Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

von David.
reigeten Geschichten auch Epische Erzehlungen
seyn, aber nur im kleinen, massen eine jede
eine eigene Fabel ausmachet, und der Poet,
wann er mit einer fertig ist, sein Werck vol-
lendet hat, so daß er die Länge des Epischen
Gedichtes nicht anders erhalten kan, als
wann er etliche derselben hinter einander setzet,
welches ihm sehr leicht ist, gestalt es nur in
seiner Willkühr steht, zehne, zwantzig und noch
mehrere hinter einander zu schreiben, weil ihm
von der Kunst kein Ziel vorgeschrieben ist, und
er eben so wenig an zwanzig, als an zehne ge-
bunden ist. Aber die Eindrücke von allen
diesen Erzehlungen werden um so viel schwächer
seyn, als sie verschiedener, und von mehrern
Arten sind. Wie viel gewisser und nach-
drücklicher trifft der Poet das menschliche Ge-
müthe, der sich keine Zwischengesänge, kei-
ne Neben-Handlungen erlaubt, welche nicht
nothwendige Theile der Haupt-Handlung
seyn; welche man mit desto grösserm Ver-
gnügen liest, je weniger Mühe es uns kostet,
sie zu behalten, und wo das Hertz dem Affect
sich um so viel leichter ergiebt, weil der Ver-
stand nicht beschäfftiget ist, die Umstände, so
denselben erreget haben, aus einander zu le-
sen; endlich wo die Mannigfaltigkeit mit der
Einfaltigkeit verbunden ist. Man hat dann kei-
ne Verwirrung zu befahren, welche das, was

uns

von David.
reigeten Geſchichten auch Epiſche Erzehlungen
ſeyn, aber nur im kleinen, maſſen eine jede
eine eigene Fabel ausmachet, und der Poet,
wann er mit einer fertig iſt, ſein Werck vol-
lendet hat, ſo daß er die Laͤnge des Epiſchen
Gedichtes nicht anders erhalten kan, als
wann er etliche derſelben hinter einander ſetzet,
welches ihm ſehr leicht iſt, geſtalt es nur in
ſeiner Willkuͤhr ſteht, zehne, zwantzig und noch
mehrere hinter einander zu ſchreiben, weil ihm
von der Kunſt kein Ziel vorgeſchrieben iſt, und
er eben ſo wenig an zwanzig, als an zehne ge-
bunden iſt. Aber die Eindruͤcke von allen
dieſen Erzehlungen werden um ſo viel ſchwaͤcher
ſeyn, als ſie verſchiedener, und von mehrern
Arten ſind. Wie viel gewiſſer und nach-
druͤcklicher trifft der Poet das menſchliche Ge-
muͤthe, der ſich keine Zwiſchengeſaͤnge, kei-
ne Neben-Handlungen erlaubt, welche nicht
nothwendige Theile der Haupt-Handlung
ſeyn; welche man mit deſto groͤſſerm Ver-
gnuͤgen lieſt, je weniger Muͤhe es uns koſtet,
ſie zu behalten, und wo das Hertz dem Affect
ſich um ſo viel leichter ergiebt, weil der Ver-
ſtand nicht beſchaͤfftiget iſt, die Umſtaͤnde, ſo
denſelben erreget haben, aus einander zu le-
ſen; endlich wo die Mannigfaltigkeit mit der
Einfaltigkeit verbunden iſt. Man hat dann kei-
ne Verwirrung zu befahren, welche das, was

