Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen.
Eisen bestehende Wurfspiesse mit Widerhaken, die sie mit ungemeiner
Sicherheit handhabten. Als die trefflichsten Schützen waren sie auch
Feinde jeder Harnischtracht und trugen nur eherne Helme.

In Byzanz begegnen wir den ältesten Soldtruppen. Ihr Auf-
treten ist immer ein Symptom der Schwäche einer Nation. Mit dem
System ist aber auch schon der Beginn einer gleichförmigeren Be-
waffnung gegeben, die im absterbenden oströmischen Reiche eine
vom Oriente überaus stark beeinflusste gewesen war. Sie war immer
eine vorzügliche, ja musterhafte an sich, geeignet, eine Welt zu erobern;
wenn trotz vieler Siege, die die Geschichte von Byzanz auf ihren
Tafeln verzeichnet, der politische Erfolg weit hinter dem stolzen
Streben blieb, so ist die Ursache nicht in der Ausrüstung, sondern
in der inneren Schwäche des Staates selbst zu suchen, die die Miet-
linge mit allen ihren Heldenthaten nicht verdecken konnten.

Für die Entwicklung des europäischen Waffenwesens ist keine
Periode bedeutungsvoller als jene vom 10. ins 11. Jahrhundert. Der
Anstoss hierzu war von einem nordischen Volke gegeben, das schon
vom 8. Jahrhundert an durch seine abenteuerlichen Kriegszüge der
Schrecken Mitteleuropas geworden war, den Normanen. Von jenem
Zeitpunkte (912), als sie sich im Norden Frankreichs festgesetzt
hatten, nahmen sie regen Anteil an der Entwickelung des ritterlichen
Wesens; bei ihrem Talente, ihrer Regsamkeit und Thatenlust erschie-
nen sie bald als die ersten Kriegsmeister, die allenthalben, was den
Krieg, seine Mittel und seine Führung betraf, als Beispiel und Muster
angesehen wurden. Was die Normanen in der Pflege des Kriegs-
wesens ungemein unterstützte, das war ihre Kenntnis der Welt, ihr
freier Blick, mit dem sie sich alles rasch aneigneten, was einen
besseren Erfolg versprach. Schon im 9. Jahrhundert waren sie nach
Andalusien gekommen, hatten sich an den afrikanischen Küsten fest-
gesetzt, hatten Italien überzogen und in allen diesen Ländern unter
Feuer und Schwert eine überlegene Kriegsgewandtheit errungen und
vieles sich angeeignet, was ihnen von Nutzen schien. So hatten sie
auch im Waffenwesen eine bedeutsame Umbildung angebahnt und
durchgeführt, welche als die Grundlage für das ganze Mittelalter an-
zusehen ist; eine Umbildung, welche der feudalen Gestaltung ihrer
Organisation und ihrer offensiven Taktik entsprach; die Elemente
dazu hatten sie sich zum grossen Teile bei den orientalischen Völkern
geholt. Blicken wir auf die Tapete von Bayeux mit den Darstellungen
der Eroberung Englands (1066), die den letzten Jahrzehnten des
11. Jahrhunderts entstammt, so sehen wir auf den ersten Blick in
der Bewaffnung den orientalischen Einfluss, wenn auch eine Weiter-
bildung nach eigenen nationalen Anschauungen nicht zu verkennen
ist. Wir sehen dort zum erstenmal neben dem antiken pilum den
spitzen Helm mit dem charakteristischen Naseneisen, die Brünne, den
eng anliegenden Haubert, den langen Reiterspiess, aber wir bemerken,

Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen.
Eisen bestehende Wurfspieſse mit Widerhaken, die sie mit ungemeiner
Sicherheit handhabten. Als die trefflichsten Schützen waren sie auch
Feinde jeder Harnischtracht und trugen nur eherne Helme.

In Byzanz begegnen wir den ältesten Soldtruppen. Ihr Auf-
treten ist immer ein Symptom der Schwäche einer Nation. Mit dem
System ist aber auch schon der Beginn einer gleichförmigeren Be-
waffnung gegeben, die im absterbenden oströmischen Reiche eine
vom Oriente überaus stark beeinfluſste gewesen war. Sie war immer
eine vorzügliche, ja musterhafte an sich, geeignet, eine Welt zu erobern;
wenn trotz vieler Siege, die die Geschichte von Byzanz auf ihren
Tafeln verzeichnet, der politische Erfolg weit hinter dem stolzen
Streben blieb, so ist die Ursache nicht in der Ausrüstung, sondern
in der inneren Schwäche des Staates selbst zu suchen, die die Miet-
linge mit allen ihren Heldenthaten nicht verdecken konnten.

