harnische erscheinen als ein Mittelding zwischen dem ritterlichen und dem Landsknechtharnische. Sie besitzen nebst Spangröls, an denen nicht selten Schwebescheiben hängen, auch vollständiges Armzeug. Nur durch die Sturmhaube, die Schösse und durch den Abgang des Rüsthakens erscheinen sie als "knechtische" Harnische.
Um 1547 hatte die Periode der Übertreibung in der Harnisch- tracht ihr Ende gefunden. Die einzelnen Harnischteile werden all- gemach kleiner und ebenmässiger. (Fig. 170.) Das Bruststück wird nun erheblich länger und der Tapul rückt allgemach bis an den Unterrand herab. Diese Auftreibung am unteren Brustharnische wird, wie schon bemerkt, "Gansbauch" genannt.
Von 1550 an kommt der sogenannte ritterliche Harnisch in den Heeren immer weniger im Kriege in Gebrauch. Angesehene Personen erschienen zwar noch in ganzen Harnischen und in der Reiterei sind noch die Kürisser mit selben ausgestattet, aber ersichtlich besitzt er von jener Zeit an nur mehr eine traditionelle Existenz. Der Rück- gang beginnt damit, dass die Eisenschuhe abgelegt werden und dafür Panzerschuhe treten, die bequemer erscheinen; ihnen folgen die Bein- röhren, damit ist der halbe an die Stelle des ganzen Harnisches gelangt. Durch die Annahme der nun auch noch mit Visier aus- gestatteten Sturmhaube nähert sich die Reitertracht immer mehr der Fussknechttracht, wie überhaupt die Kriegerkleidung ein mehr einheit- liches Gepräge erhält. Noch ist der Adlige stolz auf das hergebrachte Eisenkleid, aber im Felde dominiert der schwarze Trabharnisch, der mit unwesentlichen Varianten auch von den mit der Stangenwaffe ausgerüsteten Fussknechten, den Pickenieren, getragen wird. Um 1590 legt auch der schwere Reiter den Reisspiess ab, aus welcher Ursache auch der Rüsthaken verschwindet. (Fig. 171.) Alle Reiter tragen nun schwere Stiefel, um 1600 auch lederne Koller unter den Brust- harnischen, deren Schösse bis über den halben Oberschenkel reichen. Schon etwas früher wird das schwere Panzerhemd, das, unter dem Harnisch getragen, die unbedeckten Stellen des Körpers schützte, abgelegt. Zuerst bei der leichten Reiterei, später auch beim Fuss- volke werden ungarische Sturmhauben mit Naseneisen eingeführt. Um 1640 werden in der Reiterei die Helme und Sturmhauben seltener, der breite wallonische Hut wird allgemeine Kopfbedeckung mit eiserner Hirnhaube darunter, um das Haupt gegen Klingenhiebe zu schützen. Nur die kaiserlichen Kürisser tragen noch und nicht selten sehr schwere Rüstungen, die noch einigermassen an den alten Plattenharnisch erinnern, aber die Bruststücke werden winzig klein und kurz, dafür verbreitern sich die Schösse ins Masslose, um die immens umfangreichen Bauschhosen zu bedecken. Der Kürisser- harnisch ist plump, unbequem und im ganzen unschön, dabei besitzt er eine ungemeine Schwere, die den Mann fast erdrückt. Trotz dieses Gewichtes durch die Dicke des Bleches dokumentiert der
Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit.
harnische erscheinen als ein Mittelding zwischen dem ritterlichen und dem Landsknechtharnische. Sie besitzen nebst Spangröls, an denen nicht selten Schwebescheiben hängen, auch vollständiges Armzeug. Nur durch die Sturmhaube, die Schöſse und durch den Abgang des Rüsthakens erscheinen sie als „knechtische“ Harnische.
Um 1547 hatte die Periode der Übertreibung in der Harnisch- tracht ihr Ende gefunden. Die einzelnen Harnischteile werden all- gemach kleiner und ebenmäſsiger. (Fig. 170.) Das Bruststück wird nun erheblich länger und der Tapul rückt allgemach bis an den Unterrand herab. Diese Auftreibung am unteren Brustharnische wird, wie schon bemerkt, „Gansbauch“ genannt.
