn du ſchreibſt, auf eins muß alles gehn.
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