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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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II. Die Angriffswaffen.
zeichnung coltelaccio, cortelas, d. i. grosses Messer (Fig. 309),
in ihren Heeren bis ins Mittelalter hinauf vertreten. In Deutsch-
land erscheint es unter der korrumpierten Bezeichnung Kordelatsch
oder Kordalätsch. Venedig ist im Fache der Waffen bis ins
17. Jahrhundert als die rege Vermittlerin zwischen dem Oriente und
dem Occidente anzusehen. Aus diesem Umstande erklärt sich die
Aufnahme des coltelaccio als Waffe in den venezianischen Fecht-
schulen der Markusbrüder im 14. Jahrhundert, und wir treffen sie
da nicht nur einhändig, sondern später auch zweihändig. Der
schnabelförmig endende Griff und der muschelförmige Ansatz (Parier-
knebel) an der Parierstange kennzeichnet die orientalische Herkunft
dieser Fechtschwerter vollends. (Fig. 310.) Im 15. Jahrhundert
wurde dieses Krummschwert eine beliebte Waffe der deutschen Städte-
bürger, die immer die anhänglichsten Schüler der wandernden italie-
nischen Fechtschulen gewesen waren. Für den Gebrauch im Feld-
kriege sehen wir den coltelaccio unter den im venezianischen, im
päpstlichen und später auch im französischen Heere in Albanien ge-
worbenen Stradioten schon im 15. Jahrhundert. In der italieni-
schen Reiterausrüstung um 1570 erscheint der coltelaccio im Vereine
mit der spada, dem Schwerte. In den Heeren der Nationen an
den Grenzen des Orients, wie jener Ungarns, Polens, des mosko-
witischen Reiches war von der ältesten Zeit an der orientalische
Einfluss in der Bewaffnung dem occidentalen weit überwiegend, ja
in der Form der Krummschwerter und der späteren Säbel ist die
türkisch-arabische Form von der ungarischen sehr schwer zu unter-
scheiden, nur die moskowitischen und polnischen Säbel lassen einige
kleine Unterschiede erkennen. Der orientalische Einfluss ist auch an
einer europäischen Waffe des 15. Jahrhunderts, der sogenannten
Dusägge, zu erkennen. Diese Dusägge ist nichts anderes als ein
rohes Stück Eisen, krumm in die Spitze laufend, mit breitem Rücken
und stumpfer Schneide; am unteren Ende ist ein längliches Loch
ausgesägt, welches als Handhabe dadurch dient, dass die vier Finger
in dasselbe hineingreifen.

Man hat bisher den Ursprung des Namens Dusägge in Böhmen
gesucht; derselbe könnte sich aber auch von dem altdeutschen
"tusic", stumpf, oder von dem ebenfalls altdeutschen "twoseax" her-
leiten, welches soviel als Doppelmesser bedeutet. Für die erstere
Annahme spricht, dass diese plumpe Waffe seltener als Kriegswaffe,
hauptsächlich aber auf Fechtschulen gebraucht wurde. (Fig. 311.)

So schwierig es sonst ist, an stilistischen Merkmalen einen orien-
talischen Gegenstand auf sein Alter hin zu beurteilen, so macht doch
darin der türkische Säbel eine Ausnahme, der der sonstigen Starrheit
aller Lebensformen entgegen, vom 15. Jahrhundert an eine ununter-
brochene Formenumbildung erkennen lässt. So sehen wir den tür-
kischen Säbel des 16. Jahrhunderts ohne Knauf, während jener des

II. Die Angriffswaffen.
zeichnung coltelaccio, cortelas, d. i. groſses Messer (Fig. 309),
in ihren Heeren bis ins Mittelalter hinauf vertreten. In Deutsch-
land erscheint es unter der korrumpierten Bezeichnung Kordelatsch
oder Kordalätsch. Venedig ist im Fache der Waffen bis ins
17. Jahrhundert als die rege Vermittlerin zwischen dem Oriente und
dem Occidente anzusehen. Aus diesem Umstande erklärt sich die
Aufnahme des coltelaccio als Waffe in den venezianischen Fecht-
schulen der Markusbrüder im 14. Jahrhundert, und wir treffen sie
da nicht nur einhändig, sondern später auch zweihändig. Der
schnabelförmig endende Griff und der muschelförmige Ansatz (Parier-
knebel) an der Parierstange kennzeichnet die orientalische Herkunft
dieser Fechtschwerter vollends. (Fig. 310.) Im 15. Jahrhundert
wurde dieses Krummschwert eine beliebte Waffe der deutschen Städte-
bürger, die immer die anhänglichsten Schüler der wandernden italie-
nischen Fechtschulen gewesen waren. Für den Gebrauch im Feld-
kriege sehen wir den coltelaccio unter den im venezianischen, im
päpstlichen und später auch im französischen Heere in Albanien ge-
worbenen Stradioten schon im 15. Jahrhundert. In der italieni-
schen Reiterausrüstung um 1570 erscheint der coltelaccio im Vereine
mit der spada, dem Schwerte. In den Heeren der Nationen an
den Grenzen des Orients, wie jener Ungarns, Polens, des mosko-
witischen Reiches war von der ältesten Zeit an der orientalische
Einfluſs in der Bewaffnung dem occidentalen weit überwiegend, ja
in der Form der Krummschwerter und der späteren Säbel ist die
türkisch-arabische Form von der ungarischen sehr schwer zu unter-
scheiden, nur die moskowitischen und polnischen Säbel lassen einige
kleine Unterschiede erkennen. Der orientalische Einfluſs ist auch an
einer europäischen Waffe des 15. Jahrhunderts, der sogenannten
Dusägge, zu erkennen. Diese Dusägge ist nichts anderes als ein
rohes Stück Eisen, krumm in die Spitze laufend, mit breitem Rücken
und stumpfer Schneide; am unteren Ende ist ein längliches Loch
ausgesägt, welches als Handhabe dadurch dient, daſs die vier Finger
in dasselbe hineingreifen.