Von 1550 an kommt der sogenannte ritterliche Harnisch in den Heeren immer weniger im Kriege in Gebrauch. Angesehene Personen erschienen zwar noch in ganzen Harnischen und in der Reiterei sind noch die Kürisser mit selben ausgestattet, aber ersichtlich besitzt er von jener Zeit an nur mehr eine traditionelle Existenz. Der Rück- gang beginnt damit, daſs die Eisenschuhe abgelegt werden und dafür Panzerschuhe treten, die bequemer erscheinen; ihnen folgen die Bein- röhren, damit ist der halbe an die Stelle des ganzen Harnisches gelangt. Durch die Annahme der nun auch noch mit Visier aus- gestatteten Sturmhaube nähert sich die Reitertracht immer mehr der Fuſsknechttracht, wie überhaupt die Kriegerkleidung ein mehr einheit- liches Gepräge erhält. Noch ist der Adlige stolz auf das hergebrachte Eisenkleid, aber im Felde dominiert der schwarze Trabharnisch, der mit unwesentlichen Varianten auch von den mit der Stangenwaffe ausgerüsteten Fuſsknechten, den Pickenieren, getragen wird. Um 1590 legt auch der schwere Reiter den Reisspieſs ab, aus welcher Ursache auch der Rüsthaken verschwindet. (Fig. 171.) Alle Reiter tragen nun schwere Stiefel, um 1600 auch lederne Koller unter den Brust- harnischen, deren Schöſse bis über den halben Oberschenkel reichen. Schon etwas früher wird das schwere Panzerhemd, das, unter dem Harnisch getragen, die unbedeckten Stellen des Körpers schützte, abgelegt. Zuerst bei der leichten Reiterei, später auch beim Fuſs- volke werden ungarische Sturmhauben mit Naseneisen eingeführt. Um 1640 werden in der Reiterei die Helme und Sturmhauben seltener, der breite wallonische Hut wird allgemeine Kopfbedeckung mit eiserner Hirnhaube darunter, um das Haupt gegen Klingenhiebe zu schützen. Nur die kaiserlichen Kürisser tragen noch und nicht selten sehr schwere Rüstungen, die noch einigermaſsen an den alten Plattenharnisch erinnern, aber die Bruststücke werden winzig klein und kurz, dafür verbreitern sich die Schöſse ins Maſslose, um die immens umfangreichen Bauschhosen zu bedecken. Der Kürisser- harnisch ist plump, unbequem und im ganzen unschön, dabei besitzt er eine ungemeine Schwere, die den Mann fast erdrückt. Trotz dieses Gewichtes durch die Dicke des Bleches dokumentiert der
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Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit.
harnische erscheinen als ein Mittelding zwischen dem ritterlichen und
dem Landsknechtharnische. Sie besitzen nebst Spangröls, an denen
nicht selten Schwebescheiben hängen, auch vollständiges Armzeug.
Nur durch die Sturmhaube, die Schöſse und durch den Abgang des
Rüsthakens erscheinen sie als „knechtische“ Harnische.
Um 1547 hatte die Periode der Übertreibung in der Harnisch-
tracht ihr Ende gefunden. Die einzelnen Harnischteile werden all-
gemach kleiner und ebenmäſsiger. (Fig. 170.) Das Bruststück wird
nun erheblich länger und der Tapul rückt allgemach bis an den
Unterrand herab. Diese Auftreibung am unteren Brustharnische wird,
wie schon bemerkt, „Gansbauch“ genannt.
Von 1550 an kommt der sogenannte ritterliche Harnisch in den
Heeren immer weniger im Kriege in Gebrauch. Angesehene Personen
erschienen zwar noch in ganzen Harnischen und in der Reiterei sind
noch die Kürisser mit selben ausgestattet, aber ersichtlich besitzt er
von jener Zeit an nur mehr eine traditionelle Existenz. Der Rück-
gang beginnt damit, daſs die Eisenschuhe abgelegt werden und dafür
Panzerschuhe treten, die bequemer erscheinen; ihnen folgen die Bein-
röhren, damit ist der halbe an die Stelle des ganzen Harnisches
gelangt. Durch die Annahme der nun auch noch mit Visier aus-
gestatteten Sturmhaube nähert sich die Reitertracht immer mehr der
Fuſsknechttracht, wie überhaupt die Kriegerkleidung ein mehr einheit-
liches Gepräge erhält. Noch ist der Adlige stolz auf das hergebrachte
Eisenkleid, aber im Felde dominiert der schwarze Trabharnisch, der
mit unwesentlichen Varianten auch von den mit der Stangenwaffe
ausgerüsteten Fuſsknechten, den Pickenieren, getragen wird. Um 1590
legt auch der schwere Reiter den Reisspieſs ab, aus welcher Ursache
auch der Rüsthaken verschwindet. (Fig. 171.) Alle Reiter tragen
nun schwere Stiefel, um 1600 auch lederne Koller unter den Brust-
harnischen, deren Schöſse bis über den halben Oberschenkel reichen.
Schon etwas früher wird das schwere Panzerhemd, das, unter dem
Harnisch getragen, die unbedeckten Stellen des Körpers schützte,
abgelegt. Zuerst bei der leichten Reiterei, später auch beim Fuſs-
volke werden ungarische Sturmhauben mit Naseneisen eingeführt.
Um 1640 werden in der Reiterei die Helme und Sturmhauben
seltener, der breite wallonische Hut wird allgemeine Kopfbedeckung
mit eiserner Hirnhaube darunter, um das Haupt gegen Klingenhiebe
zu schützen. Nur die kaiserlichen Kürisser tragen noch und nicht
selten sehr schwere Rüstungen, die noch einigermaſsen an den alten
Plattenharnisch erinnern, aber die Bruststücke werden winzig klein
und kurz, dafür verbreitern sich die Schöſse ins Maſslose, um die
immens umfangreichen Bauschhosen zu bedecken. Der Kürisser-
harnisch ist plump, unbequem und im ganzen unschön, dabei besitzt
er eine ungemeine Schwere, die den Mann fast erdrückt. Trotz
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/175>, abgerufen am 26.11.2024.
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