[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.Die Geschichte des Davids, Königs in Juda. JCh will die hohen Werck und Lebenslauf des Helden, Der Juda bracht die Kron, besingen und vermelden. Des Königs, dessen Thron man nicht gnug preisen kan, Weil alle Welt von dem schaut ihren Heyland an. Aus seinem Stamme ist der Heyden Licht entstanden, Sein ewig-während Lob verbleibt in allen Landen, Die Nachwelt spricht von ihm, daß für den Hirtenstab Der Höchste ihm den Thron und Königsscepter gab. Er ließ in Gottesfurcht, Geduld, Muth, Güte, blicken, Und kont in jedem Stand, sich wie er solte schicken, 10. Jm Lehramt war er groß, und im Regentenstand, Auch Haus-Stand ordentlich, diß nährte Volck und Land. Sein hoher Wundergeist macht ihn bald zum Propheten, Und seine Lieb zu Gott zum Lehrer der Poeten. Er V. 1. Jch will die hohen Werck und Lebens-Lauf des Helden) [Spaltenumbruch] Der Epische Poet muß sich in Acht nehmen, daß die Quantität Materie, die er sich vornimmt abzuhandeln, nicht so groß sey, daß das Gedicht, wenn er nach- gehends in der Ausführung der Fabel einige Zwischenfabeln unterflechten, und die Sachen, die in ihrer Natur einfältig sind, auszieren und ausbilden will, zu einer ungemessenen und ungeheuren Grösse anwachse; oder daß er, dieses zu vermeiden, genöthiget sey, die Zierrathen und die Ausbildungen der Poesie wegzulassen, die zu einem poeti- schen Wercke erfodert werden, und sich bloß in den Schrancken der einfältigen Historie aufzuhal- ten. Jn diese Gefahr begiebt sich [Spaltenumbruch] ein Poet, der das gantze Leben ei- nes Helden zur Materie seiner Arbeit nimmt, denn da es an grossen und verschiedenen Bege- benheiten so reich ist, muß das Gedichte eine übermässige Grösse bekommen, wann er eine jede von diesen Handlungen nach der Pflicht eines Poeten mit ihren Ursachen, Fortgang und Ende ausführen, und darbey die Zier- rathen der Poesie anbringen will. Und wie wird in diesem Fall das Gedächtniß zureichen mögen, daß es alle diese mannigfaltigen Dinge, wie sie in ihrem versteck- ten Zusammenhange vereiniget sind, behalten könne, ohne sich zu verirren? B 2
Die Geſchichte des Davids, Koͤnigs in Juda. JCh will die hohen Werck und Lebenslauf des Helden, Der Juda bracht die Kron, beſingen und vermelden. Des Koͤnigs, deſſen Thron man nicht gnug preiſen kan, Weil alle Welt von dem ſchaut ihren Heyland an. Aus ſeinem Stamme iſt der Heyden Licht entſtanden, Sein ewig-waͤhrend Lob verbleibt in allen Landen, Die Nachwelt ſpricht von ihm, daß fuͤr den Hirtenſtab Der Hoͤchſte ihm den Thron und Koͤnigsſcepter gab. Er ließ in Gottesfurcht, Geduld, Muth, Guͤte, blicken, Und kont in jedem Stand, ſich wie er ſolte ſchicken, 10. Jm Lehramt war er groß, und im Regentenſtand, Auch Haus-Stand ordentlich, diß naͤhrte Volck und Land. Sein hoher Wundergeiſt macht ihn bald zum Propheten, Und ſeine Lieb zu Gott zum Lehrer der Poeten. Er V. 1. Jch will die hohen Werck und Lebens-Lauf des Helden) [Spaltenumbruch] Der Epiſche Poet muß ſich in Acht nehmen, daß die Quantitaͤt Materie, die er ſich vornimmt abzuhandeln, nicht ſo groß ſey, daß das Gedicht, wenn er nach- gehends in der Ausfuͤhrung der Fabel einige