Für die Entwicklung des europäischen Waffenwesens ist keine
Periode bedeutungsvoller als jene vom 10. ins 11. Jahrhundert. Der
Anstoſs hierzu war von einem nordischen Volke gegeben, das schon
vom 8. Jahrhundert an durch seine abenteuerlichen Kriegszüge der
Schrecken Mitteleuropas geworden war, den Normanen. Von jenem
Zeitpunkte (912), als sie sich im Norden Frankreichs festgesetzt
hatten, nahmen sie regen Anteil an der Entwickelung des ritterlichen
Wesens; bei ihrem Talente, ihrer Regsamkeit und Thatenlust erschie-
nen sie bald als die ersten Kriegsmeister, die allenthalben, was den
Krieg, seine Mittel und seine Führung betraf, als Beispiel und Muster
angesehen wurden. Was die Normanen in der Pflege des Kriegs-
wesens ungemein unterstützte, das war ihre Kenntnis der Welt, ihr
freier Blick, mit dem sie sich alles rasch aneigneten, was einen
besseren Erfolg versprach. Schon im 9. Jahrhundert waren sie nach
Andalusien gekommen, hatten sich an den afrikanischen Küsten fest-
gesetzt, hatten Italien überzogen und in allen diesen Ländern unter
Feuer und Schwert eine überlegene Kriegsgewandtheit errungen und
vieles sich angeeignet, was ihnen von Nutzen schien. So hatten sie
auch im Waffenwesen eine bedeutsame Umbildung angebahnt und
durchgeführt, welche als die Grundlage für das ganze Mittelalter an-
zusehen ist; eine Umbildung, welche der feudalen Gestaltung ihrer
Organisation und ihrer offensiven Taktik entsprach; die Elemente
dazu hatten sie sich zum groſsen Teile bei den orientalischen Völkern
geholt. Blicken wir auf die Tapete von Bayeux mit den Darstellungen
der Eroberung Englands (1066), die den letzten Jahrzehnten des
11. Jahrhunderts entstammt, so sehen wir auf den ersten Blick in
der Bewaffnung den orientalischen Einfluſs, wenn auch eine Weiter-
bildung nach eigenen nationalen Anschauungen nicht zu verkennen
ist. Wir sehen dort zum erstenmal neben dem antiken pilum den
spitzen Helm mit dem charakteristischen Naseneisen, die Brünne, den
eng anliegenden Haubert, den langen Reiterspieſs, aber wir bemerken,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="7"/><fw place="top" type="header">Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen.</fw><lb/>
Eisen bestehende Wurfspie&#x017F;se mit Widerhaken, die sie mit ungemeiner<lb/>
Sicherheit handhabten. Als die trefflichsten Schützen waren sie auch<lb/>
Feinde jeder Harnischtracht und trugen nur eherne Helme.</p><lb/>
          <p>In Byzanz begegnen wir den ältesten Soldtruppen. Ihr Auf-<lb/>
treten ist immer ein Symptom der Schwäche einer Nation. Mit dem<lb/>
System ist aber auch schon der Beginn einer gleichförmigeren Be-<lb/>
waffnung gegeben, die im absterbenden oströmischen Reiche eine<lb/>
vom Oriente überaus stark beeinflu&#x017F;ste gewesen war. Sie war immer<lb/>
eine vorzügliche, ja musterhafte an sich, geeignet, eine Welt zu erobern;<lb/>
wenn trotz vieler Siege, die die Geschichte von Byzanz auf ihren<lb/>
Tafeln verzeichnet, der politische Erfolg weit hinter dem stolzen<lb/>
Streben blieb, so ist die Ursache nicht in der Ausrüstung, sondern<lb/>
in der inneren Schwäche des Staates selbst zu suchen, die die Miet-<lb/>
linge mit allen ihren Heldenthaten nicht verdecken konnten.</p><lb/>
          <p>Für die Entwicklung des europäischen Waffenwesens ist keine<lb/>
Periode bedeutungsvoller als jene vom 10. ins 11. Jahrhundert. Der<lb/>
Ansto&#x017F;s hierzu war von einem nordischen Volke gegeben, das schon<lb/>
vom 8. Jahrhundert an durch seine abenteuerlichen Kriegszüge der<lb/>
Schrecken Mitteleuropas geworden war, den Normanen. Von jenem<lb/>
Zeitpunkte (912), als sie sich im Norden Frankreichs festgesetzt<lb/>
hatten, nahmen sie regen Anteil an der Entwickelung des ritterlichen<lb/>
Wesens; bei ihrem Talente, ihrer Regsamkeit und Thatenlust erschie-<lb/>
nen sie bald als die ersten Kriegsmeister, die allenthalben, was den<lb/>
Krieg, seine Mittel und seine Führung betraf, als Beispiel und Muster<lb/>
angesehen wurden. Was die Normanen in der Pflege des Kriegs-<lb/>
wesens ungemein unterstützte, das war ihre Kenntnis der Welt, ihr<lb/>
freier Blick, mit dem sie sich alles rasch aneigneten, was einen<lb/>
besseren Erfolg versprach. Schon im 9. Jahrhundert waren sie nach<lb/>
Andalusien gekommen, hatten sich an den afrikanischen Küsten fest-<lb/>
gesetzt, hatten Italien überzogen und in allen diesen Ländern unter<lb/>
