Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.II. Die Angriffswaffen. diese Waffe erst am Beginne des 16. Jahrhunderts, und zwar ausSpanien erhielten, mit ihr auch eine provinzielle Bezeichnung, dagon, langer Dolch, in ihre Sprache herübernahmen, da die ersten Degen in der That keine besonders langen Klingen besassen, und es damals oft schwer zu sagen war, was noch als langer Dolch und was als Schwert bezeichnet werden sollte. Wenn auch der Degen durch die Kavaliere Karls V. und Ferdinands I. nach Deutschland kam, so ist doch die Entstehung dieser leichten Blankwaffe in jenem Lande zu suchen, in welchem die Fechtkunst ihre ersten Anfänge hatte, in Italien; denn keine Waffe ist in ihrer Form so sehr auf die Geschicklichkeit in der Führung angewiesen wie der Degen. Aus dieser Ursache sehen wir auch auf den Faustschutz beim Degen weit mehr Sorgfalt verwendet als beim Schwerte, ja Spanien, Italien, später auch die Niederlande und Frankreich rivalisieren im 16. und 17. Jahrhundert in ebenso komplizierten als raffiniert konstruierten Formen zur Erzielung eines ausgiebigen Faustschutzes. Die ersten Griffformen im 15. Jahrhundert stellen sich als Spangengriffe dar, mit langen, geraden Parierstangen anfänglich mit nur aussen liegendem (einfachen), später mit beiderseits angeordnetem Parierringe. Später kamen die Faustschutzbügel (pas d'ane) hinzu, welche, wie bereits erwähnt, tief herabreichten, um die Faust in der Parade mehr zu sichern. Mit diesen in Verbindung treten die Spangenkörbe auf mit oft bizarren Formen. Erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts und an- fänglich nur bei italienischen Hofdegen erscheinen die Griffbügel, mit diesen zugleich die sogenannten Stichblätter, welche wir ein- seitig, öfter aber zweiseitig antreffen; sie sind mehr in Italien in Gebrauch. In allen diesen oft voneinander abweichenden Formen bekundet sich immer von seiten des Verfertigers eine sorgsame Be- rechnung der Eventualitäten im Einzelgefechte. Die Griffformen an Degen des 16. und 17. Jahrhunderts sind II. Die Angriffswaffen. diese Waffe erst am Beginne des 16. Jahrhunderts, und zwar ausSpanien erhielten, mit ihr auch eine provinzielle Bezeichnung, dagon, langer Dolch, in ihre Sprache herübernahmen, da die ersten Degen in der That keine besonders langen Klingen besaſsen, und es damals oft schwer zu sagen war, was noch als langer Dolch und was als Schwert bezeichnet werden sollte. Wenn auch der Degen durch die Kavaliere Karls V. und Ferdinands I. nach Deutschland kam, so ist doch die Entstehung dieser leichten Blankwaffe in jenem Lande zu suchen, in welchem die Fechtkunst ihre ersten Anfänge hatte, in Italien; denn keine Waffe ist in ihrer Form so sehr auf die Geschicklichkeit in der Führung angewiesen wie der Degen. Aus dieser Ursache sehen wir auch auf den Faustschutz beim Degen weit mehr Sorgfalt verwendet als beim Schwerte, ja Spanien, Italien, später auch die Niederlande und Frankreich rivalisieren im 16. und 17. Jahrhundert in ebenso komplizierten als raffiniert konstruierten Formen zur Erzielung eines ausgiebigen Faustschutzes. Die ersten Griffformen im 15. Jahrhundert stellen sich als Spangengriffe dar, mit langen, geraden Parierstangen anfänglich mit nur auſsen liegendem (einfachen), später mit beiderseits angeordnetem Parierringe. Später kamen die Faustschutzbügel (pas d’âne) hinzu, welche, wie bereits erwähnt, tief herabreichten, um die Faust in der Parade mehr zu sichern. Mit diesen in Verbindung treten die Spangenkörbe auf mit oft bizarren Formen. Erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts und an- fänglich nur bei italienischen Hofdegen erscheinen die Griffbügel, mit diesen zugleich die sogenannten Stichblätter, welche wir ein- seitig, öfter aber zweiseitig antreffen; sie sind mehr in Italien in Gebrauch. In allen diesen oft voneinander abweichenden Formen bekundet sich immer von seiten des Verfertigers eine sorgsame Be- rechnung der Eventualitäten im Einzelgefechte. 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Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Parier-<lb/> ringe (ein an der äuſseren oder an beiden Seiten an Mitteleisen<lb/> befindlicher Ring, der bestimmt ist, den Hieb an der Parierstange auf-<lb/> zufangen). — 4. Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Faustschutz-<lb/> bügel. (Er entsteht eigentlich nur aus einer Verbindung der Parier-<lb/> bügel durch eine gebogene Spange, die eigentlich den Zweck hat, den<lb/> Hieb noch in angemessener Entfernung von der Faust parieren zu<lb/> können.) Fig. 320. — 5. Degen mit ein- oder zweiseitigem doppelten<lb/> Faustschutzbügel (eigentlich ein Faustschutzbügel vor dem anderen,<lb/> die Form kommt seltener vor Augen.) — 6. Degen mit Griffbügel.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [282/0300]