Zwiſchenfabeln unterflechten, und die Sachen, die in ihrer Natur einfaͤltig ſind, auszieren und ausbilden will, zu einer ungemeſſenen und ungeheuren Groͤſſe anwachſe; oder daß er, dieſes zu vermeiden, genoͤthiget ſey, die Zierrathen und die Ausbildungen der Poeſie wegzulaſſen, die zu einem poeti- ſchen Wercke erfodert werden, und ſich bloß in den Schrancken der einfaͤltigen Hiſtorie aufzuhal- ten. Jn dieſe Gefahr begiebt ſich [Spaltenumbruch] ein Poet, der das gantze Leben ei- nes Helden zur Materie ſeiner Arbeit nimmt, denn da es an groſſen und verſchiedenen Bege- benheiten ſo reich iſt, muß das Gedichte eine uͤbermaͤſſige Groͤſſe bekommen, wann er eine jede von dieſen Handlungen nach der Pflicht eines Poeten mit ihren Urſachen, Fortgang und Ende ausfuͤhren, und darbey die Zier- rathen der Poeſie anbringen will. Und wie wird in dieſem Fall das Gedaͤchtniß zureichen moͤgen, daß es alle dieſe mannigfaltigen Dinge, wie ſie in ihrem verſteck- ten Zuſammenhange vereiniget ſind, behalten koͤnne, ohne ſich zu verirren? B 2
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Die Geſchichte des Davids,
Koͤnigs in Juda.
JCh will die hohen Werck und Lebenslauf des Helden,
Der Juda bracht die Kron, beſingen und vermelden.
Des Koͤnigs, deſſen Thron man nicht gnug preiſen kan,
Weil alle Welt von dem ſchaut ihren Heyland an.
Aus ſeinem Stamme iſt der Heyden Licht entſtanden,
Sein ewig-waͤhrend Lob verbleibt in allen Landen,
Die Nachwelt ſpricht von ihm, daß fuͤr den Hirtenſtab
Der Hoͤchſte ihm den Thron und Koͤnigsſcepter gab.
Er ließ in Gottesfurcht, Geduld, Muth, Guͤte, blicken,
Und kont in jedem Stand, ſich wie er ſolte ſchicken,
Jm Lehramt war er groß, und im Regentenſtand,
Auch Haus-Stand ordentlich, diß naͤhrte Volck und Land.
Sein hoher Wundergeiſt macht ihn bald zum Propheten,
Und ſeine Lieb zu Gott zum Lehrer der Poeten.
Er
V. 1. Jch will die hohen Werck und Lebens-Lauf des Helden)
Der Epiſche Poet muß ſich in
Acht nehmen, daß die Quantitaͤt
Materie, die er ſich vornimmt
abzuhandeln, nicht ſo groß ſey,
daß das Gedicht, wenn er nach-
gehends in der Ausfuͤhrung der
Fabel einige Zwiſchenfabeln
unterflechten, und die Sachen,
die in ihrer Natur einfaͤltig ſind,
auszieren und ausbilden will,
zu einer ungemeſſenen und
ungeheuren Groͤſſe anwachſe;
oder daß er, dieſes zu vermeiden,
genoͤthiget ſey, die Zierrathen
und die Ausbildungen der Poeſie
wegzulaſſen, die zu einem poeti-
ſchen Wercke erfodert werden,
und ſich bloß in den Schrancken
der einfaͤltigen Hiſtorie aufzuhal-
ten. Jn dieſe Gefahr begiebt ſich
ein Poet, der das gantze Leben ei-
nes Helden zur Materie ſeiner
Arbeit nimmt, denn da es an
groſſen und verſchiedenen Bege-
benheiten ſo reich iſt, muß das
Gedichte eine uͤbermaͤſſige Groͤſſe
bekommen, wann er eine jede von
dieſen Handlungen nach der
Pflicht eines Poeten mit ihren
Urſachen, Fortgang und Ende
ausfuͤhren, und darbey die Zier-
rathen der Poeſie anbringen will.
Und wie wird in dieſem Fall das
Gedaͤchtniß zureichen moͤgen,
daß es alle dieſe mannigfaltigen
Dinge, wie ſie in ihrem verſteck-
ten Zuſammenhange vereiniget
ſind, behalten koͤnne, ohne ſich
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