Man hat bisher den Ursprung des Namens Dusägge in Böhmen
gesucht; derselbe könnte sich aber auch von dem altdeutschen
„tusic“, stumpf, oder von dem ebenfalls altdeutschen „twoseax“ her-
leiten, welches soviel als Doppelmesser bedeutet. Für die erstere
Annahme spricht, daſs diese plumpe Waffe seltener als Kriegswaffe,
hauptsächlich aber auf Fechtschulen gebraucht wurde. (Fig. 311.)

So schwierig es sonst ist, an stilistischen Merkmalen einen orien-
talischen Gegenstand auf sein Alter hin zu beurteilen, so macht doch
darin der türkische Säbel eine Ausnahme, der der sonstigen Starrheit
aller Lebensformen entgegen, vom 15. Jahrhundert an eine ununter-
brochene Formenumbildung erkennen läſst. So sehen wir den tür-
kischen Säbel des 16. Jahrhunderts ohne Knauf, während jener des

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[274/0292] II. Die Angriffswaffen. zeichnung coltelaccio, cortelas, d. i. groſses Messer (Fig. 309), in ihren Heeren bis ins Mittelalter hinauf vertreten. In Deutsch- land erscheint es unter der korrumpierten Bezeichnung Kordelatsch oder Kordalätsch. Venedig ist im Fache der Waffen bis ins 17. Jahrhundert als die rege Vermittlerin zwischen dem Oriente und dem Occidente anzusehen. Aus diesem Umstande erklärt sich die Aufnahme des coltelaccio als Waffe in den venezianischen Fecht- schulen der Markusbrüder im 14. Jahrhundert, und wir treffen sie da nicht nur einhändig, sondern später auch zweihändig. Der schnabelförmig endende Griff und der muschelförmige Ansatz (Parier- knebel) an der Parierstange kennzeichnet die orientalische Herkunft dieser Fechtschwerter vollends. (Fig. 310.) Im 15. Jahrhundert wurde dieses Krummschwert eine beliebte Waffe der deutschen Städte- bürger, die immer die anhänglichsten Schüler der wandernden italie- nischen Fechtschulen gewesen waren. Für den Gebrauch im Feld- kriege sehen wir den coltelaccio unter den im venezianischen, im päpstlichen und später auch im französischen Heere in Albanien ge- worbenen Stradioten schon im 15. Jahrhundert. In der italieni- schen Reiterausrüstung um 1570 erscheint der coltelaccio im Vereine mit der spada, dem Schwerte. In den Heeren der Nationen an den Grenzen des Orients, wie jener Ungarns, Polens, des mosko- witischen Reiches war von der ältesten Zeit an der orientalische Einfluſs in der Bewaffnung dem occidentalen weit überwiegend, ja in der Form der Krummschwerter und der späteren Säbel ist die türkisch-arabische Form von der ungarischen sehr schwer zu unter- scheiden, nur die moskowitischen und polnischen Säbel lassen einige kleine Unterschiede erkennen. Der orientalische Einfluſs ist auch an einer europäischen Waffe des 15. Jahrhunderts, der sogenannten Dusägge, zu erkennen. Diese Dusägge ist nichts anderes als ein rohes Stück Eisen, krumm in die Spitze laufend, mit breitem Rücken und stumpfer Schneide; am unteren Ende ist ein längliches Loch ausgesägt, welches als Handhabe dadurch dient, daſs die vier Finger in dasselbe hineingreifen. Man hat bisher den Ursprung des Namens Dusägge in Böhmen gesucht; derselbe könnte sich aber auch von dem altdeutschen „tusic“, stumpf, oder von dem ebenfalls altdeutschen „twoseax“ her- leiten, welches soviel als Doppelmesser bedeutet. Für die erstere Annahme spricht, daſs diese plumpe Waffe seltener als Kriegswaffe, hauptsächlich aber auf Fechtschulen gebraucht wurde. (Fig. 311.) So schwierig es sonst ist, an stilistischen Merkmalen einen orien- talischen Gegenstand auf sein Alter hin zu beurteilen, so macht doch darin der türkische Säbel eine Ausnahme, der der sonstigen Starrheit aller Lebensformen entgegen, vom 15. Jahrhundert an eine ununter- brochene Formenumbildung erkennen läſst. So sehen wir den tür- kischen Säbel des 16. Jahrhunderts ohne Knauf, während jener des

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/292>, abgerufen am 22.11.2024.