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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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II. Die Angriffswaffen.
äusserst dünne Läufe von staunenswerter Länge angefertigt werden
konnten. Die Waffensammlung des kaiserl. Hauses in Wien bewahrt
ein Radschlossgewehr von ca. 1590, dessen Lauf 1.95 m. Länge bei
19 mm. Bohrung misst; noch bewundernswerter ist ein Gewehrlauf
derselben Sammlung von der enormen Länge von 257.5 cm. und
einer Bohrung von nur 14 mm.*) Er datiert von etwa 1620. In
der Verbesserung des Laufes muss überhaupt der erste Anstoss zum
Auftreten der Muskete gesucht werden, denn erst jetzt mässigte sich
das Gewicht des Gewehres und konnte von der Beigabe des Hakens
abgegangen werden. Schon die ältesten Musketen besitzen gebohrte
Läufe.

Vereinzelt treten Visiervorrichtungen bereits an Läufen der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. In den ersten Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts treffen wir schon allgemein das Korn und an Stelle
unseres heutigen Absehens ein Visierrohr. Dieses beweist, dass
über die Flugbahn des Geschosses zu jener Zeit noch eine bedeutende
Unklarheit herrschte und man sich dieselbe weit rasanter dachte, als
sie in Wirklichkeit ist. Bei Ballästern und Schneppern erlangte man
weit rascher eine praktische Erfahrung über die Flugbahn der Kugel
und nutzte sie auch vollständig aus. Bemerkenswert ist darum der
Mangel jeder Aufsatzvorrichtung an Feuergewehren. Selbst als
die Grundsätze der Ballistik allgemein bekannt wurden, fand bei
der beschränkten Schussweite der Visieraufsatz an Kriegsgewehren
nur geringe Anwendung. Um so bemerkenswerter ist es, dass wir
solche schon an orientalischen Läufen des 17. Jahrhunderts antreffen.
Sie sind feststehend aus dem Laufe selbst gefeilt und besitzen in ver-
tikaler Reihe laufende Durchlöcherungen, welche den Distanzen ent-
sprechen. Es scheinen uns auch auf diesem Gebiete die Morgen-
länder vorangeschritten zu sein. (Fig. 552.)

In Nürnberg scheinen, und zwar zunächst nur für den Zweck des
Zielschiessens, die ersten gezogenen Läufe gefertigt worden zu sein.
Der Zeitpunkt dieser Erfindung wird noch etwas vor der Mitte des
16. Jahrhunderts anzunehmen sein. Die ersten derartigen Rohre hatten
noch geradelaufende Züge, die natürlich wenig mehr leisteten, als
nicht gezogene Rohre mit Anwendung von Passkugeln. Um 1560
erhalten die Züge eine spirale Führung im Rohrinneren, wodurch sich
erst ihr Nutzen bewähren konnte. In Beziehung auf den Quer-
schnitt der Züge wie auf deren Führung findet man die verschiedensten
Formen, ein Beweis unausgesetzten und eifrigsten Strebens nach Ver-
besserung. Am Ende des 16. Jahrhunderts fertigte der Augsburger

*) Sie trägt den Namen Hans Friedrich von Diependalh. Das aber ist noch
nicht die äusserste Leistung in diesem Fache, der Waffenschmied Petrini berichtet
in seinem wertvollen Manuskripte von 1642 (Bibl. Magliabecch.) von einem Maestro
Maffei in Pistoja, der 10 Ellen lange, allerdings sehr schwere Läufe hergestellt hatte.

II. Die Angriffswaffen.
äuſserst dünne Läufe von staunenswerter Länge angefertigt werden
konnten. Die Waffensammlung des kaiserl. Hauses in Wien bewahrt
ein Radschloſsgewehr von ca. 1590, dessen Lauf 1.95 m. Länge bei
19 mm. Bohrung miſst; noch bewundernswerter ist ein Gewehrlauf
derselben Sammlung von der enormen Länge von 257.5 cm. und
einer Bohrung von nur 14 mm.*) Er datiert von etwa 1620. In
der Verbesserung des Laufes muſs überhaupt der erste Anstoſs zum
Auftreten der Muskete gesucht werden, denn erst jetzt mäſsigte sich
das Gewicht des Gewehres und konnte von der Beigabe des Hakens
abgegangen werden. Schon die ältesten Musketen besitzen gebohrte
Läufe.

Vereinzelt treten Visiervorrichtungen bereits an Läufen der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. In den ersten Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts treffen wir schon allgemein das Korn und an Stelle
unseres heutigen Absehens ein Visierrohr. Dieses beweist, daſs
über die Flugbahn des Geschosses zu jener Zeit noch eine bedeutende
Unklarheit herrschte und man sich dieselbe weit rasanter dachte, als
sie in Wirklichkeit ist. Bei Ballästern und Schneppern erlangte man
weit rascher eine praktische Erfahrung über die Flugbahn der Kugel
und nutzte sie auch vollständig aus. Bemerkenswert ist darum der
Mangel jeder Aufsatzvorrichtung an Feuergewehren. Selbst als
die Grundsätze der Ballistik allgemein bekannt wurden, fand bei
der beschränkten Schuſsweite der Visieraufsatz an Kriegsgewehren
nur geringe Anwendung. Um so bemerkenswerter ist es, daſs wir
solche schon an orientalischen Läufen des 17. Jahrhunderts antreffen.
Sie sind feststehend aus dem Laufe selbst gefeilt und besitzen in ver-
tikaler Reihe laufende Durchlöcherungen, welche den Distanzen ent-
sprechen. Es scheinen uns auch auf diesem Gebiete die Morgen-
länder vorangeschritten zu sein. (Fig. 552.)