Feuer und Schwert eine überlegene Kriegsgewandtheit errungen und<lb/>
vieles sich angeeignet, was ihnen von Nutzen schien. So hatten sie<lb/>
auch im Waffenwesen eine bedeutsame Umbildung angebahnt und<lb/>
durchgeführt, welche als die Grundlage für das ganze Mittelalter an-<lb/>
zusehen ist; eine Umbildung, welche der feudalen Gestaltung ihrer<lb/>
Organisation und ihrer offensiven Taktik entsprach; die Elemente<lb/>
dazu hatten sie sich zum gro&#x017F;sen Teile bei den orientalischen Völkern<lb/>
geholt. Blicken wir auf die Tapete von Bayeux mit den Darstellungen<lb/>
der Eroberung Englands (1066), die den letzten Jahrzehnten des<lb/>
11. Jahrhunderts entstammt, so sehen wir auf den ersten Blick in<lb/>
der Bewaffnung den orientalischen Einflu&#x017F;s, wenn auch eine Weiter-<lb/>
bildung nach eigenen nationalen Anschauungen nicht zu verkennen<lb/>
ist. Wir sehen dort zum erstenmal neben dem antiken pilum den<lb/>
spitzen Helm mit dem charakteristischen Naseneisen, die Brünne, den<lb/>
eng anliegenden Haubert, den langen Reiterspie&#x017F;s, aber wir bemerken,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0025] Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. Eisen bestehende Wurfspieſse mit Widerhaken, die sie mit ungemeiner Sicherheit handhabten. Als die trefflichsten Schützen waren sie auch Feinde jeder Harnischtracht und trugen nur eherne Helme. In Byzanz begegnen wir den ältesten Soldtruppen. Ihr Auf- treten ist immer ein Symptom der Schwäche einer Nation. Mit dem System ist aber auch schon der Beginn einer gleichförmigeren Be- waffnung gegeben, die im absterbenden oströmischen Reiche eine vom Oriente überaus stark beeinfluſste gewesen war. Sie war immer eine vorzügliche, ja musterhafte an sich, geeignet, eine Welt zu erobern; wenn trotz vieler Siege, die die Geschichte von Byzanz auf ihren Tafeln verzeichnet, der politische Erfolg weit hinter dem stolzen Streben blieb, so ist die Ursache nicht in der Ausrüstung, sondern in der inneren Schwäche des Staates selbst zu suchen, die die Miet- linge mit allen ihren Heldenthaten nicht verdecken konnten. Für die Entwicklung des europäischen Waffenwesens ist keine Periode bedeutungsvoller als jene vom 10. ins 11. Jahrhundert. Der Anstoſs hierzu war von einem nordischen Volke gegeben, das schon vom 8. Jahrhundert an durch seine abenteuerlichen Kriegszüge der Schrecken Mitteleuropas geworden war, den Normanen. Von jenem Zeitpunkte (912), als sie sich im Norden Frankreichs festgesetzt hatten, nahmen sie regen Anteil an der Entwickelung des ritterlichen Wesens; bei ihrem Talente, ihrer Regsamkeit und Thatenlust erschie- nen sie bald als die ersten Kriegsmeister, die allenthalben, was den Krieg, seine Mittel und seine Führung betraf, als Beispiel und Muster angesehen wurden. Was die Normanen in der Pflege des Kriegs- wesens ungemein unterstützte, das war ihre Kenntnis der Welt, ihr freier Blick, mit dem sie sich alles rasch aneigneten, was einen besseren Erfolg versprach. Schon im 9. Jahrhundert waren sie nach Andalusien gekommen, hatten sich an den afrikanischen Küsten fest- gesetzt, hatten Italien überzogen und in allen diesen Ländern unter Feuer und Schwert eine überlegene Kriegsgewandtheit errungen und vieles sich angeeignet, was ihnen von Nutzen schien. So hatten sie auch im Waffenwesen eine bedeutsame Umbildung angebahnt und durchgeführt, welche als die Grundlage für das ganze Mittelalter an- zusehen ist; eine Umbildung, welche der feudalen Gestaltung ihrer Organisation und ihrer offensiven Taktik entsprach; die Elemente dazu hatten sie sich zum groſsen Teile bei den orientalischen Völkern geholt. Blicken wir auf die Tapete von Bayeux mit den Darstellungen der Eroberung Englands (1066), die den letzten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts entstammt, so sehen wir auf den ersten Blick in der Bewaffnung den orientalischen Einfluſs, wenn auch eine Weiter- bildung nach eigenen nationalen Anschauungen nicht zu verkennen ist. Wir sehen dort zum erstenmal neben dem antiken pilum den spitzen Helm mit dem charakteristischen Naseneisen, die Brünne, den eng anliegenden Haubert, den langen Reiterspieſs, aber wir bemerken,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/25
Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/25>, abgerufen am 21.11.2024.