Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.

Bild:
<< vorherige Seite
Nachrichten
von Critischen Geschichten.

ES hatte sich ein Gerüchte ausgebreitet, daß
der berühmte Profess. von Leipzig, der sonst
gewohnt war zu rühmen, daß die Deut-
schen erst seit 13. Jahren, seit nemlich seine critische
Dichtkunst zum Vorschein gekommen, das wahre
Wesen der Poesie haben kennen lernen, endlich
den Sieg über sein hochmüthiges Hertz erhalten
hätte, welches ihn bisdahin vermocht hatte, daß
er sich gegen die deutlichsten Lehren der Critik und
das gründlichste Gespötte der Satyre verhärtete.
Er hätte, hieß es, der Wahrheit, die er öfters
erkannt, ungeachtet er wider sie zu Felde gegangen
wäre, die Ehre gegeben, und öffentlich vor Freun-
den und Feinden bekennt, daß er das Unglück ge-
habt hätte, seinen Geschmack, den er zufälliger
Weise angenommen, nach der Hand, da er ihn
an dem Probiersteine der Untersuchung geprüffet,
vor unrichtig und betrüglich zu erkennen; die Dresd-
nischen Nachrichten von gelehrten Sachen, der
Hamburgische Correspondent, die Zürcherischen
Sammlungen von critischen Schriften hätten in
allen den Beschuldigungen, so sie gegen ihn geführt,
allerdings recht, seine Schüler, denen er iezo die
Erlaubniß gäbe, diese Schriften zu lesen, würden
es bey dem kleinsten Lichte Verstandes selber wahr-
nehmen. Man fügte hinzu, er würde mit näch-
stem sein leztes Buch unter die Presse legen, und

dieses
F 2
Nachrichten
von Critiſchen Geſchichten.

ES hatte ſich ein Geruͤchte ausgebreitet, daß
der beruͤhmte Profeſſ. von Leipzig, der ſonſt
gewohnt war zu ruͤhmen, daß die Deut-
ſchen erſt ſeit 13. Jahren, ſeit nemlich ſeine critiſche
Dichtkunſt zum Vorſchein gekommen, das wahre
Weſen der Poeſie haben kennen lernen, endlich
den Sieg uͤber ſein hochmuͤthiges Hertz erhalten
haͤtte, welches ihn bisdahin vermocht hatte, daß
er ſich gegen die deutlichſten Lehren der Critik und
das gruͤndlichſte Geſpoͤtte der Satyre verhaͤrtete.
Er haͤtte, hieß es, der Wahrheit, die er oͤfters
erkannt, ungeachtet er wider ſie zu Felde gegangen
waͤre, die Ehre gegeben, und oͤffentlich vor Freun-
den und Feinden bekennt, daß er das Ungluͤck ge-
habt haͤtte, ſeinen Geſchmack, den er zufaͤlliger
Weiſe angenommen, nach der Hand, da er ihn
an dem Probierſteine der Unterſuchung gepruͤffet,
vor unrichtig und betruͤglich zu erkennen; die Dresd-
niſchen Nachrichten von gelehrten Sachen, der
Hamburgiſche Correſpondent, die Zuͤrcheriſchen
Sammlungen von critiſchen Schriften haͤtten in
allen den Beſchuldigungen, ſo ſie gegen ihn gefuͤhrt,
allerdings recht, ſeine Schuͤler, denen er iezo die
Erlaubniß gaͤbe, dieſe Schriften zu leſen, wuͤrden
es bey dem kleinſten Lichte Verſtandes ſelber wahr-
nehmen. Man fuͤgte hinzu, er wuͤrde mit naͤch-
ſtem ſein leztes Buch unter die Preſſe legen, und