In Nürnberg scheinen, und zwar zunächst nur für den Zweck des
Zielschieſsens, die ersten gezogenen Läufe gefertigt worden zu sein.
Der Zeitpunkt dieser Erfindung wird noch etwas vor der Mitte des
16. Jahrhunderts anzunehmen sein. Die ersten derartigen Rohre hatten
noch geradelaufende Züge, die natürlich wenig mehr leisteten, als
nicht gezogene Rohre mit Anwendung von Paſskugeln. Um 1560
erhalten die Züge eine spirale Führung im Rohrinneren, wodurch sich
erst ihr Nutzen bewähren konnte. In Beziehung auf den Quer-
schnitt der Züge wie auf deren Führung findet man die verschiedensten
Formen, ein Beweis unausgesetzten und eifrigsten Strebens nach Ver-
besserung. Am Ende des 16. Jahrhunderts fertigte der Augsburger

*) Sie trägt den Namen Hans Friedrich von Diependalh. Das aber ist noch
nicht die äuſserste Leistung in diesem Fache, der Waffenschmied Petrini berichtet
in seinem wertvollen Manuskripte von 1642 (Bibl. Magliabecch.) von einem Maestro
Maffei in Pistoja, der 10 Ellen lange, allerdings sehr schwere Läufe hergestellt hatte.
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[470/0488] II. Die Angriffswaffen. äuſserst dünne Läufe von staunenswerter Länge angefertigt werden konnten. Die Waffensammlung des kaiserl. Hauses in Wien bewahrt ein Radschloſsgewehr von ca. 1590, dessen Lauf 1.95 m. Länge bei 19 mm. Bohrung miſst; noch bewundernswerter ist ein Gewehrlauf derselben Sammlung von der enormen Länge von 257.5 cm. und einer Bohrung von nur 14 mm. *) Er datiert von etwa 1620. In der Verbesserung des Laufes muſs überhaupt der erste Anstoſs zum Auftreten der Muskete gesucht werden, denn erst jetzt mäſsigte sich das Gewicht des Gewehres und konnte von der Beigabe des Hakens abgegangen werden. Schon die ältesten Musketen besitzen gebohrte Läufe. Vereinzelt treten Visiervorrichtungen bereits an Läufen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts treffen wir schon allgemein das Korn und an Stelle unseres heutigen Absehens ein Visierrohr. Dieses beweist, daſs über die Flugbahn des Geschosses zu jener Zeit noch eine bedeutende Unklarheit herrschte und man sich dieselbe weit rasanter dachte, als sie in Wirklichkeit ist. Bei Ballästern und Schneppern erlangte man weit rascher eine praktische Erfahrung über die Flugbahn der Kugel und nutzte sie auch vollständig aus. Bemerkenswert ist darum der Mangel jeder Aufsatzvorrichtung an Feuergewehren. Selbst als die Grundsätze der Ballistik allgemein bekannt wurden, fand bei der beschränkten Schuſsweite der Visieraufsatz an Kriegsgewehren nur geringe Anwendung. Um so bemerkenswerter ist es, daſs wir solche schon an orientalischen Läufen des 17. Jahrhunderts antreffen. Sie sind feststehend aus dem Laufe selbst gefeilt und besitzen in ver- tikaler Reihe laufende Durchlöcherungen, welche den Distanzen ent- sprechen. Es scheinen uns auch auf diesem Gebiete die Morgen- länder vorangeschritten zu sein. (Fig. 552.) In Nürnberg scheinen, und zwar zunächst nur für den Zweck des Zielschieſsens, die ersten gezogenen Läufe gefertigt worden zu sein. Der Zeitpunkt dieser Erfindung wird noch etwas vor der Mitte des 16. Jahrhunderts anzunehmen sein. Die ersten derartigen Rohre hatten noch geradelaufende Züge, die natürlich wenig mehr leisteten, als nicht gezogene Rohre mit Anwendung von Paſskugeln. Um 1560 erhalten die Züge eine spirale Führung im Rohrinneren, wodurch sich erst ihr Nutzen bewähren konnte. In Beziehung auf den Quer- schnitt der Züge wie auf deren Führung findet man die verschiedensten Formen, ein Beweis unausgesetzten und eifrigsten Strebens nach Ver- besserung. Am Ende des 16. Jahrhunderts fertigte der Augsburger *) Sie trägt den Namen Hans Friedrich von Diependalh. Das aber ist noch nicht die äuſserste Leistung in diesem Fache, der Waffenschmied Petrini berichtet in seinem wertvollen Manuskripte von 1642 (Bibl. Magliabecch.) von einem Maestro Maffei in Pistoja, der 10 Ellen lange, allerdings sehr schwere Läufe hergestellt hatte.

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/488>, abgerufen am 22.11.2024.