Als die gewaltige Bewegung der östlichen Völker nach dem Westen und Süden Europas im 9. Jahrhundert ihr Ende nahm, lag der gesamte Kontinent im Banne des Barbarismus. Die antike Kultur war zurückgegangen, eingeschrumpft; was noch davon geblieben, fand bei den fremden Eroberern mit ihren unklaren Erinnerungen an die einstige Grösse des Römerreiches nur nach der äusserlichen Seite hin eine Wertschätzung. Aber mit der festen Niederlassung der Eroberer begann aus der eigenen Volkskraft heraus, unterstützt von den vorhandenen autochthonen Elementen, eine neue Kultur fast aus den rohesten Anfängen heraus emporzukeimen, die trotz unausgesetzter Störungen langsam aber stetig zum kräftigen Baume erwuchs. Der Weg vom Barbarismus zur Gesittung war auch hier genau derselbe wie allenthalben, wo immer ein Volk nach geistiger Entwickelung ringt. Auch hier tritt das Streben nach Sicherheit des Lebens und des Be- sitzes naturgemäss der Sehnsucht nach Behaglichkeit, nach einer feineren Gestaltung des Lebens voran, und die lautesten Forderungen sind auf die Vervollkommnung der Waffe gerichtet.
Wenn wir den Weg, den Kunst und Technik im Waffenwesen von ihrem Wiedererstehen am Beginne des Mittelalters genommen haben, verfolgen, so dürfen wir nicht ausser acht lassen, dass die neu in Europa eingedrungenen Völker von noch ziemlich lebhaften Tradi- tionen aus dem Kulturgebiete des Orients erfüllt waren, dass sie in Gebieten sich sesshaft machten, in denen einesteils die antike Kultur nicht gänzlich ausgestorben andernteils eine noch unentwickelte zwar, aber in sich selbst geschlossene Kultur vorhanden war, die in den Resten der autochthonen Bevölkerung wurzelte. Wenn wir diese wich- tigen Umstände uns stets vor Augen halten, dann erst werden wir mit klarerem Blicke jene Wandlungen verstehen, welche die Technik im Waffenwesen und jenes versöhnende Element darin erfahren hat, das nach der Schönheit zielt.
V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen.
Als die gewaltige Bewegung der östlichen Völker nach dem Westen und Süden Europas im 9. Jahrhundert ihr Ende nahm, lag der gesamte Kontinent im Banne des Barbarismus. Die antike Kultur war zurückgegangen, eingeschrumpft; was noch davon geblieben, fand bei den fremden Eroberern mit ihren unklaren Erinnerungen an die einstige Gröſse des Römerreiches nur nach der äuſserlichen Seite hin eine Wertschätzung. Aber mit der festen Niederlassung der Eroberer begann aus der eigenen Volkskraft heraus, unterstützt von den vorhandenen autochthonen Elementen, eine neue Kultur fast aus den rohesten Anfängen heraus emporzukeimen, die trotz unausgesetzter Störungen langsam aber stetig zum kräftigen Baume erwuchs. Der Weg vom Barbarismus zur Gesittung war auch hier genau derselbe wie allenthalben, wo immer ein Volk nach geistiger Entwickelung ringt. Auch hier tritt das Streben nach Sicherheit des Lebens und des Be- sitzes naturgemäſs der Sehnsucht nach Behaglichkeit, nach einer feineren Gestaltung des Lebens voran, und die lautesten Forderungen sind auf die Vervollkommnung der Waffe gerichtet.
Wenn wir den Weg, den Kunst und Technik im Waffenwesen von ihrem Wiedererstehen am Beginne des Mittelalters genommen haben, verfolgen, so dürfen wir nicht auſser acht lassen, daſs die neu in Europa eingedrungenen Völker von noch ziemlich lebhaften Tradi- tionen aus dem Kulturgebiete des Orients erfüllt waren, daſs sie in Gebieten sich seſshaft machten, in denen einesteils die antike Kultur nicht gänzlich ausgestorben andernteils eine noch unentwickelte zwar, aber in sich selbst geschlossene Kultur vorhanden war, die in den Resten der autochthonen Bevölkerung wurzelte. Wenn wir diese wich- tigen Umstände uns stets vor Augen halten, dann erst werden wir mit klarerem Blicke jene Wandlungen verstehen, welche die Technik im Waffenwesen und jenes versöhnende Element darin erfahren hat, das nach der Schönheit zielt.
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[[591]/0609]
V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen.
Als die gewaltige Bewegung der östlichen Völker nach dem Westen
und Süden Europas im 9. Jahrhundert ihr Ende nahm, lag
der gesamte Kontinent im Banne des Barbarismus. Die antike Kultur
war zurückgegangen, eingeschrumpft; was noch davon geblieben,
fand bei den fremden Eroberern mit ihren unklaren Erinnerungen
an die einstige Gröſse des Römerreiches nur nach der äuſserlichen
Seite hin eine Wertschätzung. Aber mit der festen Niederlassung der
Eroberer begann aus der eigenen Volkskraft heraus, unterstützt von
den vorhandenen autochthonen Elementen, eine neue Kultur fast aus
den rohesten Anfängen heraus emporzukeimen, die trotz unausgesetzter
Störungen langsam aber stetig zum kräftigen Baume erwuchs. Der Weg
vom Barbarismus zur Gesittung war auch hier genau derselbe wie
allenthalben, wo immer ein Volk nach geistiger Entwickelung ringt.
Auch hier tritt das Streben nach Sicherheit des Lebens und des Be-
sitzes naturgemäſs der Sehnsucht nach Behaglichkeit, nach einer feineren
Gestaltung des Lebens voran, und die lautesten Forderungen sind auf
die Vervollkommnung der Waffe gerichtet.
Wenn wir den Weg, den Kunst und Technik im Waffenwesen
von ihrem Wiedererstehen am Beginne des Mittelalters genommen
haben, verfolgen, so dürfen wir nicht auſser acht lassen, daſs die neu
in Europa eingedrungenen Völker von noch ziemlich lebhaften Tradi-
tionen aus dem Kulturgebiete des Orients erfüllt waren, daſs sie in
Gebieten sich seſshaft machten, in denen einesteils die antike Kultur
nicht gänzlich ausgestorben andernteils eine noch unentwickelte zwar,
aber in sich selbst geschlossene Kultur vorhanden war, die in den
Resten der autochthonen Bevölkerung wurzelte. Wenn wir diese wich-
tigen Umstände uns stets vor Augen halten, dann erst werden wir
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. [591]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/609>, abgerufen am 22.11.2024.
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