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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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an die d. Ges. von Greifswalde.
"wie behutsem ein Dichter seyn müsse, den
"Wercken der Kunst Verstand und Rede bey-
"zulegen."

Jch traue euch mehr Verstand zu,
als daß ich nöthig haben sollte, euch weitläuftig
zu erklären, was für ein Unterschied zwischen der
blossen Beschreibung eines Gemähldes, und
zwischen einer Fabel, obwalte; Die Beschrei-
bung darf zum Lob der feinen Kunst des Mah-
lers oder Giessers ohne Abbruch der Wahr-
scheinlichkeit, dem Gemählde selbst zuschreiben,
was immer ein aufmercksamer Beschauer dar-
aus lernen kan, denn so ist nicht mehr in effec-
tu
als in causa: Aber die Fabel ist eine Geschich-
te, sie will, daß man sich die Sachen einbilde,
als ob sie wircklich geschehen wären; wenn man
nun dichtet, daß ein Künstler seinem Wercke
wircklich Verstand und Leben mitgetheilet, wer
will sich solches als wircklich geschehen einbilden
können? Zugeschweigen, daß die an angezoge-
nem Orte von Hrn. Breitingern eingeräumte
Freyheit allen denjenigen Kunstwercken, die als
Emblemata angesehen werden, und aufmercksa-
men Beschauern einen heilsamen Unterricht ge-
ben können, Verstand und Rede beyzulegen,
eben dienet, den Homer vollkommen zu rechtfer-
tigen. Was endlich den Beyfall Virgils, auf
den ihr euch beruffet, angehet, so beruhet der-
selbe auf einem so seichten Grunde, daß ich mich
dabey aufzuhalten, und meine Zeit darmit zu
verderben, mich recht von Hertzen schämen
würde.

H. Auf
D 3
an die d. Geſ. von Greifswalde.
„wie behutſem ein Dichter ſeyn muͤſſe, den
„Wercken der Kunſt Verſtand und Rede bey-
„zulegen.„

Jch traue euch mehr Verſtand zu,
als daß ich noͤthig haben ſollte, euch weitlaͤuftig
zu erklaͤren, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen der
bloſſen Beſchreibung eines Gemaͤhldes, und
zwiſchen einer Fabel, obwalte; Die Beſchrei-
bung darf zum Lob der feinen Kunſt des Mah-
lers oder Gieſſers ohne Abbruch der Wahr-
ſcheinlichkeit, dem Gemaͤhlde ſelbſt zuſchreiben,
was immer ein aufmerckſamer Beſchauer dar-
aus lernen kan, denn ſo iſt nicht mehr in effec-
tu
als in cauſa: Aber die Fabel iſt eine Geſchich-
te, ſie will, daß man ſich die Sachen einbilde,
als ob ſie wircklich geſchehen waͤren; wenn man
nun dichtet, daß ein Kuͤnſtler ſeinem Wercke
wircklich Verſtand und Leben mitgetheilet, wer
will ſich ſolches als wircklich geſchehen einbilden
koͤnnen? Zugeſchweigen, daß die an angezoge-
nem Orte von Hrn. Breitingern eingeraͤumte
Freyheit allen denjenigen Kunſtwercken, die als
Emblemata angeſehen werden, und aufmerckſa-
men Beſchauern einen heilſamen Unterricht ge-
ben koͤnnen, Verſtand und Rede beyzulegen,
eben dienet, den Homer vollkommen zu rechtfer-
tigen. Was endlich den Beyfall Virgils, auf
den ihr euch beruffet, angehet, ſo beruhet der-
ſelbe auf einem ſo ſeichten Grunde, daß ich mich
dabey aufzuhalten, und meine Zeit darmit zu
verderben, mich recht von Hertzen ſchaͤmen
wuͤrde.

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D 3
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[53/0055] an die d. Geſ. von Greifswalde. „wie behutſem ein Dichter ſeyn muͤſſe, den „Wercken der Kunſt Verſtand und Rede bey- „zulegen.„ Jch traue euch mehr Verſtand zu, als daß ich noͤthig haben ſollte, euch weitlaͤuftig zu erklaͤren, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen der bloſſen Beſchreibung eines Gemaͤhldes, und zwiſchen einer Fabel, obwalte; Die Beſchrei- bung darf zum Lob der feinen Kunſt des Mah- lers oder Gieſſers ohne Abbruch der Wahr- ſcheinlichkeit, dem Gemaͤhlde ſelbſt zuſchreiben, was immer ein aufmerckſamer Beſchauer dar- aus lernen kan, denn ſo iſt nicht mehr in effec- tu als in cauſa: Aber die Fabel iſt eine Geſchich- te, ſie will, daß man ſich die Sachen einbilde, als ob ſie wircklich geſchehen waͤren; wenn man nun dichtet, daß ein Kuͤnſtler ſeinem Wercke wircklich Verſtand und Leben mitgetheilet, wer will ſich ſolches als wircklich geſchehen einbilden koͤnnen? Zugeſchweigen, daß die an angezoge- nem Orte von Hrn. Breitingern eingeraͤumte Freyheit allen denjenigen Kunſtwercken, die als Emblemata angeſehen werden, und aufmerckſa- men Beſchauern einen heilſamen Unterricht ge- ben koͤnnen, Verſtand und Rede beyzulegen, eben dienet, den Homer vollkommen zu rechtfer- tigen. Was endlich den Beyfall Virgils, auf den ihr euch beruffet, angehet, ſo beruhet der- ſelbe auf einem ſo ſeichten Grunde, daß ich mich dabey aufzuhalten, und meine Zeit darmit zu verderben, mich recht von Hertzen ſchaͤmen wuͤrde. H. Auf D 3

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/55>, abgerufen am 18.05.2024.