uns
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="11"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">von David.</hi></hi></fw><lb/>
reigeten Ge&#x017F;chichten auch Epi&#x017F;che Erzehlungen<lb/>
&#x017F;eyn, aber nur im kleinen, ma&#x017F;&#x017F;en eine jede<lb/>
eine eigene Fabel ausmachet, und der Poet,<lb/>
wann er mit einer fertig i&#x017F;t, &#x017F;ein Werck vol-<lb/>
lendet hat, &#x017F;o daß er die La&#x0364;nge des Epi&#x017F;chen<lb/>
Gedichtes nicht anders erhalten kan, als<lb/>
wann er etliche der&#x017F;elben hinter einander &#x017F;etzet,<lb/>
welches ihm &#x017F;ehr leicht i&#x017F;t, ge&#x017F;talt es nur in<lb/>
&#x017F;einer Willku&#x0364;hr &#x017F;teht, zehne, zwantzig und noch<lb/>
mehrere hinter einander zu &#x017F;chreiben, weil ihm<lb/>
von der Kun&#x017F;t kein Ziel vorge&#x017F;chrieben i&#x017F;t, und<lb/>
er eben &#x017F;o wenig an zwanzig, als an zehne ge-<lb/>
bunden i&#x017F;t. Aber die Eindru&#x0364;cke von allen<lb/>
die&#x017F;en Erzehlungen werden um &#x017F;o viel &#x017F;chwa&#x0364;cher<lb/>
&#x017F;eyn, als &#x017F;ie ver&#x017F;chiedener, und von mehrern<lb/>
Arten &#x017F;ind. Wie viel gewi&#x017F;&#x017F;er und nach-<lb/>
dru&#x0364;cklicher trifft der Poet das men&#x017F;chliche Ge-<lb/>
mu&#x0364;the, der &#x017F;ich keine Zwi&#x017F;chenge&#x017F;a&#x0364;nge, kei-<lb/>
ne Neben-Handlungen erlaubt, welche nicht<lb/>
nothwendige Theile der Haupt-Handlung<lb/>
&#x017F;eyn; welche man mit de&#x017F;to gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erm Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen lie&#x017F;t, je weniger Mu&#x0364;he es uns ko&#x017F;tet,<lb/>
&#x017F;ie zu behalten, und wo das Hertz dem Affect<lb/>
&#x017F;ich um &#x017F;o viel leichter ergiebt, weil der Ver-<lb/>
&#x017F;tand nicht be&#x017F;cha&#x0364;fftiget i&#x017F;t, die Um&#x017F;ta&#x0364;nde, &#x017F;o<lb/>
den&#x017F;elben erreget haben, aus einander zu le-<lb/>
&#x017F;en; endlich wo die Mannigfaltigkeit mit der<lb/>
Einfaltigkeit verbunden i&#x017F;t. Man hat dann kei-<lb/>
ne Verwirrung zu befahren, welche das, was<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">uns</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[11/0011] von David. reigeten Geſchichten auch Epiſche Erzehlungen ſeyn, aber nur im kleinen, maſſen eine jede eine eigene Fabel ausmachet, und der Poet, wann er mit einer fertig iſt, ſein Werck vol- lendet hat, ſo daß er die Laͤnge des Epiſchen Gedichtes nicht anders erhalten kan, als wann er etliche derſelben hinter einander ſetzet, welches ihm ſehr leicht iſt, geſtalt es nur in ſeiner Willkuͤhr ſteht, zehne, zwantzig und noch mehrere hinter einander zu ſchreiben, weil ihm von der Kunſt kein Ziel vorgeſchrieben iſt, und er eben ſo wenig an zwanzig, als an zehne ge- bunden iſt. Aber die Eindruͤcke von allen dieſen Erzehlungen werden um ſo viel ſchwaͤcher ſeyn, als ſie verſchiedener, und von mehrern Arten ſind. Wie viel gewiſſer und nach- druͤcklicher trifft der Poet das menſchliche Ge- muͤthe, der ſich keine Zwiſchengeſaͤnge, kei- ne Neben-Handlungen erlaubt, welche nicht nothwendige Theile der Haupt-Handlung ſeyn; welche man mit deſto groͤſſerm Ver- gnuͤgen lieſt, je weniger Muͤhe es uns koſtet, ſie zu behalten, und wo das Hertz dem Affect ſich um ſo viel leichter ergiebt, weil der Ver- ſtand nicht beſchaͤfftiget iſt, die Umſtaͤnde, ſo denſelben erreget haben, aus einander zu le- ſen; endlich wo die Mannigfaltigkeit mit der Einfaltigkeit verbunden iſt. Man hat dann kei- ne Verwirrung zu befahren, welche das, was uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/11
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/11>, abgerufen am 23.11.2024.