II. Die Angriffswaffen.
diese Waffe erst am Beginne des 16. Jahrhunderts, und zwar aus
Spanien erhielten, mit ihr auch eine provinzielle Bezeichnung,
dagon, langer Dolch, in ihre Sprache herübernahmen, da die ersten
Degen in der That keine besonders langen Klingen besaſsen, und
es damals oft schwer zu sagen war, was noch als langer Dolch und
was als Schwert bezeichnet werden sollte. Wenn auch der Degen
durch die Kavaliere Karls V. und Ferdinands I. nach Deutschland
kam, so ist doch die Entstehung dieser leichten Blankwaffe in jenem
Lande zu suchen, in welchem die Fechtkunst ihre ersten Anfänge
hatte, in Italien; denn keine Waffe ist in ihrer Form so sehr auf die
Geschicklichkeit in der Führung angewiesen wie der Degen. Aus
dieser Ursache sehen wir auch auf den Faustschutz beim Degen weit
mehr Sorgfalt verwendet als beim Schwerte, ja Spanien, Italien, später
auch die Niederlande und Frankreich rivalisieren im 16. und 17.
Jahrhundert in ebenso komplizierten als raffiniert konstruierten Formen
zur Erzielung eines ausgiebigen Faustschutzes. Die ersten Griffformen
im 15. Jahrhundert stellen sich als Spangengriffe dar, mit langen,
geraden Parierstangen anfänglich mit nur auſsen liegendem (einfachen),
später mit beiderseits angeordnetem Parierringe. Später kamen die
Faustschutzbügel (pas d’âne) hinzu, welche, wie bereits erwähnt,
tief herabreichten, um die Faust in der Parade mehr zu sichern.
Mit diesen in Verbindung treten die Spangenkörbe auf mit oft
bizarren Formen. Erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts und an-
fänglich nur bei italienischen Hofdegen erscheinen die Griffbügel,
mit diesen zugleich die sogenannten Stichblätter, welche wir ein-
seitig, öfter aber zweiseitig antreffen; sie sind mehr in Italien in
Gebrauch. In allen diesen oft voneinander abweichenden Formen
bekundet sich immer von seiten des Verfertigers eine sorgsame Be-
rechnung der Eventualitäten im Einzelgefechte.
Die Griffformen an Degen des 16. und 17. Jahrhunderts sind
so mannigfaltig, einzelne dabei so kompliziert, daſs es wünschenswert
erscheinen muſs, die häufigst vorkommenden derselben hier anzuführen
und deren einzelne Teile zu benennen: 1. Degen mit einfacher
Parierstange. — 2. Degen mit Parierbügeln (zwei nach abwärts gegen
die Klinge zu gerichtete gebogene Spangen; der Übergang zum Faust-
schutzbügel). — 3. Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Parier-
ringe (ein an der äuſseren oder an beiden Seiten an Mitteleisen
befindlicher Ring, der bestimmt ist, den Hieb an der Parierstange auf-
zufangen). — 4. Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Faustschutz-
bügel. (Er entsteht eigentlich nur aus einer Verbindung der Parier-
bügel durch eine gebogene Spange, die eigentlich den Zweck hat, den
Hieb noch in angemessener Entfernung von der Faust parieren zu
können.) Fig. 320. — 5. Degen mit ein- oder zweiseitigem doppelten
Faustschutzbügel (eigentlich ein Faustschutzbügel vor dem anderen,
die Form kommt seltener vor Augen.) — 6. Degen mit Griffbügel.
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