[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.Versuch eines Gedichtes von David. Und willst doch solches nicht. Bekennt ob euren Sinn,Jch, wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin? Es schwiegen hiezu still die beyde Printzeßinnen, Und hatte Thalmais geredt wie ihre Sinnen Sich fanden innerlich, ohn daß der schöne Mund Entdecken wollte noch des innern Hertzens Grund.640. Dann Merob drauf bestund den Adriel zu meiden; Und Michal wollt ihr Hertz gantz von dem David scheiden; Doch war es all umsonst, ist gleich der Fürsatz da, Spricht dennoch nicht ihr Hertz zu diesem Willen ja. Weil nun Thalmais nicht so bald noch konnt ersinnen Ein Mittel, ihrer Sorg und Plage zu entrinnen, Weist sie sich auf die Zeit, die könnte da allein Jn allem was uns quält am besten dienlich seyn. Und soll der Jonathan noch nichts hievon erfahren, Weil sie wie grosse Freund er und der David waren,650. Erwogen nach Gebühr. Nun wie in dieser Quaal, Da Liebe, Haß und Neid sich wiese überall, Sie waren eingeschränckt, kam Post die Printzen kämen, Worauf sie beyderseits ein anders Wesen nehmen. Sie schliessen ihre Pein in ihrer Sinnen Schrein, Und sehen fröhlig aus, da sie doch traurig seyn. V. 637. 638. - - - - Bekennt ob euern Sinn
Jch wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin.) [Spaltenumbruch] Jch habe von der Sprache und dem Sylbenmasse dieses Gedich- tes nichts gesagt, weil das nicht zu meinem Vorhaben gehörete. Dieses erstreckete sich nicht wei- ter, als auf die Absicht, die Er- findungen, die Anlage und Ver- fassung. Jn den äusserlichen Dingen könnte die Nachlässigkeit schwerlich grösser seyn. Zum Exempel, in der verworrenen Wortfügung, in den verstellten Deelinierfällen, in den ausgelas- senen Hülffszeitwörtern, in den abgebissenen Buchstaben, in dem Versäumniß der Abschnitte, in Cacophonien, in dem ungleichen Klange des Reimkuppels. Dieses alles habe ich dem Verfasser über- sehen, und das Auge davon auf [Spaltenumbruch] das innerliche Wesen seines Ge- dichtes abgelencket. Alles zeiget uns, daß man uns seine Arbeit ge- liefert hat, wie sie nach der ersten Erfindung verfasset, und zu Pa- peir gebracht worden, wo der erste Ausdruck, der in den Sinn gekom- men, stehen geblieben. Darum müssen wir auch die Kunst und die Geschicklichkeit des Verfassers nicht nach diesem unreifen und unausgearbeiteten Anfange beur- theilen. Mir hat er indessen An- laß gegeben, von verschiedenen Sachen, die beym Epischen Ge- dichte zu beobachten sind, meine Gedancken zu erklären, und mit Exempeln, die zwar a contrario hergenommen sind, vor Augen zu legen. Verſuch eines Gedichtes von David. Und willſt doch ſolches nicht. Bekennt ob euren Sinn,Jch, wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin? Es ſchwiegen hiezu ſtill die beyde Printzeßinnen, Und hatte Thalmais geredt wie ihre Sinnen Sich fanden innerlich, ohn daß der ſchoͤne Mund Entdecken wollte noch des innern Hertzens Grund.640. Dann Merob drauf beſtund den Adriel zu meiden; Und Michal wollt ihr Hertz gantz von dem David ſcheiden; Doch war es all umſonſt, iſt gleich der Fuͤrſatz da, Spricht dennoch nicht ihr Hertz zu dieſem Willen ja. Weil nun Thalmais nicht ſo bald noch konnt erſinnen Ein Mittel, ihrer Sorg und Plage zu entrinnen, Weiſt ſie ſich auf die Zeit, die koͤnnte da allein Jn allem was uns quaͤlt am beſten dienlich ſeyn. Und ſoll der Jonathan noch nichts hievon erfahren, Weil ſie wie groſſe Freund er und der David waren,650. Erwogen nach Gebuͤhr. Nun wie in dieſer Quaal, Da Liebe, Haß und Neid ſich wieſe uͤberall, Sie waren eingeſchraͤnckt, kam Poſt die Printzen kaͤmen, Worauf ſie beyderſeits ein anders Weſen nehmen. Sie ſchlieſſen ihre Pein in ihrer Sinnen Schrein, Und ſehen froͤhlig aus, da ſie doch traurig ſeyn. V. 637. 638. ‒ ‒ ‒ ‒ Bekennt ob euern Sinn
