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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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von David.
derselben behält, eine Gottlosigkeit begehe,
wenn man sie in den kleinern Umständen er-
gäntzet, vermehret, vermindert, oder sonst ver-
ändert. Nicht erlauben, dergleichen Sachen
darinnen zu verändern, und also alles Erdich-
ten mit denselben untersagen, ist so viel als
den Gebrauch dieser Materien verbieten,
dann wer an die eintzigen absonderlichen Um-
stände gebunden wäre, welche davon in den
Büchern der Könige von Juda und Jsrael auf-
geschrieben sind, der würde kein Poete, sondern
ein Geschichtschreiber seyn. Was das Gedichte
von der Historie im Grunde unterscheidet, ist
dieses, daß der Poet die Sachen betrachtet, nicht
wie sie würcklich geschehen sind, sondern wie sie
hätten geschehen können, so daß er das Auge viel-
mehr auf das Wahrscheinliche überhaupt, als
auf das würckliche Wahre, das in einem beson-
dern Falle begegnet ist, richtet. Demnach
giebt er vor allen Dingen Acht, ob in seiner
Materie, etwann eine Begebenheit sey, die
wofern sie auf eine andere Art geschehen seyn
würde, wahrscheinlicher oder wunderbarer
ausgefallen wäre, und aus dieser oder einer
andern Ursache mehr Ergetzen mit sich gebracht
hätte, und alle diese Begebenheiten, die zu
mehrerm Vergnügen des Lesers auf eine ande-
re Art hätten begegnen können, ändert und
versetzet er ohne Scheue für das Wahre, oder

die

von David.
derſelben behaͤlt, eine Gottloſigkeit begehe,
wenn man ſie in den kleinern Umſtaͤnden er-
gaͤntzet, vermehret, vermindert, oder ſonſt ver-
aͤndert. Nicht erlauben, dergleichen Sachen
darinnen zu veraͤndern, und alſo alles Erdich-
ten mit denſelben unterſagen, iſt ſo viel als
den Gebrauch dieſer Materien verbieten,
dann wer an die eintzigen abſonderlichen Um-
ſtaͤnde gebunden waͤre, welche davon in den
Buͤchern der Koͤnige von Juda und Jſrael auf-
geſchrieben ſind, der wuͤrde kein Poete, ſondern
ein Geſchichtſchreiber ſeyn. Was das Gedichte
von der Hiſtorie im Grunde unterſcheidet, iſt
dieſes, daß der Poet die Sachen betrachtet, nicht
wie ſie wuͤrcklich geſchehen ſind, ſondern wie ſie
haͤtten geſchehen koͤnnen, ſo daß er das Auge viel-
mehr auf das Wahrſcheinliche uͤberhaupt, als
auf das wuͤrckliche Wahre, das in einem beſon-
dern Falle begegnet iſt, richtet. Demnach
giebt er vor allen Dingen Acht, ob in ſeiner
Materie, etwann eine Begebenheit ſey, die
wofern ſie auf eine andere Art geſchehen ſeyn
wuͤrde, wahrſcheinlicher oder wunderbarer
ausgefallen waͤre, und aus dieſer oder einer
andern Urſache mehr Ergetzen mit ſich gebracht
haͤtte, und alle dieſe Begebenheiten, die zu
mehrerm Vergnuͤgen des Leſers auf eine ande-
re Art haͤtten begegnen koͤnnen, aͤndert und
verſetzet er ohne Scheue fuͤr das Wahre, oder

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[15/0015] von David. derſelben behaͤlt, eine Gottloſigkeit begehe, wenn man ſie in den kleinern Umſtaͤnden er- gaͤntzet, vermehret, vermindert, oder ſonſt ver- aͤndert. Nicht erlauben, dergleichen Sachen darinnen zu veraͤndern, und alſo alles Erdich- ten mit denſelben unterſagen, iſt ſo viel als den Gebrauch dieſer Materien verbieten, dann wer an die eintzigen abſonderlichen Um- ſtaͤnde gebunden waͤre, welche davon in den Buͤchern der Koͤnige von Juda und Jſrael auf- geſchrieben ſind, der wuͤrde kein Poete, ſondern ein Geſchichtſchreiber ſeyn. Was das Gedichte von der Hiſtorie im Grunde unterſcheidet, iſt dieſes, daß der Poet die Sachen betrachtet, nicht wie ſie wuͤrcklich geſchehen ſind, ſondern wie ſie haͤtten geſchehen koͤnnen, ſo daß er das Auge viel- mehr auf das Wahrſcheinliche uͤberhaupt, als auf das wuͤrckliche Wahre, das in einem beſon- dern Falle begegnet iſt, richtet. Demnach giebt er vor allen Dingen Acht, ob in ſeiner Materie, etwann eine Begebenheit ſey, die wofern ſie auf eine andere Art geſchehen ſeyn wuͤrde, wahrſcheinlicher oder wunderbarer ausgefallen waͤre, und aus dieſer oder einer andern Urſache mehr Ergetzen mit ſich gebracht haͤtte, und alle dieſe Begebenheiten, die zu mehrerm Vergnuͤgen des Leſers auf eine ande- re Art haͤtten begegnen koͤnnen, aͤndert und verſetzet er ohne Scheue fuͤr das Wahre, oder die

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/15>, abgerufen am 09.11.2024.