dieſes
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0085" n="83"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Nachrichten</hi><lb/>
von Criti&#x017F;chen Ge&#x017F;chichten.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>S hatte &#x017F;ich ein Geru&#x0364;chte ausgebreitet, daß<lb/>
der beru&#x0364;hmte Profe&#x017F;&#x017F;. von Leipzig, der &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
gewohnt war zu ru&#x0364;hmen, daß die Deut-<lb/>
&#x017F;chen er&#x017F;t &#x017F;eit 13. Jahren, &#x017F;eit nemlich &#x017F;eine criti&#x017F;che<lb/>
Dichtkun&#x017F;t zum Vor&#x017F;chein gekommen, das wahre<lb/>
We&#x017F;en der Poe&#x017F;ie haben kennen lernen, endlich<lb/>
den Sieg u&#x0364;ber &#x017F;ein hochmu&#x0364;thiges Hertz erhalten<lb/>
ha&#x0364;tte, welches ihn bisdahin vermocht hatte, daß<lb/>
er &#x017F;ich gegen die deutlich&#x017F;ten Lehren der Critik und<lb/>
das gru&#x0364;ndlich&#x017F;te Ge&#x017F;po&#x0364;tte der Satyre verha&#x0364;rtete.<lb/>
Er ha&#x0364;tte, hieß es, der Wahrheit, die er o&#x0364;fters<lb/>
erkannt, ungeachtet er wider &#x017F;ie zu Felde gegangen<lb/>
wa&#x0364;re, die Ehre gegeben, und o&#x0364;ffentlich vor Freun-<lb/>
den und Feinden bekennt, daß er das Unglu&#x0364;ck ge-<lb/>
habt ha&#x0364;tte, &#x017F;einen Ge&#x017F;chmack, den er zufa&#x0364;lliger<lb/>
Wei&#x017F;e angenommen, nach der Hand, da er ihn<lb/>
an dem Probier&#x017F;teine der Unter&#x017F;uchung gepru&#x0364;ffet,<lb/>
vor unrichtig und betru&#x0364;glich zu erkennen; die Dresd-<lb/>
ni&#x017F;chen Nachrichten von gelehrten Sachen, der<lb/>
Hamburgi&#x017F;che Corre&#x017F;pondent, die Zu&#x0364;rcheri&#x017F;chen<lb/>
Sammlungen von criti&#x017F;chen Schriften ha&#x0364;tten in<lb/>
allen den Be&#x017F;chuldigungen, &#x017F;o &#x017F;ie gegen ihn gefu&#x0364;hrt,<lb/>
allerdings recht, &#x017F;eine Schu&#x0364;ler, denen er iezo die<lb/>
Erlaubniß ga&#x0364;be, die&#x017F;e Schriften zu le&#x017F;en, wu&#x0364;rden<lb/>
es bey dem klein&#x017F;ten Lichte Ver&#x017F;tandes &#x017F;elber wahr-<lb/>
nehmen. Man fu&#x0364;gte hinzu, er wu&#x0364;rde mit na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;tem &#x017F;ein leztes Buch unter die Pre&#x017F;&#x017F;e legen, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">die&#x017F;es</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0085] Nachrichten von Critiſchen Geſchichten. ES hatte ſich ein Geruͤchte ausgebreitet, daß der beruͤhmte Profeſſ. von Leipzig, der ſonſt gewohnt war zu ruͤhmen, daß die Deut- ſchen erſt ſeit 13. Jahren, ſeit nemlich ſeine critiſche Dichtkunſt zum Vorſchein gekommen, das wahre Weſen der Poeſie haben kennen lernen, endlich den Sieg uͤber ſein hochmuͤthiges Hertz erhalten haͤtte, welches ihn bisdahin vermocht hatte, daß er ſich gegen die deutlichſten Lehren der Critik und das gruͤndlichſte Geſpoͤtte der Satyre verhaͤrtete. Er haͤtte, hieß es, der Wahrheit, die er oͤfters erkannt, ungeachtet er wider ſie zu Felde gegangen waͤre, die Ehre gegeben, und oͤffentlich vor Freun- den und Feinden bekennt, daß er das Ungluͤck ge- habt haͤtte, ſeinen Geſchmack, den er zufaͤlliger Weiſe angenommen, nach der Hand, da er ihn an dem Probierſteine der Unterſuchung gepruͤffet, vor unrichtig und betruͤglich zu erkennen; die Dresd- niſchen Nachrichten von gelehrten Sachen, der Hamburgiſche Correſpondent, die Zuͤrcheriſchen Sammlungen von critiſchen Schriften haͤtten in allen den Beſchuldigungen, ſo ſie gegen ihn gefuͤhrt, allerdings recht, ſeine Schuͤler, denen er iezo die Erlaubniß gaͤbe, dieſe Schriften zu leſen, wuͤrden es bey dem kleinſten Lichte Verſtandes ſelber wahr- nehmen. Man fuͤgte hinzu, er wuͤrde mit naͤch- ſtem ſein leztes Buch unter die Preſſe legen, und dieſes F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/85
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/85>, abgerufen am 23.11.2024.