Jch wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin.) [Spaltenumbruch] Jch habe von der Sprache und dem Sylbenmaſſe dieſes Gedich- tes nichts geſagt, weil das nicht zu meinem Vorhaben gehoͤrete. Dieſes erſtreckete ſich nicht wei- ter, als auf die Abſicht, die Er- findungen, die Anlage und Ver- faſſung. Jn den aͤuſſerlichen Dingen koͤnnte die Nachlaͤſſigkeit ſchwerlich groͤſſer ſeyn. Zum Exempel, in der verworrenen Wortfuͤgung, in den verſtellten Deelinierfaͤllen, in den ausgelaſ- ſenen Huͤlffszeitwoͤrtern, in den abgebiſſenen Buchſtaben, in dem Verſaͤumniß der Abſchnitte, in Cacophonien, in dem ungleichen Klange des Reimkuppels. Dieſes alles habe ich dem Verfaſſer uͤber- ſehen, und das Auge davon auf [Spaltenumbruch] das innerliche Weſen ſeines Ge- dichtes abgelencket. Alles zeiget uns, daß man uns ſeine Arbeit ge- liefert hat, wie ſie nach der erſten Erfindung verfaſſet, und zu Pa- peir gebracht worden, wo der erſte Ausdruck, der in den Sinn gekom- men, ſtehen geblieben. Darum muͤſſen wir auch die Kunſt und die Geſchicklichkeit des Verfaſſers nicht nach dieſem unreifen und unausgearbeiteten Anfange beur- theilen. Mir hat er indeſſen An- laß gegeben, von verſchiedenen Sachen, die beym Epiſchen Ge- dichte zu beobachten ſind, meine Gedancken zu erklaͤren, und mit Exempeln, die zwar a contrario hergenommen ſind, vor Augen zu legen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0084" n="84"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Verſuch eines Gedichtes von David.</hi> </fw><lb/> <l>Und willſt doch ſolches nicht. Bekennt ob euren Sinn,<note place="foot">V. 637. 638. ‒ ‒ ‒ ‒ Bekennt ob euern Sinn<lb/> Jch wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin.)<lb/><cb/> Jch habe von der Sprache und<lb/> dem Sylbenmaſſe dieſes Gedich-<lb/> tes nichts geſagt, weil das nicht<lb/> zu meinem Vorhaben gehoͤrete.<lb/> Dieſes erſtreckete ſich nicht wei-<lb/> ter, als auf die Abſicht, die Er-<lb/> findungen, die Anlage und Ver-<lb/> faſſung. Jn den aͤuſſerlichen<lb/> Dingen koͤnnte die Nachlaͤſſigkeit<lb/> ſchwerlich groͤſſer ſeyn. Zum<lb/> Exempel, in der verworrenen<lb/> Wortfuͤgung, in den verſtellten<lb/> Deelinierfaͤllen, in den ausgelaſ-<lb/> ſenen Huͤlffszeitwoͤrtern, in den<lb/> abgebiſſenen Buchſtaben, in dem<lb/> Verſaͤumniß der Abſchnitte, in<lb/> Cacophonien, in dem ungleichen<lb/> Klange des Reimkuppels. Dieſes<lb/> alles habe ich dem Verfaſſer uͤber-<lb/> ſehen, und das Auge davon auf<lb/><cb/> das innerliche Weſen ſeines Ge-<lb/> dichtes abgelencket. Alles zeiget<lb/> uns, daß man uns ſeine Arbeit ge-<lb/> liefert hat, wie ſie nach der erſten<lb/> Erfindung verfaſſet, und zu Pa-<lb/> peir gebracht worden, wo der erſte<lb/> Ausdruck, der in den Sinn gekom-<lb/> men, ſtehen geblieben. Darum<lb/> muͤſſen wir auch die Kunſt und<lb/> die Geſchicklichkeit des Verfaſſers<lb/> nicht nach dieſem unreifen und<lb/> unausgearbeiteten Anfange beur-<lb/> theilen. Mir hat er indeſſen An-<lb/> laß gegeben, von verſchiedenen<lb/> Sachen, die beym Epiſchen Ge-<lb/> dichte zu beobachten ſind, meine<lb/> Gedancken zu erklaͤren, und mit<lb/> Exempeln, die zwar <hi rendition="#aq">a contrario</hi><lb/> hergenommen ſind, vor Augen<lb/> zu legen.</note></l><lb/> <l>Jch, wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin?</l><lb/> <l>Es ſchwiegen hiezu ſtill die beyde Printzeßinnen,</l><lb/> <l>Und hatte Thalmais geredt wie ihre Sinnen</l><lb/> <l>Sich fanden innerlich, ohn daß der ſchoͤne Mund</l><lb/> <l>Entdecken wollte noch des innern Hertzens Grund.<note place="right">640.</note></l><lb/> <l>Dann Merob drauf beſtund den Adriel zu meiden;</l><lb/> <l>Und Michal wollt ihr Hertz gantz von dem David ſcheiden;</l><lb/> <l>Doch war es all umſonſt, iſt gleich der Fuͤrſatz da,</l><lb/> <l>Spricht dennoch nicht ihr Hertz zu dieſem Willen ja.</l><lb/> <l>Weil nun Thalmais nicht ſo bald noch konnt erſinnen</l><lb/> <l>Ein Mittel, ihrer Sorg und Plage zu entrinnen,</l><lb/> <l>Weiſt ſie ſich auf die Zeit, die koͤnnte da allein</l><lb/> <l>Jn allem was uns quaͤlt am beſten dienlich ſeyn.</l><lb/> <l>Und ſoll der Jonathan noch nichts hievon erfahren,</l><lb/> <l>Weil ſie wie groſſe Freund er und der David waren,<note place="right">650.</note></l><lb/> <l>Erwogen nach Gebuͤhr. Nun wie in dieſer Quaal,</l><lb/> <l>Da Liebe, Haß und Neid ſich wieſe uͤberall,</l><lb/> <l>Sie waren eingeſchraͤnckt, kam Poſt die Printzen kaͤmen,</l><lb/> <l>Worauf ſie beyderſeits ein anders Weſen nehmen.</l><lb/> <l>Sie ſchlieſſen ihre Pein in ihrer Sinnen Schrein,</l><lb/> <l>Und ſehen froͤhlig aus, da ſie doch traurig ſeyn.</l> </lg><lb/> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [84/0084]
Verſuch eines Gedichtes von David.
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Jch, wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin?
Es ſchwiegen hiezu ſtill die beyde Printzeßinnen,
Und hatte Thalmais geredt wie ihre Sinnen
Sich fanden innerlich, ohn daß der ſchoͤne Mund
Entdecken wollte noch des innern Hertzens Grund.
Dann Merob drauf beſtund den Adriel zu meiden;
Und Michal wollt ihr Hertz gantz von dem David ſcheiden;
Doch war es all umſonſt, iſt gleich der Fuͤrſatz da,
Spricht dennoch nicht ihr Hertz zu dieſem Willen ja.
Weil nun Thalmais nicht ſo bald noch konnt erſinnen
Ein Mittel, ihrer Sorg und Plage zu entrinnen,
Weiſt ſie ſich auf die Zeit, die koͤnnte da allein
Jn allem was uns quaͤlt am beſten dienlich ſeyn.
Und ſoll der Jonathan noch nichts hievon erfahren,
Weil ſie wie groſſe Freund er und der David waren,
Erwogen nach Gebuͤhr. Nun wie in dieſer Quaal,
Da Liebe, Haß und Neid ſich wieſe uͤberall,
Sie waren eingeſchraͤnckt, kam Poſt die Printzen kaͤmen,
Worauf ſie beyderſeits ein anders Weſen nehmen.
Sie ſchlieſſen ihre Pein in ihrer Sinnen Schrein,
Und ſehen froͤhlig aus, da ſie doch traurig ſeyn.
V. 637. 638. ‒ ‒ ‒ ‒ Bekennt ob euern Sinn
Jch wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin.)
Jch habe von der Sprache und
dem Sylbenmaſſe dieſes Gedich-
tes nichts geſagt, weil das nicht
zu meinem Vorhaben gehoͤrete.
Dieſes erſtreckete ſich nicht wei-
ter, als auf die Abſicht, die Er-
findungen, die Anlage und Ver-
faſſung. Jn den aͤuſſerlichen
Dingen koͤnnte die Nachlaͤſſigkeit
ſchwerlich groͤſſer ſeyn. Zum
Exempel, in der verworrenen
Wortfuͤgung, in den verſtellten
Deelinierfaͤllen, in den ausgelaſ-
ſenen Huͤlffszeitwoͤrtern, in den
abgebiſſenen Buchſtaben, in dem
Verſaͤumniß der Abſchnitte, in
Cacophonien, in dem ungleichen
Klange des Reimkuppels. Dieſes
alles habe ich dem Verfaſſer uͤber-
ſehen, und das Auge davon auf
das innerliche Weſen ſeines Ge-
dichtes abgelencket. Alles zeiget
uns, daß man uns ſeine Arbeit ge-
liefert hat, wie ſie nach der erſten
Erfindung verfaſſet, und zu Pa-
peir gebracht worden, wo der erſte
Ausdruck, der in den Sinn gekom-
men, ſtehen geblieben. Darum
muͤſſen wir auch die Kunſt und
die Geſchicklichkeit des Verfaſſers
nicht nach dieſem unreifen und
unausgearbeiteten Anfange beur-
theilen. Mir hat er indeſſen An-
laß gegeben, von verſchiedenen
Sachen, die beym Epiſchen Ge-
dichte zu beobachten ſind, meine
Gedancken zu erklaͤren, und mit
Exempeln, die zwar a contrario
hergenommen ſind, vor Augen
zu legen.
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